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Donnerstag, 17. Oktober 2013

Umbau zur Machtmaschine

Sie liest sich wie ein Krimi, und ist in ihrer Umfassendheit beeindruckend - die 1957 erstmals veröffentlichte legendäre Studie von Karl Wittfogel über "Die orientalische Despotie". Legendär deshalb, weil sie u. a. nachweist, daß dem späten Karl Marx und W. I. Lenin bekannt war, daß der Kommunismus in einer Gesellschaft wie Rußland 1917 fast zwangsläufig in eine solche Despotie führen muß.*

Aber sie ist mehr als eine historische Fallstudie. Sie liefert die Metapher für jede Gesellschaftsentwicklung, in der sich die Staatsmacht mehr und mehr zentralisiert und omnipotent wird. In wechselnden Gesichtern, und nicht immer auf den ersten Blick einer totalitären Macht entsprechend, wie man sie sich vor allem im Westen vorstellt. Und hat mit dem, was unter "abstolutistischer Staat" auch in Westeuropa bekannt ist, nur ungefähr und am Rande zu tun. Sie ist vor allem in Asien und in der arabischen Welt aufgetreten, und hat die dortigen Gesellschaften und damit die Menschen entscheidend geprägt.

Zur Erinnerung: Äschylos beschreibt in "die Perser" gleich zu Beginn den fundamentalen Unterschied zwischen der griechischen Form der Gesellschaft von Freien - und der Massengesellschaft und -despotie der Perser. In Griechenland selbst hat sich diese Form der Staatsorganisation erst mit dem Hellenismus (unter starkem orientalischem Einfluß - Alexander fand überall bereits die Instrumente für solch eine Organisation vor, mußte sie nur noch übernehmen) entwickelt, von wo er auch von Rom übernommen wurde und sich ab der Kaiserzeit erstmals und offen ausprägte. (Man verzeihe die überaus oberflächliche Linienführung, die nur andeuten soll.)

Aber von dort aus ist sie von großem Einfluß auf die Entwicklung des Abendlandes gewesen. Denn das Reich des Karl des Großen ist in weit größerem Maß, als gemeiniglich geglaubt wird, direkt - über die Instutionen! über die Ministerialen! die fast ungebrochen fortbestanden haben, auch über die Völkerwanderungszeit hinweg, unter dem Einfluß der Typologie des hydraulisch organisierten Oströmischen Kaiserreichs, wie etwa H. Pirenne so überzeugend in seiner Studie "Karl der Große und Mohammed" zeigt  - aus der Römerzeit und direkt übernommen worden. (Der Reichsgedanke war also keineswegs ein "virtueller Geist", der über den Wassern schwebte. Er war schlicht und ergreifend eine reale, konkret existierende Größe. Die aber dann auf die völlig anders organisierten nord(!)germanischen Völker traf. Und dieser Konflikt, von gewachsenen Volksstrukturen mit der Eigendynamik der zum alles bestimmenden Despotismus tendierenden Reichsidee, ist historisch der Grundkonflikt der europäischen, vor allem aber der deutschen Gesellschafts- und Politikgeschichte geworden.)

Historisch geht diese Gesellschafts- und Staatsorganisation auf die Koordinierung von Bewässerungsmaßnahmen zurück, weshalb sie "hydraulische Gesellschaft" (in unterschiedlichen Dichten und Ausprägungen) genannt wird. Im Verteilen, Sammeln von Wasser für die Landwirtschaft, oder auch im Schutz davor. Die Organisation und Verwaltung solcher Maßnahmen ist von kleinen dezentralen Einheiten, unabhängigen Lokalbereichen, nicht mehr zu bewältigen. (Man denke an die Nil-Hochwässer, ein Prototyp einer solchen Staatsform.)

Darin ist sie Metapher. Denn diese Despotie entwickelt sich überall, wo allgemeine Versorgungsgüter von einer Zentralmacht organisiert werden. Sie ist deshalb auf die spezifische Organisation von Elektrizität, Wasser, Kanalwesen, Verkehrs- und Postwesen, Industrie (Steuerung), Militär, Rechtswesen ... anwendbar. 

Die einen neuen, dem Regionalen entwurzelten Typus Mensch braucht. In ihr kommt es zu einer Umschichtung der Macht: von den lokalen und selbständigen Einheiten weg, hin zu einer neuen Schichte von "Adel" und "Ministerialen", sie führt zwangsläufig über notwendige Steuern zu einer Stärkung der Zentralmacht, und führt mit der Zeit zu einer völligen Auflösung des Einflusses alter, früherer Einflußfaktoren, wie "tüchtiger Menschen", frei entstandenen Eigentümern etc. Deshalb bleibt mit der Zeit nur die Zentralmacht, und die von ihr abhängigen Ministerialen, einer neuen Elite, die sich daraus bildet. 

Innerhalb der es zwar zu Rang- und Richtungskämpfen oder Rebellionen kommt, die aber an sich stabil bleibt, weil sie das gesamte Staats- und Gemeinschaftswesen in Institutionen umgeleitet hat, die alles, auch die immer höhere Steuerlast (eine Begleiterscheinung), hin zum Zentralismus lenkt. Und damit bald auf eine Gesellschaft trifft, die zu keiner anderen Bestandsform mehr fähig ist, weil ihr die Strukturen und die alltäglichen Solidaritäten fehlen, sich gegen diese Zentralmacht zu behaupten. Despotien mangelt es an "Oppositionsmächten", an (selbst!-)organisierter Kontrolle als Gegengewicht. Unabhängiges Eigentum und die mit ihr zusammenhängende soziale Differenzierung ist ihr Gefahr, und deshalb wird Eigentum auch in Abhängigkeit gebracht (wenn nicht direkt oder indirekt enteignet.)

Auch die Religion ist deshalb als selbständige Macht ausgeschaltet, oder wird (wo scheinbar mächtig) von der Despotie benutzt.

In jedem Fall geht sie von der entsprechend organisierten Wirtschaft aus. Sie hat deshalb mit einer Diktatur, einer Revolution, einem Revolutionsregime etc. etc. nichts zu tun, unterscheidet sich völlig. Letztere können sich lediglich der Umorganisation der Gesellschaft hin zu einer solchen "hydraulisch-managerialen Gesellschaft" bedienen, um an die Quelle der Despotie, die Lebensvollzüge zu gelangen.

Es ist historisch noch nie (!) geschehen, daß eine solche Despotie von innen heraus umgebaut wird. Fundamentale Umbauten, hin zu einer dezentralen Bürgergesellschaft von Freien, kamen immer - wenn - von außen.



*Wittfogel war an sich Sozialist, und er hat seine soziologisch-historische Studie aus dem Blickwinkel des historischen Materialismus heraus durchgeführt. Sie hat ihn aber weltweit in größte Gegensätze zu sozialistischen/kommunistischen Parteiungen gebracht, wie seine abologetischen Vorbemerkungen verraten. Immerhin hat der die Sowjetunion als "orientalische Despotie" klassifiziert ... Da war er entscheiden weiter als etwa Sartre, der zu der Zeit immer noch überzeugter Stalinist war, und von seinem Besuch in Moskau mit euphorischem Schwung nach Paris zurückkam.





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