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Donnerstag, 13. August 2015

Theologie der Getrenntheit (3)

Teil 3) Das vielbesprochene Leid der Kinder - Probleme und Scheinprobleme




Noch eine Bemerkung zum Leid der Kinder: Kinder leiden am Schwinden der sichtbaren Präsenz der Vollidee der Ehe, auf der sie selber in ihrer Menschwerdung aufbauen. Das Ablösen der Kinder vom Elternhaus im Erwachsenenstadium zeigt ja, wie relativ und temporär Eltern als physische Präsenz sind. Aber sie sind immerbleibend - als Idee. Der Schmerz der Kinder ist deshalb temporär. Er würde erst existentiell, wenn die Idee entschwände, in die sie sich eingebettet erfahren und auf die sie wesensmäßig hinorientiert sind.

Jeder Mensch ist nur die Individualisierung (und DAMIT Unwiederholbarkeit, Einzigartigkeit) des EINEN MENSCHSEINS - das umgekehrt erst in der (historisch-kulturell geprägten) Individualisierung zum Menschsein wird. Jeder Mensch ist deshalb gleichzeitig auf das Eine Menschsein wie auf die Individuen als deren Träger ausgerichtet, und zwar: je spezifischer die Menschen sind, desto mehr sind die Stellvertreter des EINEN MENSCHSEINS.

Kein Kind wünscht das Entschwinden auch nur eines Elternteiles, selbst wenn man als Außenstehender zum Urteil kommen könnte, es wären "schlechte" Eltern. Wenn das scheinbar doch einmal der Fall ist, sind noch ganz andere Dinge zu hinterfragen, und zwar meist beim verbleibenden Elternteil. Ihr Leid bezieht sich vielmehr auf die ontologische Fundiertheit, auf die sie eigentlich hinorientiert sind, und auf die sie einen Anspruch haben, der nicht nur auf die physischen Eltern beschränkbar ist, sondern in der gesamten Mitwelt gefunden werden muß. Es gab in früheren Zeiten sehr gewiß nicht weniger "Waisen" bzw. "Halbwaisen" als heute. Weil die Wahrscheinlichkeit für Männer wie Frauen, früher zu sterben, durch die andere Lebensführung weit höher war. Aber es gibt keine Anzeichen dafür, daß dies zu einem gesellschaftlichen Trauma geführt hätte. Vielmehr wurden die je fehlenden Ehepartner rasch ersetzt, und vor allem aber: die gesamte Umgebung hielt das Wesen, die Idee von Vater- und Mutterschaft aufrecht. 

Das Trauma bei Verschwinden der physischen Präsenz eines Elternteils hat seinen tieferen Grund darin, daß die Idee natürlich nur in einem faktischen, konkreten Menschen real, vorhanden sein kann. Deshalb bindet sich natürlich das Erleben der Idee des Ganzen aneinen konkreten Menschen - den, der eben zuerst da ist, die Eltern. 

Aber Kinder brauchen "einen" Vater, "eine" Mutter, nur dort erfüllen die Individuen ihre Sendung. Und das kann ihnen vielfach sogar die Umgebung stellvertretend bieten. Bleibt die Idee gleich, ist der physische Wechsel eines Partners sogar leicht verkraftbar. Das, was heute als "individualistischer Anteil" behandelt wird, liegt gerade bei Eltern, vor allem aber beim Vater, nicht an der Physis, sondern in der Erzählung tradierbar. Dort kann es auch präsent gehalten werden. Während es bei der Mutter tatsächlich an der Physis liegt - aber an EINER Physis als Mutter, also ohnehin weniger an ein bestimmtes Individuum gebunden ist. Der Verlust eines Elternteiles ist ein Schmerz, keine Frage, aber er ist temporär, er ist überwindbar, wie jeder natürliche Tod der Eltern zeigt, den ja jeder durchzuleben hat. Die Defizite bei noch nicht erwachsenen Kindern sind aber weitgehend zumindest ausgleichbar, denn bei Kindern ist auch die Individualisierung noch nicht so ausgeprägt. Ihnen sind die Eltern - je kleiner sie sind, desto mehr - noch keine "Gegenstände", dazu werden sie erst. Eltern sind zumal kleinen Kindern "Archetypen". 

Die Frage von Begabungen und Talenten und deren Entfaltung wird heute praktisch völlig falsch eingeschätzt. Persöniche, ererbte Anlagen sind lediglich Instrumente IN EINE BESTIMMTE SITUATION HINEIN gewirktlicht zu werden. Diese Situation aber ist nicht absolut, sie ist historisch und situativ von den gestellten Aufgaben abhängig, auf die - und hier beginnt dann die Rolle der Individualität - jeder Mensch individuell reagiert. Und zwar automatisch, immanent. Das macht noch deutlicher, warum Eltern ersetzbar sind, das macht auch deutlich was hier bereits mehrfach abgehandelt und in den Satz zugespitzt wurde: Es gibt gar keine Talente. Nicht als Dinge für sich.

Die sentimentalische Verwirrtheit, die mit diesem Themenkreis heute verbunden ist, und leider auch weithin den Katholizismus (der darüber doch am meisten wissen müßte, weil er tief realistisch ist bzw. wäre)  durchgiftet hat, hat vielfach aber heute Scheinprobleme geschaffen, um deren Lösung sich dann in den unsinnigsten, ja kontraproduktiven Maßnahmen bemüht wird. Es wäre Zeit, die ontologische Problematik neu präsent zu machen, und diese Fragen in erneuerter Sehschärfe zu reflektieren.

Die Sentimentalität, in der dieser Themenkreis meist rettungslos versinkt, ist nichts als die Falle eines Versuchs, die wirkliche Problematik abzuschieben, und in eine nahezu dämonisch gewordene "Gestimmtheit" zu verlagern, die nur der Selbstgerechtigkeitspose dient. Lösen läßt sich damit gar nichts, im Gegenteil, der real zu beobachtende Umgang mit dem Thema macht die Dinge meist nur noch schlimmer, weil er den wesentlichen Zusammenhängen, in denen alleine das Thema zu bewältigen wäre, die aber die Frage nach der persönlichen Sittlichkeit sehr ernsthaft stellen, ausweicht.

Und sie läßt sich nicht lösen, wenn man sie außerhalb religiöser Fragen zu lösen sucht. Denn die Ersterfahrung des gezeugten Menschen ist die der Erfahrung Gottes, im Sein, von dem es bedingungslos abhängt, und aus dem es sich mehr und mehr in der Individualisierung zum einen löst, zum anderen verbindet. Diese Erfahrung ist aber konkret - durch die Eltern, in denen dem Kind zuerst Gott begegnet, und die als Nicht-Gott, als seine Stellvertreter zu erfahren, der größte Schritt zur Erwachsenheit bedeutet. Weshalb das 4. Gebot die Grundlage allen Menschseins ist und bleibt, denn in jedem Fall waren sie der reale Zugang zum Sein. Aber in ihnen begegnet dem Kind der Geist, die Idee, und aus ihr lebt es. Wer also die Idee des einen Menschen in der Polarität Mann-Frau verletzt, macht die Erfahrung Gottes, des reinen Geistes, defiziös. Und das hat erst wirkliche, schwerwiegende Auswirkungen auf den Menschen, weil es seine spätere Haltung zur Wahrheit direkt betrifft.

Nicht wer sich trennt ist deshalb der Sündige. Sondern wer diese Idee Gottes, dessen Abbild der Mensch (in der Mann-Frau-Einheit) ist, dem Kind vorenthält weil ablehnt. Als (fehlende) Ergänzung, die immer präsent sein kann und muß. "Ich bin König - ihr müßt mich spielen." Wer Vater sagt, sagt auch Mutter. Wer Frau sagt, sagt auch Mann. Wer Eltern sagt, sagt Kind. Wer Kind sagt, sagt Eltern. Als ontologische Aussage über eine Idee, aus der alles im Geist der Liebe zur Fruchtbarkeit im Gefüge der Welt hervorgeht, wenn man sie ergreift. Nicht als Elemente psychologischer Funktionalitätsspiele. Weil aber jeder Mensch immer seinem Anruf durch die Idee hinterherhinkt, ist die "Scheidung" benannte "Trennung" eines Ehepaares nur ein gradueller Unterschied, kein Quantensprung. Den setzt nur die Abkehr von der Idee der Einheit im Zueinander - dem Willen Gottes. Erst die Halbkugel die glaubt, sie könne eine ganze Kugel sein, die nicht mehr auf die fehlende andere Hälfte verweisen möchte, hat ein wirkliches Problem.




Nun endlich die versprochenen Anmerkungen zu obigem Versuch.

*Diese Frage ist schon deshalb spannend, weil die Realität genau das zeigt: Daß bei Scheidungen zumindest einer der Beteiligten einen "anderen" Partner wünscht, das heißt: sich als Stellvertreter eines ANDEREN Seins begreift, als ihm real im Seienden des Partners gegenübersteht, der dieses Sein nicht teilt, also nicht Stellvertreter des Ganzen ist (oder so erlebt wird). Denn man lebt immer bezogen auf und mit der umgreifenden Idee, nie mit dem "realen Gegenstand".

**So gut wie alle Diskussionen bei oder nach Scheidungen gehen ja um dieses Tragen des Schmerzes, oder dem Versuch, ihm auszuweichen. Dazu gehört übrigens auch die selten dumme Rederei von der "Einvernehmlichkeit", die ein niederer Versuch ist, jede Verantwortung abzulehnen, und damit die Möglichkeit des Schmerzes zu vermeiden - auf Kosten des Insgesamt, das man quasi gemeinsam verweigert. 

***Praktisch ist das viel einfacher, als man meint. Denn die Weiterführung der zuvor vom Mann festgelegten alltäglichen Lebensweise und Wertordnung ist schon der Großteil der Miete. In der Treue dazu spricht also der Mann (im Sinne der genannten "idea") immer noch weiter zu den Anwesenden.

****Jährlich landen alleine in Österreich rund 1700 Männer nach Scheidungen im faktischen Zustand der Obdachlosigkeit weil völligen Mittellosigkeit. Viele tausend weitere sind (alleine; noch dazu; für viele besteht schon aus existentiellen Gründen kein anderer Ausweg, als sich einen neuen Partner zu suchen) kaum noch in der Lage, ein "normales" oder auch nur bescheidenes Leben zu führen. Und das OHNE Klärung von Schuld!






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