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Donnerstag, 28. September 2017

Ob denn 2 + 2 immer 4 zu sein hat

Der Statistiker und Logikprofessor William M. Briggs, der hier schon des öfteren zitiert wurde, in einer Stellungnahme, die in diesen Tagen u. a. auf OnePeterFive zu lesen war. In dieser "Filial Correction"* wurde dem Papst von 62 Theologen und Intellektuellen aus 20 Ländern  in sieben theologisch exakt ausgearbeiteten Punkten die direkte Verbreitung, zumindest aber die Begünstigung von Häresien im vorigen Jahr veröffentlichten Dokument Amoris Laetitia vorgeworfen. Die Reaktionen darauf waren bislang bemerkenswert: Sie bezogen sich nie auf die Inhalte der Kritik, sondern verwiesen sämtlich auf kirchenpolitische Gründe, warum die Veröffentlichung dieser Punkte unstatthaft gewesen sei.

William M. Briggs

Die Politik übertrumpft die Theologie in der Reaktion auf die Filiale Zurechtweisung des Papstes

Was, wenn ein Mann, ein Mann von Bedeutung und großer und angesehener Erziehung, ein Mann der Autorität also, ein Priester, ja sogar jemand, der das Ohr des Papstes hat, Ihnen erzählte, daß manchmal 2 + 2 = 5 sei? Würde dieser Mann schon alleine kraft seiner auserwählten Position Recht haben?

Was, umgekehrt, wenn ein Kind, ein elender Wicht ohne große Schulbildung, ein ungewaschener Bengel, dem großen Mann nun sagte: "Nein, werter Herr, 2+2 ist immer 4, selbst für Gott, der die Wahrheit nicht ändern kann"?

Moment! Was macht da dieses ungebildete Kind? Kapiert es nicht seinen Fehler? Es hat keinerlei Autorität, eine Korrektur anzubieten! Warum auch sollte man überhaupt auf ein Kind hören?


Hier kommt Massimo Faggioli ins Spiel, ein Professor der Villanova Fakultät für Theologie und Religiöse Studien, um uns zu helfen. Er erklärt uns nun, daß es sich bei dem Kind nur um eine "winzige, extreme Splittergruppe der Opposition" gegenüber unserem großen Mann handelt. Das Kind "ist natürlich kein Kardinal oder Bischof, der einen formellen Status in der Katholischen Kirche hat."


David Gibson, Direktor des Zentrums für Religion und Kultur der Fordham University stimmt zu. Er erklärt, daß der Versuch des Kindes, zu korrigieren, bestenfalls einer "online-Petition gleichkommt". Er sagt gleichzeitig, daß es halt "immer eine große Schlagzeile bringt, wenn ein Priester eines Irrtums bezichtigt wird. Aber diese Kinder sind tatsächlich eine Art üblicher Verdächtiger weit rechts positionierter Gruppen, die sich nicht nur über diesen einen Priester mockieren, sondern das über viele Priester in der jüngsten Vergangenheit taten."

Sogar die New York Times — die New York Times! — erinnert daran, daß das Kind kein Kardinal sei. Und deshalb kann seine Kritik ohne Konsequenzen bleiben.

Wir schließen daraus, daß unser Kind schon weil es keine Autorität repräsentiert und deshalb kein Recht auf Zurechtweisung hat, falsch liegt. 2+2 ist eben nicht immer 4. Manchmal kann es, wie der Priester Antonio Spadaro (so heißt er angeblich) sagt, eben doch 5 oder 3 sein, oder jede Zahl, die sich halt so ergibt. Die Lösung ist unbedeutend, und nur dann von Bedeutung, so lange sie barmherzig ist.

Alles klar?

Wenn Sie dieses Argument sinnvoll finden, so wie das Faggioli und Gibson und all die anderen tun, die sich von der Seitenlinie melden und einwerfen, daß die Qualifikation jener, die die Filial Correction veröffentlichten,  dann haben Sie offenbar begriffen, daß die Idee der Kirche tatsächlich politischer Art ist. Daß alle Kämpfe um Wahrheit nur Machtkämpfe sind, in der die Seite mit der überlegenen Zahl oder den ausgefuchsteren politischen Fähigkeiten gewinnt und das sogar sollte.

Die obigen Zitate sind tatsächlich so gefallen, wurden nur geringfügig hier angepaßt, und sie sollten die Schuldlast der Häresieanklage gegenüber Papst Franziskus auf das kleine (imaginäre) Kind verlagern. Faggioli und Gibson sind dabei alles andere als allein. Der Twitter-Sprecher von Hope & Life Press beschimpfte die Unterzeichner der Filial Correction sogar, daß sie "null Autorität haben, überhaupt eine Zurechtweisung zu veröffentlichen."

Der (spätestens seit seiner Veröffentlichung einer Papst-Biographie) bestens bekannte Kommentator Austen Ivereigh konnte die Sache ebenfalls nur aus dem politischen Blickwinkel heraus sehen.  Er schrieb “Es war ein schwerer Fehler, als einzigen Bischof Fellay einzubinden. Einem Zeichner, der klar mit der anti-Vatikan II-Bewegung identifiziert werden kann." Das kommt geistig der Aussage gleich: "Es war ein großer taktischer Fehler des Kindes, keinen anerkannten Mathematik-Professor einzubinden."

Das ist faktisch aber falsch, nachdem die Priesterbruderschaft Pius X, der Bischof Fellay vorsteht, NICHT im Schisma ist, wie sogar Papst Franziskus anerkannt hat, der ihren Priestern sogar die Beichtjurisdiktion während des Jahres der Barmherzigkeit zugestand. Ivereigh weiß das natürlich, aber er wählte trotzdem diese Verleumdung, denn in der Politik wie im Krieg ist alles gestattet. "Theologen greifen oft daneben; 62 ist eine kleine Zahl, nimmt man das Insgesamt der Reaktionen zu Amoris Laetitia zum Vergleich, und die meisten davon sind noch dazu bekannte Kritiker der traditionalistischen Seite".

Wieder - das ist als würde man sagen: "Das Kind war alleine, deshalb können wie seine Kritik ignorieren." Oder es ist als würde jemand sagen: "Nur traditionalistische Mathematiker halben an den alten Lösungen fest."

Hätte es Twitter schon etwa im Jahr 350 gegeben, würde Ivereigh vielleicht getwittert haben: "Athanasius ist nur ein Mann mit so gut wie keiner Unterstützung. Werfen wir ihn hinaus. Wir wollen hoffen, daß die Gerüchte, daß Papst Liberius ihn exkommuniziert hat, wahr werden."


Einzelne politische Reaktionen auf die Filiale Zurechtweisung entlarven sich freilich eines bestimmten Gestus. Man muß den Nein-Sagern unterstellen, sie würden nicht ernsthaft glauben, oder zumindest nicht an die übernatürlichen Elemente des Katholischen Glaubens glauben. Das ist bei den Verfassern der Korrektur ganz sicher nicht der Fall. Denn wenn diese Nein-Sager wirklich an die übernatürlichen Elemente des Katholischen Glaubens glauben, dann würden sie sich sofort und in intensiver Diskussion den sieben Punkten der Korrektur zugewendet haben. Sind diese sieben Punkte wirklich Häresien? Alle? Warum? Warum aber dann doch nicht? "Laßt uns ganz tief in diese höchst bedeutsame Materie eintauchen," würden sie gesagt haben. "Das Heil der Seelen ist vorrangig, und Häresie kann keinesfalls geduldet werden. Hier stimmen wir überein, aber hier stimmen wir mit den theologischen Punkten nicht überein."

Nur wenn wir herausarbeiten, wirklich nachforschen, und mit jedem der Punkte übereinstimmen, kann man die Motive der Verfasser und Unterzeichner der Korrektur begreifen. Sich aber auf Persönliches zurückzuziehen ist eine Umkehr - und erzählt und wirklich viel.



Übrigens: Die Homepage, deren sich die Kritiker zur Veröffentlichung ihrer Filialen Zurechtweisung bedient hatten, wurde auf den Servern des Vatikan unmittelbar nach Erscheinen durch einen Filter gesperrt, wie Zeugen berichten. Der offizielle Vatikan dementiert dies allerdings. Den vollen Text der Zurechtweisung auf Deutsch finden Sie übrigens hier.


*Am ehesten könnte filial correction mit "Zurechtweisung von unten" übersetzt werden. 






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