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Sonntag, 3. September 2017

Brief an Y

Nachstehender Brief wird auf bestimmte Bitte hin hiermit veröffentlicht.
Liebe Y!
Die Abkühlung des Wetters ist nun auch in Ungarn angekommen. Zwar hält sich der Regen in Grenzen, aber es ist bewölkt, und ein Lüftlein weht. Man sagt, daß Sopron sowieso ein Windloch sei, ich habe davon allerdings noch nicht viel festgestellt, mir schien bisher alles normal. Immerhin sollte ja Wind dafür sorgen, daß sich ein Ort nicht zu sehr aufheizt. Daß ich in den letzten Tagen wieder besser schlafen kann, hat wohl mit dem Wettersturz zu tun. Ich bin froh, daß es kühler ist. Auch wenn ich die Sonne sehr mag, das Warme sehr mag, bin ich immer schon gegen Kälte unempfindlicher als gegen Hitze und mag die Klarheit, die in der Kälte liegt. Eines meiner liebsten Bilder ist, wie ich am Meer stehe und der Wind mir um die Ohren pfeift. Deshalb habe ich früher vor allem England und Irland sehr gemocht.  

Insgesamt aber fühle ich mich noch sehr schwach, und die Notwendigkeit, diese Woche nach Wien zu fahren - ich muß zum Arzt, mir für die kommenden Kur-Wochen noch fehlende Medikamente zu holen (in Eisenstadt sind ja zwei neue dazugekommen) - macht mich nicht gerade froh. Ich werde mir den ganzen Tag dafür Zeit nehmen, und nichts sonst einplanen wie üblich.
Diese Müdigkeit wirkt sich natürlich auf meine Arbeit aus. Es fällt mir schwer, klare Gedanken zu fassen, und das Schreiben ist derzeit mehr als sonst ein System der Schienen, die ich treibend verfolge, denen ich ziellos nachgehe, in der Hoffnung, daß sie meine Gedanken an einen fruchtbaren Punkt bringen. An sich ist das jene Methode, mit der ich vor vielen Jahren begann, aus dem Traum (der ja oft genug ein Alptraum war) aufzuwachen. Momentan freilich gefragt würde ich ängstlich sagen, daß ich nirgendwo gelandet bin. Erst im Tun stelle ich immer wieder fest, daß ich recht klar im Kopf bin, auch wenn ich es nicht so diagnostiziere. In jenem Kopf, der meinem bewußten Kopf zugrundeliegt, der nur sichtbar wird, wenn er sich betätigt.

Das habe ich auch gestern festgestellt, als ich einige Videobeiträge von [MS] (Identitäre) sah bzw. Beiträge las. Da stellte ich fest, daß ich mich immer deutlicher von den Rechten absetze, weil ich immer klarer sehe, daß sie einen schweren Defekt im Denken haben. Nahezu alle. Das drückt sich darin aus, daß kaum jemand in dieser ganzen Szene einen metaphysisch durchdachten, damit eigentlich religiösen Standpunkt einnimmt. Damit setzt nahezu die gesamte Rechte, die sich derzeit an bestimmten Themen (in denen sie zweifellos Recht hat) aufbaut, die sie wieder und wieder spielt (v. a. Migration, dann noch ein wenig Gender, dies, das), ohne daß sich etwas veränderte, argumentativ weiterentwickelte, auf ein falsches Pferd. Man könnte deshalb den Eindruck gewinnen, daß sich innerhalb der Rechten deutlich linke Positionen ebenso finden, und alle meinen, es wäre hilfreich weil dasselbe. Dieser Pragmatismus ist verstörend.
Noch dazu tauchen aber Schreckens- oder Feindbilder auf, Quellen der Angst und falsche politische Ziele, weil man aus besagtem Grund die faktischen Dinge in ihrer Relevanz falsch und damit überbewertet. Das passiert etwa in der Einschätzung der Künstlichen Intelligenz als Instrument der Menschheitsbeeinflussung, der Möglichkeiten der digitalen Überwachung und Gängelung, aber auch in der Bewertung des Islam, des Terrors, etc. Alles wirkt auf mich äußerst verworren und verwirrend, und die theoretische Diskussion, wie ich sie etwa auf "Sezession" verfolge, wirkt auf mich wie ein Glasperlenspiel der rhetorischen Schnörkel und Spielereien. Die Wirklichkeit aber kriegen sie nicht zu fassen.

Weit mehr als so manches andere irritiert mich die Unbedarftheit, mit der man hier digitale Medien verwendet und einsetzt. Als glaubte man tatsächlich, daß dies die Ebene sei, auf der politisch zu handeln sei. Aber es ist nur die zweitwirkliche Ebene, die eines Bewußtseins, das eigentlich eine Scheinwelt ist, die aber als Quintessenz allen politischen Handelns und Denkens gesehen wird, als Ebene der Entscheidungen. Die Frage nach dem, was sich aber wirklich bewegt, die nach den "Fleischbergen", die im Meer der Worte treiben, und die so ganz andere Sprache enthalten, wird nie gestellt. 


Das Irrationale, das der Identitären Bewegung deshalb anheftet (die von den Rechten derzeit sehr bewundert wird, nachdem sie diese Aktion mit einem Schiff im Mittelmeer gestartet haben), sehe ich als Reaktion auf eine grundsätzliche Orientierungslosigkeit. Also tut man "irgendetwas", das "in der Richtung liegt", aber wirklich geistig durchdrungen, in reifes Handeln von Erwachsenheit übergeführt, ist da gar nichts. Eigentlich ist das alles eine riesige PR-Aktion, die für manche Figuren ([MS] etwa) ein Image aufbaut, das sie für spätere politische Rollen markiert. Aber dazu müßten sie Väter werden. [MS] (und seine Kumpane) scheinen mir nicht in diese Richtung zu gehen. [MS] ist ja schon an die 30, oder älter. Wann will der jemals erwachsen, Vater werden? Nur Väter aber dürften politisch tragende Rollen übertragen bekommen.
Und das hat mit dem falschen Ansatz zu tun. Sie sind nicht "berufen", das ist das Problem, sie haben sich selbst gerufen, und schieben die Rechtfertigung auf Thesen der Art, als sie plötzlich den normalen Bürger zum Träger politischen Handelns erklären. Ein Unsinn. Hier stehen also Entwurzelte Entwurzelten gegenüber, denn die Pseudologie ist eine Entwurzelung. Es fehlt an einer großen Vaterfigur. Denn jede Führung, jede Veränderung deshalb (ich habe wieder und wieder in meinem Leben die Erfahrung gemacht, daß sich Veränderungen NIE von unten, sondern immer nur von oben implementieren lassen) ist eine Frage der Gestalt, der Person, der Form, die zu integrieren vermag. Dies auf "intellektuelle Aufklärung" aufbauen zu wollen ist im Grunde sogar eine Lüge.

Ich habe mir auch immer wieder den Kopf darüber zerbrochen, was in meiner Gestalt enthalten sein muß, weil sich ein so großer Teil der Österreicher so stark damit identifizieren kann, wie alle Markterhebungen ergeben. [Anm.: Der VdZ ist seit etlichen Jahren durch seine schauspielerische Tätigkeit im Rahmen einer Werbekampagne in Österreich sehr populär. Das heißt: Sein Gesicht, seine Gestalt, seine Art und der darin gespielte Charakter.] In Eisenstadt [Anm. Der VdZ verbrachte im Zuge einer medizinischen Behandlung dort Ende Juli einige Tage] habe ich vor allem wieder das festgestellt: Sie sehen mich (sobald sie mich real sehen) als "einen der ihren", ja als "Ihren Repräsentanten", hausverständig, handfest, durchaus patriarchal, aber doch milde, mit Schwächen die ihnen vertraut sind, aber immer mit einem liebevollen Augenzwinkern. Im Grunde würde es so gehen, würde ich das nicht völlig ablehnen: Da ist eine Figur, eine Gestalt, und dann erhebt die auch noch das Wort. So entstehen substantielle Volks-Leitfiguren. Eine ideale Film-Serien-Figur, übrigens.

Das Interessante dabei aber ist, wie solche Figuren ein Volk beeinflussen, ihren Sprachraum durchlichten. Ohne daß es als direkter Akt feststellbar wäre. Ich denke da etwa an die Figur des "Mundl" vor dreißig Jahren, einer damals ungemein populären TV-Serie mit Karl Merkatz als Hauptfigur. Freilich war sie "zu tief" angesetzt, deshalb hat sie sich nicht weiterentwickeln können. Aber diese Figur hat damals enorm tief in die Volksseele hineingewirkt. 

Wirken von Gestalt zu Gestalt - das ist nicht nur das Wesen der Welt, das ist auch das Wesen des Politischen, wie es in der Figur eines Königs oder Kaisers eben da war. In ihr bündeln sich alle wesentlichen Volkseigenschaften, und damit ist ihr das Szepter des Handelns in die Hand gedrückt. 
Die Debatten-Politik wirkt dagegen wie ein hysterisches Vorgärtlein, das darauf pocht, der eigentliche Baugrund zu sein, auf dem das Haus steht. Das wahre Volk will durch Gestalten (meinetwegen sind es auch "Vorbilder") geführt sein, ruhig und selbstverständlich. Denn so will es leben, das ist ihm das Ideal des guten Lebens. Den Rest sieht ein Volk immer als Aktion der Jugend. Nett, aber nicht wirklich relevant. (Das ist das "Geheimnis" um Merkel, der diese Konstellation durch ihre intrigante Unfähigkeit zugefallen ist.)

Deshalb ist auch die Entstehung solcher Figuren ein Akt der Gnade, des Wirkens Gottes - oder der Dämonie, der Verführung. Das kann niemand machen, das kann niemand vorherberechnen, das kann man nur "ahnen", als "so ist es" feststellen. 

Von einer Politik, die meint, kräftig herumrühren zu müssen, halte ich nichts. Sie widerspricht auch aller meiner Erfahrung im Umgang mit Apparaten, Organismen, Organisationen. Ich habe gerade in St. Pölten etwa [Anm. Der VdZ war dort vor 25 Jahren drei Jahre als Diözesansekretär tätig, ehe er von Bischof Krenn in allgemeinem Konsens gekündigt wurde; er sei zu rechts, zu konservativ, zu widerständig ...] festgestellt, daß sich das Große dadurch ändert, daß man es im Kleinen ändert. Und das heißt im Wesentlichen: im Kleinen, Unscheinbaren, Leisen Grundsätzen treu bleibt, die dann auf geheimnisvolle Weise das Große zu durchwirken beginnen. Von dem die großen Schwebeköpfe gerne meinen, das lohne  nicht, es gehe doch um viel Größeres, ja ums Ganze. So sehe ich es auch in der Hl. Schrift. 
Nichts halte ich aber von denjenigen, die mit großen Programmen und Konzepten beginnen, und über diese streiten, weil es angeblich darum gehe. Ja, tut es letztlich, aber nicht als "direktes Ziel".Das Große ist dem Kleinen immanent. Ist erst, ja nur dem Konkreten immanent. Rosmini schreibt einmal sehr richtig: Das große Übel des 19. Jhds. war, daß man begann, geistige Dinge zu verdinglichen. Ich sehe heute überall nur große Ideenschwinger. Ich sehe aber nirgendwo, wirklich nirgendwo ruhige, feste Arbeiter, nicht in den Eliten, nicht in den Emporkömmlingen, zu denen alle werden, die antreten, "zu verändern".
Man sagt gerne, daß Jesus ein einfacher Zimmermann war, also einer "von unten". Das ist natürlich ein Unsinn. Denn warum wohl beginnt die Geschichte Jesu mit seiner ganz konkreten Ableitung aus dem ... Königtum Davids? Warum spricht er in scheinbarem Gegensatz dazu so oft davon, daß das Himmelreich einem kleinen Senfkorn zu vergleichen ist, oder einem kleinen Stück Sauerteig, der alles durchwirkt? Jesus, Gott hat die Welt zu sich geholt, indem er die Wahrheit in Person, als Gestalt, als Fleisch in die Welt sandte. DAS war der historische Wendepunkt. Denn der Geist wirkt über Gestalt, die die Tore der Sinne überschreitet, auf daß wir durch die Offenbarung (deren die erste die Erscheinung der Engel auf dem Felde war; siehe das Gebet im Angelus!) hell gemacht, über den "guten Willen" aufgenommen, sehen. Denn wir sehen die Welt nur DURCH und IN dem inkarnierten Jesus Christus.

Alsdann, genug der sonntäglichen Epistel. Ich wünsche Dir einen schönen Sonntag!
Ambrosius







*160817*