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Sonntag, 10. September 2017

Ein vergessenes, dabei so aktuelles Motiv der USA (1)

Es ist gewiß für die meisten Mitteleuropäer überraschend, was dieser Vortrag (englisch) von Dr. John Pinheiro bringt. Denn sie sind geschlagen von Geschichtsvergessenheit, was bedeutet, daß sie die Bedeutung der Vergangenheit für die Gegenwart nicht mehr kennen. Und damit sich selbst nicht mehr kennen. Aber es ist wichtig es zu wissen, denn es füllt eine bedeutende Lücke im Verständnis der Gegenwart, und hier vor allem im Begreifen der Amerikaner.

Aber Amerika hat eine lange und bis heute währende Geschichte des Anti-Katholizismus, der (wie andere Stimmen ausgearbeitet haben, darunter Philip Jenkins in "The New Anti-Catholicism") sogar inmitten der postmodernen Political Correctness als das einzige akzeptierte Vorurteil, ja als eine Form des Rassismus gesehen werden muß. Und er geht politisch wirksam von den USA aus, auch wenn manche es nicht glauben möchten. Aber die Geschichte der USA ist seit dem Bestehen dieses Staates eine fortwährende Geschichte des Kampfes gegen den Katholizismus, der in den Ereignissen der späten 1950er und frühen 1960er Jahre, mit dem Kulminationspunkt der Ermordung von J. F. Kennedy, einen vorläufigen Höhepunkt, aber auch eine Wende fand. Ab den mittleren 1960er Jahren ist der Einfluß der Kirche in den USA deutlich geschwunden, und das war nicht zufällig. Es war ein offener Kulturkampf, der sich zwischen Katholischer Kirche einerseits, und einer Allianz von Judentum und Protestantismus anderseits abspielte.

Letztere haben - man muß es so sagen - gewonnen, auch durch das typische Versagen der Kirche in den USA, die die Argumente der Gegner immanentisierte, sich selbst zu eigen machte.  Die Rolle der Amerikaner im 2. Vatikanum wird dabei bis heute unterschätzt, und man muß fast davon ausgehen, daß nicht der "Rhein in den Tiber" (so eine bekannte Streitschrift der späten 1980er Jahre), sondern der "Mississippi in den Tiber" floß. Daß der CIA als Speerspitze einen gewaltigen Einfluß auf die Entscheidungen in Rom hatte ist unbestreitbar und belegt. Die Frage ist nur, wie weit er wirklich ging. Aber das ist hier eine sekundäre Frage.

Vielmehr zeigt der Vortragende, daß schon mit der Gründung der USA Ende des 18. Jahrhunderts ein klarer und in Gesetzen artikulierter antikatholischer Impetus die Gründerväter der USA beherrschte. Katholizismus wurde mit "Anti-Republikanismus", Anti-Demokratismus gleichgesetzt.  Das hatte auch mit der politischen Struktur Europas zu tun, wo Katholizismus und Monarchie weitgehend noch zusammenstimmte. Bis in die 1830er Jahre, in manchen Staaten (New York) sogar bis 1920, waren Katholiken von öffentlichen Ämtern per Gesetz ausgeschlossen.

Amerikas neue Bevölkerung rang um eine Selbstdefinition, und die war eindeutig: Protestantisch und weiß-anglo-sächsisch. Diese in sich enorm zerstrittenen protestantischen Bewegungen - die damit sogar die Grundlage für den Bürgerkrieg von 1861/65 bildete, der zuerst ein religiöser Konflikt war, der schon lange schwelte - fanden sich in einem gemeinsamen Nenner, und der war die "Jesuisierung" der Neu-Amerikaner. Sie sahen sich als von Gott zur Befreiung der Welt gerufene Menschen, die in der Eroberung des Westens eine göttliche Mission verfolgten. Die sich naturgemäß mehr und mehr auf die ganze Welt erstreckte.

Dabei stießen sie auf ein Hindernis, und das war das katholische Spanien bzw. das katholische Mexiko. Mehr und mehr breitete sich in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den bereits bestehenden USA die Überzeugung heraus, daß Katholizismus und Republikanismus, der Geist der "Freiheit und Selbstbestimmung", Todfeinde waren. Mexiko wurde seit den 1830er Jahren zum Hort dieser Unfreiheit, und so bereitete man den Krieg 1842 bis 1846 vor, der für Mexiko desaströs ausging. Es verlor ein Drittel seines Territoriums, das an die USA fiel. Wyoming, New Mexico, Texas etc. wurden zu amerikanischen Gebieten.

In diesem Krieg (bzw. in den Jahren davor) kam es erstmals zu einer offenen Identifizierung von Anti-Amerikanismus (als Anti-Republikanismus) und Katholizismus (Mexiko) in der amerikanischen Öffentlichkeit. Die damals noch weit mehrheitlich protestantisch (angelsächsischer Prägung) war. Der Amerikaner sah sich auch so: Weiß, protestantisch und angelsächsisch. Wer das nicht war, war nicht amerikanisch, ja wurde zur Gefahr für das Selbstgefühl und sogar den Bestand der Amerikaner, die ihre Selbstbestimmung auf "Zukunft" ("futurologic") ausgerichtet sahen: Expansion, Befreiung des Kontinents (erst) und dann der ganzen Welt. Die sogenannte "amerikanische Identität" sah sich also immer schon in dieser Zukunftsspannung, in der die Gegenwart (tatsächlich anders als beim Katholiken) eine geringe, ja vernachlässigenswerte Bedeutung hat, weil alles auf ein besseres Morgen ausgerichtet ist. Amerika ist von Gründung an also eine Utopie.

Dabei spielte ein Motiv eine entscheidende Rolle, das bei sämtlichen protestantischen Revolutionen seit dem 15./16. Jahrhundert auch in Europa eine entscheidende Rolle gespielt hatte: Der Reichtum der Kirche. Weil die USA den Soldaten nur geringe Bezahlung geben konnte, versprach man auch im Konflikt mit Spanien das Recht auf Plünderung der Kirchenschätze. Wie in Europa wurden daraufhin die Kirche und Klöster der eroberten Territorien Mexikos geplündert und gebrandschatzt. Dabei machten die meisten Amerikaner über und in Mexiko die ersten Erfahrungen mit dem Katholischen. 

In einem Land, das mit einem hohen Anteil armer Landbevölkerung, die noch dazu eine völlig andere Mentalität hatten, natürlich deutlich unter dem amerikanischen Anspruch auf Wohlstand lebte. Mit noch einem Faktor: Diese Bevölkerung war weitgehend mestizisch (spanisch-mexikanisch), also "zu wenig weiß". Das stützte das Urteil, daß der Katholizismus den Ideen von Wohlstand und Freiheit entgegenstand. Katholizismus wurde als Quelle der Inferiorität und Fortschrittsfreude eines Landes definiert. Und es fand einen Identifikationsgegenstand: Mexiko.

Dazu kam eine neue Art der Animosität: Mehrere amerikanische Regimenter, die mehrheitlich deutsch-irisch besetzt waren, waren im Krieg mit Mexiko zu den Mexikanern übergelaufen, die ihnen Land versprochen hatten. Diese Nachrichten ließen zusätzlich die Zweifel wachsen, ob Katholiken generell loyal zu einem Gebilde wie den USA mit seiner "von der Vorsehung geschaffenen Sendung, die Welt zu verbessern" stehen würden. 

Insgesamt wurde Mexiko zum Beweis hochstilisiert was mit einer Kultur passiert, die katholisch geprägt ist.



Morgen Teil 2)





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