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Dienstag, 7. September 2010

So daneben liegt er doch nicht?

Man mag Stephen Hawkings viel vorwerfen, vor allem seinen Popularismus, seinen unwiderstehlichen Drang zu grenzüberschreitenden Weltbildern und Religiosizismen (seine "Kürzeste Geschichte der Zeit" zum Beispiel ist ja ein Glaubensbüchlein, keine physikalische Abhandlung, wie viele glauben).

Aber seine Formulierung, dergemäß das All aus sich selbst heraus in sich selbst hineinläuft, aus den unendlichen Möglichkeiten heraus eine aktualisiert, kraft der jeweiligen Konstellation - diese Formulierung erinnert mich bemerkenswert an ... abendländische Metaphysik. Denn genau so beschreibt sie die Schöpfung. Und dann noch die Metaphysik, die den Menschen als Ebenbild Gottes sieht, in dem alles zusammenläuft, der insoferne also Krone der Schöpfung ist.

Man lese doch Cusanus, Augustinus, Thomas von Aquin!

Ob also nicht vielmehr die heute recht verbreitete Vorstellung einer Welt, die quasi von Gott getrennt, von diesem bestenfalls beobachtet, ein Irrtum in sich ist? (Übrigens: der genuine protestantische Ansatz.) Denn die Dinge, die Geschöpfe, sind zutiefst und jeden Augenblick im Sein verankert und sind nur insofern, als sie am Sein teilhaben. Das sich in der Geschöpflichkeit aus sich herausstellt, um sich selbst betrachtend an sich zu erfreuen. Weshalb die höchste Erfüllung des Menschen die Teilhabe an der Wahrheit ist, in der Jesus selbst im Geist sich im Vater betrachtet, dieser sich in Jesus sieht ...

Wo wäre da ein Widerspruch zu Hawkings? Weil er hinausposaunt, man brauche keinen Gott? Was, gesetzt den Fall, machte seine These über die physikalische Natur des Universums unwahrer - das doch, von außen betrachtet, ein in sich verlaufender Prozeß ist? Daß er die Grenzen der Physik überschreitet? Jede Wissenschaft muß das tun, will sie nicht sinnlos werden. Das alles, jedenfalls, ist mir noch weit zu wenig, um die Hawkings'schen Thesen nicht höchst interessant zu finden. Und die Quantenphysik lädt zu solchen Grenzüberschreitungen, die eigentlich nur das Hinausschieben von Grenzen an ihre äußersten Linien sind, mittlerweile sehr direkt ein.

Ich habe nicht die Befürchtung, daß am Ende redlichen Wahrheitssuchens ein leerer Zettel übrigbleibt, auf dem steht: "Es gibt doch keinen Gott." Vielleicht liegt der Fehlschluß von Hawkings nur in dem einen einzigen Punkt: wie Wahrheit (im Menschen) entsteht, und wieweit sie überhaupt im Menschen entsteht (weil sie die "Begleitmusik", die "Qualität" gerechten Verstehens ist), ob also der Mensch auch Sein (das identisch mit Wahrheit ist) hervorbringen kann, oder nicht - auch dieser Fehlschluß hat etwas von Läßlichkeit, finden sich indizienhaft doch abbildhafte Ähnlichkeiten zu Gott, der Wahrheit. Die dann das Ein und Alles ist, Anfang und Ende der Schöpfung, in dem sich alles im Einen findet, aus ihr entspringt, in sie zurückfließt, gehalten von der Wahl des Augenblicks, aus der Ohnendlichkeit der Möglichkeiten.

Weltmoment ist also Willens-, Haltungsmoment! (Womit man sogar in Schopenhauer etwas wesentlich Wahres finden kann.) Wo aus der Unendlichkeit der möglichen Welten, die allesamt in Gott, in dem alle Möglichkeiten SIND, eine auswählt, woraufhin sich die Welt so, und nicht anders, weiter zusammenfügt, jeden unendlich kleinen Moment nach dem nächsten.

Vielleicht versteckt sich hinter Hawkings auch eine Form von Pantheismus, eine sehr subtile Form von Atheismus, die auf eine höchst subtile Fehlentscheidung im Denken in den allerersten Verstandesmomenten zurückgeht. Auch dazu lädt die Quantenphysik gewissermaßen ein, die ihr konstituierendes Motiv, das sie anzunehmen gezwungen ist, innerhalb ihrer eigenen Grenzen sucht, und damit nur auf eine "Kraft" (in Anspielung auf den alten Begriff der Weltseele) kommt.

Zudem wäre Hawkings nicht eine "böse Ausnahme" jener Physiker, die "ihre Grenzen überschritten", sondern ließe neue Hoffnung aufkeimen, die Physik würde offen wie noch vor wenigen Jahrzehnten ihr Staunen in Metaphysik ummünzen. Die Schriften eines Heisenberg (als Beispiel) sind vor allem wegen ihrer philosophischen Fragen interessant, auf die der Physiker ständig stieß, und Einstein befaßte sich mehr mit erkenntnistheoretischen und metaphysischen Fragen (sein bester Freund war Gödel, ein Erkenntnistheoretiker im Gewande der Mathematik) als meist bekannt ist. Die so häufige völlige Irrelevanz fachwissenschaftlicher Erkenntnisse kommt ja vor allem aus ihrer Hermetik, die im Wesentlichen ja selbst eine metaphysische Vorentscheidung ist.

Schaffe ich auf der einen Seite die Metaphysik (offiziell) ab (womit wir dem Wesen des Protestantismus schon recht nahekommen), drückt er über die Hintertür wieder herein: weil sich die Fachwissenschaft zur Metaphysik aufbläst, weil aufblasen muß: sie sucht ihren Sinn.

Mit so manchem heute postuliertem Gottesbild aber kollidiert Hawkings wohl also eher nicht, weil er Atheist ist, sondern weil manches Gottesbild unzureichend ist. Und wenn man ihm Grenzüberschreitung vorwirft, um "Gott zu verteidigen", dann sollte man eher überlegen, ob man der Wahrheit nicht einen Bärendienst erweist: denn Welt und Gott sind gerade in ihren tiefsten Gründen gar nicht mehr trennbar, sondern SIND ein und dieselbe Geschichte. Nur ist das eine die Erzählung des anderen, trägt diesen im Geist mit sich. Wechselseitig.

Wenn also Hawkings sagt, daß es keinen Gott brauche, so meint er vielleicht nur jenen Gott, wie er meist vorgestellt wird!? Als Mißverständnis, nämlich einer zwar verständlichen, aber genau besehen unzulässigen, wenn auch populären Übertragung von Analogieschlüssen (des Verstandes) auf den reinen und höchsten, alles umfassenden und beinhaltenden Geist. Vielleicht beschreibt also Hawkings (in vielem zumindest) erst recht Gott - ohne es zu wollen, und ohne es zu wissen. So manche seiner Aussagen jedenfalls könnte man dahingehend deuten. Auch die derzeit kolportierten.

Dann läge es nahe, Hawkings - als "anonymen Mystiker" zu sehen, von dort her als Dichter. Wobei: nachdem er sein aktuelles Buch mit einem Theologen (und der war, ich wage die Wette, ein Protestant) zusammen verfaßte (und wohl durchdachte) ist er vielleicht gar nicht so anonym. Und auch kein Physiker.

***

Um Mißdeutungen vorzubeugen: Es sind mit "falschen Gottesbildern" NICHT jene wunderbaren "Katechismusbilder" gemeint, die noch meine Kindheit geprägt haben. Diese, zum Gegenteil, in ihrer Wahrheit und Zutreffendheit, als Metaphern wie Darstellungen des Verhältnisses Gott - Mensch, als Aussagbares über Eigenschaften Gottes, etc., werden sogar immer wahrer und richtiger erkannt, je mehr man Wahrheit sucht. Vielmehr muß der Eindruck entstehen, daß die falschen Gottesbilder in dem Moment eintrafen, in denen versucht wurde, abstrakt ZU BLEIBEN. Damit wurde genau das Gegenteil erreicht, auf demselben Irrtum aufruhend, weil alles Abstrakte konkret genommen wird. Das nun aber nicht eingeschränkt bleibt, und somit die Büchse der Pandora öffnet. Wahrheit wird so von Irrtum nicht mehr unterscheidbar und damit gibt es sie nicht mehr. Weil das Urteil Konkretion braucht.

 
*070910*