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Samstag, 8. August 2015

Von Frauen am Leben erhalten (1)

Die Einwohner von Paraguay gelten heute als die glücklichsten Bewohner Südamerikas. Immer wieder bestätigen Erhebungen, daß kein Volk des Subkontinents sich so rundum zufrieden fühlt. Und kein Volk hält die Rolle des Pazifismus so hoch. Warum ist das so? Diese Haltung erwuchs als Folge eines der schrecklichsten Kriege der Weltgeschichte, dem Krieg Paraguays gegen die Triple-Allianz aus Argentinien - Brasilien - Uruguay 1864-1870. Denn dieser Krieg hatte nicht nur das Land total verwüstet, sondern 3/4 der Bevölkerung das Leben gekostet. Das sind in absoluten Zahlen, je nach Schätzung der Gesamtbevölkerung vor 1864, zwischen 350.000 und 800.000 Menschen.

Dabei hatte sich alles so gut entwickelt, nach der Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 1811. Unter dem Diktator Lopez hatte das Land in den 1840er Jahren aufzublühen begonnen. Der in Europa ausgebildete Sohn eines Großgrundbesitzers sprach Englisch, Französisch und Spanisch, und hatte unter europäischem Geist begonnen, das Land auf neue Füße zu stellen - weg von der dominierenden Landwirtschaft, hin zu Industrie und modernem Leben. Viele ausländische Fachkräfte kamen ins Land, und mit diesem Know-How blühte es auf. Es war ausgezeichnet organisiert, und galt bald als führender Staat in Südamerika. Mit einer modern ausgerüsteten, starken Armee. Dabei baute es seinen Erfolg keineswegs aus den Einwanderern auf, die die Nachbarstaaten, die von Europa aus mit Zuwanderern überschwemmt wurdenn. Nur wenige fanden den Weg nach Paraguay. Doch fehlte Lopez ein Baustein zum Glück: Das Land hatte keinen direkten Anschluß ans Meer. Damit war es in seiner Entfaltung verwundbar. 

Und so versuchte Lopez ein Interventionsansuchen Urugays in Streitigkeiten mit Argentinien und Brasilien für mehr zu nutzen, als es gedacht war. Er schielte nach Meereszugang, und scheute auch nicht zurück, Gebiete im südlichen Brasilien - das um ein Vielfaches größer, aber auch ärmer war als Paraguay - zu reklamieren. Als er von Argentinien Durchmarschrechte zum militärischen Beistand in Uruguay verlangte, kam es zum Eklat. Längst hatte ja auch Uruguay begriffen, daß der Beistand der Paraguayani nicht ganz folgenlos bleiben würde. Und so verbündeten sich die Staaten Brasilien, Uruguay und Argentinien gegen den neuen gemeinsamen Feind. 1864 brach der Krieg aus, Paraguay erklärte ihn als Folge der Machtdemonstration der Argentinier auf dem Rio Parana, dem einzigen indirekten Zugang zum Meer für das Binnenland. 

Und es schien zuerst nicht die schlechtesten Karten zu haben. Trotz der riesigen Länder der Feinde, waren die Streitkräfte Lopez' mit fast 35.000 Mann unter Waffen zahlenmäßig kaum schwächer, und materiell sogar besser aufgestellt als die ersten Feindkontingente. Aber nun begann sich auch hier, wie im Sezessionskrieg in Nordamerika zur selben Zeit, das Gesetz des Krieges des 20. Jhds. durchzusetzen: In die Kriegsführung zog überall (seit Napoleon auf jeden Fall) das Gesetz der Erschöpfung als Kriegsfaktor einzuziehen. Kriegsziel war nicht mehr der kontrollierte Kabinettskrieg, wo man in einer begrenzten Schlacht einen Sieg zu erringen suchte, und der Krieg beendet war, sobald der Feind sich selbst als besiegt ansah. Nun warfen die Länder alles in die Schlacht, was sie überhaupt ausmachte - Menschen, Wirtschaft, Seele, alles.

Der totale Krieg, die enorme Loyalität der Bewohner mit Lopez, war spätestens ab dem Moment gegeben und brauchte kaum diktatorische Maßnahmen, wo die überzogenen Forderungen der Triple-Allianz bei versuchten Friedensverhandlungen den Paraguayani klar machten, daß es eine Friedenslösung nicht geben würde. Sieg - oder totale Niederlage, darum ging es, und es machte auch jede Opposition gegen Lopez sinnlos. Es lief aber auf einen Abnützungskrieg hinaus, denn durch Schlachten war der Krieg für Paraguay nicht mehr zu gewinnen. Paraguay gingen die Menschen aus.

Lopez mußte schon alleine aus der Mengenbilanz den Kürzeren ziehen. Nicht gleich, nicht am Anfang, aber nach und nach, und immer schneller. Schlachten verliefen gemäß dem ausgeprägten Ehrencodex der meist spanischstämmigen bzw. mestizen Bevölkerung ungemein blutig und verlustreich. Während die Triple-Allianz diese Verluste aber immer wieder ausgleichen konnte, fiel es dem eingeschlossenen Paraguay mit seiner begrenzten und sowieso kleinen Bevölkerung immer schwerer. Bald wurden die Einberufungsalter ausgedehnt, schließlich kamen die Alten dran, noch 70jährige wurden zu Obristen berufen, dann die 13-16jährigen eingezogen, und bald wurden ganze Einheiten aus 10-11jährigen Buben aufgestellt. Schließlich kamen sogar Frauen zum Einsatz, oft, wie berichtet, an der Seite ihrer minderjährigen Söhne.

Transportmittel waren Mangelware. Siebenjährige mußten Ochsenkarren fahren. Invalide, Zwangsarbeiter aus Gefangenen rekrutiert, Beamte und Lehrer wurden in die Rüstungsbetriebe geschickt.

Das Land selbst war ursprünglich durch die straffe Organisation relativ leicht auf Kriegswirtschaft umzustellen gewesen. Die Landwirtschaft war ohnehin weitgehend in autarken Betrieben organisiert und damit lange Zeit noch recht funktionsfähig. Größere Produktionsbetriebe, vor allem die der Stahlindustrie, waren ohnehin meist in staatlicher Hand. Wenn auch alles von Mängeln bestimmt war. Denn auch hier gingen bald die Rohstoffe zur Neige, und waren nur teilweise so zu substituieren, wie die fehlende Baumwolle für Uniformen, die durch die Fasern einer Urwaldpflanze ersetzt wurden. Trotzdem gaben die Soldaten bald ein Jammerbild der Abgerissenheit ab, und die meisten trugen nur noch Ponchos.

Aber weit schlimmer wirkte sich der Mangel an Salz aus, das zuvor nur importiert werden konnte, in der Hitze Südamerikas ein großes Problem. Und der Kriegsbedarf mit seiner Nachfrage brachte viele Landwirte dazu, eher Baumwolle anzubauen, als Tabak oder Obst. Mangelernährung und Krankheiten begannen sich auszubreiten. Fehlende Medikamente mußten durch Kräuter und Heilpflanzen ersetzt werden. Cholera brach verschiedentlich aus. Trotzdem hatte Paraguay 1868 noch immer 18.000 Kämpfende unter Waffen, mit 70 Geschützen, die 30.000 Alliierten mit 200 Geschützen gegenüberstanden.

Mit der Dauer des Krieges war aber längst schon die Finanzierung für Paraguay zum Problem worden. Mit Kriegsbeginn war ohnehin auf fast reine Papierwährung umgestellt worden. Trotzdem war es lange Zeit gelungen, die Inflation auf "bescheidene" 150 % zu limitieren. Was bei den enormen Kosten des Krieges, bei gleichzeitigem Steuerausfall durch den zurückgegangenen Handel, erstaunlich ist. Vieles konnte in diesem längst als nationaler Überlebenskampf begriffenen Krieg sogar noch durch Juwelen-, Schmuck- und Goldspenden der Frauen (wie im alten Rom mehrmals, übrigens) ausgeglichen werden. Aber auch diese Quelle versiegte einmal. Bis 1869 etwas Interesssantes passierte: Es ging das Geld aus, obwohl es noch Gold gab. 




Morgen Teil 2) Der Zusammenbruch - Die Wiederauferstehung





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