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Mittwoch, 6. September 2017

Sozialsysteme & Geburtenrate. Ein sehr zu differenzierender Zusammenhang (1)

Zwei Umstände springen bei der Betrachtung der demographischen Entwicklung (weltweit, aber hier speziell in deutschen Ländern) ins Auge. Da ist einmal ein offensichtlicher Zusammenhang zwischen dem Ausbaugrad eines staatlich organisierten Versicherungsstaates und der Geburtenrate. Denn anders als man meinen könnte, besteht nicht nur ein paradoxer Zusammenhang zwischen dem Anstieg des Wohlstands und einem damit einhergehenden Rückgang der Geburtenrate - Kinder sind also NICHT an höheres Einkommen gekoppelt, "damit man sie sich leisten kann", es verhält sich statistisch umgekehrt. Das alleine erklärt noch nicht demographische Entwicklungen! Der Rückgang der Geburtenrate hat vielmehr im späten 19. Jahrhundert in dem Moment eingesetzt, als die allgemeine Sozialversicherung eingeführt und zunehmend ausgebaut wurde. 

Aber auch das reicht noch nicht, um es zu verstehen. Denn anders als heute gemeint wird, hat es soziale Absicherung praktisch zu allen Zeiten gegeben. Das Hauptziel der sozialistischen Bestrebungen, soziale Absicherung einzuführen, war also keineswegs eine "soziale Absicherung", das war und ist eine Lüge. Selbst Mildtätigkeit ist eine Form der sozialen Absicherung, umso mehr aber gab es weithin sogar monetär organisierte Solidarnetze, die aber nur jeweils auf eine bestimmte Personengruppe erstreckten - eine Berufsgruppe (jede Gilde, jede Zunft etwa hatte soziale Absicherungsinstrumente), eine lokale Gesellschaft (jedes Dorf hatte soziale Versorgungsein-richtungen), ein Landstrich (durch landesherrliche Maßnahmen), oder die vielen auf ein Unternehmen beschränkten Versicherungs- und Sozialhilfeformen (noch heute gibt es in Österreich "Betriebsversicherungen", oft sogar nur als Solidargemeinschaft weniger hundert Mitglieder; der VdZ war selbst einige Zeit in einer solchen versichert). 

Aber alle diese Instrumente sozialer Absicherung hatten eine Eigenschaft: Sie waren nicht anonym! Sie waren vielmehr Ausdruck der Solidarität von Menschen, die einander mehr oder weniger kannten, die ähnliche Lebensumstände hatten, und füreinander einstanden. Dafür entrichteten sie auch nach Maßgabe ihrer Mittel Abgaben. Niemand sollte alleine bleiben, niemand sollte ohne Hilfe bleiben, wenn er sie in den Wechselfällen des Lebens benötigte. Und sogar für Randerscheinungen war ausreichend Platz. Siechenhäuser verweigerten auch "Nutzlosen" nicht den Platz. Die Rolle der Kirche und der Klöster - sowohl in direkter sozialer Tätigkeit wie in der Stärkung der sittlichen Ausrichtung und Solidarisierung der Menschen - kann da gar nicht genug gewürdigt werden.

Das begann sich erst dort und ab dem Zeitpunkt zu ändern, in hohem Maß ausgehend von England im 16. Jahrhundert ff., wo die Gesellschaften von kapitalistischen, rein auf Geldmaximierung orien-tierten Unternehmen und einem Staatswesen, das sich auf dieses Geld stützte, dominiert wurden. Hier war der Zusammenhang unter den Menschen aus verschiedensten Gründen zerrissen. Hier wurde aus einer Gesellschaft, die sich immer als Gemeinschaft verstanden hatte, "Masse" als zufällige Ansammlung Einzelner, die menschlich nichts mehr verbindlich einte, die sich zufällig bzw. durch Umstände gezwungen an ein und demselben Ort befanden. An England speziell läßt sich zeigen, wie über wenige Jahrzehnte (auf die Reformation folgend) aus einem Land allgemeinen Wohlstands (auch in sozialer Sicherheit) ein Land wurde, in dem immer größere Schichten ins Elend fielen (und eine der Ursachen von Elend ist Entsolidarisierung.) Eine Entwicklung, die in Deutschland erst ab dem 19. Jahrhundert einsetzte, aber nie in derartigem Ausmaß.

Das Hauptziel einer in die Allgemeinheit verlegten Sozialen Sicherung war aber nicht nur die verständliche Reaktion auf dieses Elend. Es war in seiner wahren Richtung vielmehr eine UNIVERSALISIERUNG dieser Absicherung, das heißt: Das Herausreißen des Einzelnen aus persönlichen Verbindlichkeiten und Beziehungen, denn diese waren NICHT MEHR ERLEBBAR NOTWENDIG*.

Wenn aber die Zusammenhänge zwischen der Quelle dieser Sicherheit und dem Nutzen für den Einzelnen nicht mehr nachvollziehbar (weil abstrakt, im Grunde hier sogar statistich-mathematisch) sind, zerreißt deren fester identitärer Halt, wird der Mensch jeder sozialen Eingebundenheiten entwurzelt. Dieses Ursache-Wirkungs-Verhältnis läßt sich im Deutschland ab den 1880er Jahren ablesen: Ab diesem Zeitpunkt begann die Fertilität der Frauen zu sinken. 


Morgen Teil 2) Was vor 130 Jahren begann ist irreversibel 
- Was sich sicher sagen läßt



*Nur die Folgen sind erlebbar, auch heute, ganz real und vollumfänglich. Aber man kennt die Ursachen nicht. Im abstrakten Umlageverfahren werden genau jene Erlebenselemente ausgeschaltet - und DIESE sind ja das politische Ziel der Linken - die die eine (schützende, aufbauende) Seite dessen sind, was als elementarer Zusammenhang in den Folgen vor allem dann erfahrbar wird, wenn er zerrissen ist.





*180817*