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Donnerstag, 24. Oktober 2013

Ich bin nicht der andere

Eine der allergrößten Verwirrungen herrscht bei jenen, die da gerne vom Ineinsfall von Sein und Nichts sprechen. Und dabei sich oft nur an den nackten Worten festmachen. Aber das Nichts kann kein Reales sein, sonst wäre es nämlich kein Nichts, sondern hätte am Sein teil. Wäre es also doch etwas, so wäre es nicht das Nichts. Also kann es auch nicht im Sein selbst sein.

Gustav Siewerth führt die Gedanken in "Der Thomismus als Identätätssystem" großartig aus, wenn er aufzeigt, daß dieses "Nichts" (auch bei Hegel) ein Begriff der Idealität ist, der (wenn man so will) Gedankenwelt, der Vernunft. Es hat aber keine Realität. Dort, freilich, hat es seine große Bedeutung, weil sich das Wesen der Dinge nur dann ideell als Sein erkennen läßt, wenn es zugleich mit dem identifiziert wird, was es NICHT ist. Insofern fällt also im Denken Sein und Nichts tatsächlich zusammen - aber nicht in der Realität, wie an dieser Stelle vor kurzem ausgeführt wurde. 

Denn wir erkennen die Dinge nur durch ihre Begrenzung, und diese Begrenzung ist das, was etwas nicht ist, das Nichts. Vor diesem Hintergrund erst wird ein Ding ideell erkennbar, weil begrenzbar.* Unsere Vernunft muß also in einem schöpferischen Akt die Identität der Dinge vor dem Hintergrund der Nichtidentität bilden, sie muß dieses "Nichts" bilden - ein menschlicher Akt. Das Nichts gehört in die modale Verfassung der Idealität selbst.

Das Nichtsein kann nur dem vereinzelt Seienden (ideell) zugesprochen werden, nicht dem Sein selbst. Dadurch wird das Sein erkennbar. Und es hat keine Möglichkeit zu positiver Erkenntnisbildung, weil ihm positive Bestimmung fehlt. Das Sein selbst bleibt positiv. Das bedeutet, daß die "positive Identität" eines Dings nicht ideell bestimmbar ist, dieses nur ausschließungsweise, sondern als personaler Akt der Zuwendung zur Realität und als Akt der Vernunft. (Der Verstand, die Idee kann "sich selbst" nicht sehen - so wie kein Mensch sein "ich" ideell sehen oder begreifen kann.)**

Denn ein Erkenntnisobjekt kann nicht von sich aus das vermitteln, was es nicht ist (also "ich"), sondern nur, was es ist. Reale (realistische) Identitätsbildung ist also ein zu leistender Akt des Ich, dem ein "wirkliches Ich" akthaft und real zugrundeliegt, dem das gebildete Selbst entsprechen muß, soll es zu keiner Spaltung des Selbst kommen.***

Vernunft und Vernünftigkeit definiert sich also auch (in ihrem akthaften zweiten Schritt) daraus, definieren zu können, was etwas - ein "Ich" - NICHT ist.****



*Darin liegt begründet, warum das Kind erst allmählich, ja relativ spät beginnt, einen Begriff von "ich" zu bilden. Denn es erfährt sich erst aus der realen Erfahrung, daß es das Andere NICHT ist, und muß dazu seine Vernunft (vorausgehend) ausbilden. Ein Vollbegriff von "Ich" bildet sich überhaupt erst mit der Vollgestalt der Vernunft - an der Schwelle zwischen Pubertät und Adoleszenz. Gleichzeitig weist diese reale Beobachtung darauf hin, daß die heute so häufig zu machende Beobachtung, daß auf die "Abgrenzung" zum anderen hin ("Diskriminierung" = Unterscheidung, Abgrenzung) als der, der ich NICHT bin, VERZICHTET wird, als pädagogischer Schritt, ein katastrophaler Fehlschluß ist, mit dem die gleichfalls heute zu beobachtenden Identitätsprobleme direkt zu tun haben. Es ist geradezu lächerlich und auf jeden Fall dumm zu meinen, es würde sich eine "positive Identität" bilden, OHNE den Heranwachsenden ZUERST als das definieren zu lassen bzw. zu definieren ("übernommene Familienidentität" als erste Grundlage), was er NICHT ist - der andere, der Fremde. Die Zunahme von Auto-Immunkrankheiten hat, übrigens, direkt damit zu tun. 

Das sogenannte positive "ich", also das, "was ich bin" (und nicht das was ich nicht bin), bleibt damit aus seinem Wesen heraus ein Geheimnis (und damit nicht ein "nur noch nicht Gedachtes.") Es ist überhaupt nie ideell/ideal ausdefinierbar, weil jede Idealität von der Negativität (dem Nicht-sein) ausgeht. Ihm kann sich der Mensch nur in der Haltung ... der Liebe zuwenden. Denn es geht allem als nicht-ideelle Realität voraus, die alles zusammehält. Aus der heraus erst das "was ich nicht bin" - als "das was ich bin ist nicht das, was ich nicht bin" - ideell zu diesem wird.

**Natürlich - das Problem des Narzißmus, in dem sich ein "Selbst" in Wirklichkeit auflöst, je mehr sich der Narziß selbst betrachtet, und sich (bzw. das, was er sieht) dabei nur selbst verobjektivieren, sich selbst entfremden kann.

Übrigens - das Problem der "Rückführung" (Rebirthing etc.) in vermeint "frühere Inkarnationen" ("Ich habe schon einmal gelebt" etc.) ist sehr sicher aus dieser Unmöglichkeit der Selbstergreifung heraus verstehbar: Denn die tieferen Seins-Strukturen des Selbst können sich auf Verstandes-/Sprachebene nur in Bildern (des Nicht-Ich) äußern, die aus einem wahren Gemengelage an Faktischem und Motiviken (und Anlagen, Geneigtheiten, die ja von jemandem geerbt sind - Vergangenheitsaspekt!) heraus gebildet werden. Unter der natürlich gegebenen Prämisse, sonst würde es ja niemand machen, und da gehört schon dazu, es für möglich zu halten, daß nur jemand "Rückführungen" vornimmt, der davon ausgeht, DASZ es solche weitere Selbste/Identitäten gibt. 

***Selbstverständlich berührt auch das die wahre Katastrophe des Gendering, der Verwischung weil Nicht-Konkretisierung von Geschlechtsidentitäten. Das soll aber hier nur angedeutet werden.

****Es ist eine ganz konkrete Beobachtung, daß Menschen, die sich nicht zum Nicht-Sein abgrenzen können - man denke an ein häufig zu beobachtendes Selbsteinschätzen, wonach Menschen sich "für alles fähig" halten, sich von allem angesprochen fühlen, nichts in seiner Relevanz scheiden und differenzieren und "diskriminieren" können -, zur Vernunft nicht fähig sind. Was mit einer bloßen Verstandestätigkeit nur am Rande zu tun hat.




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