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Donnerstag, 14. September 2017

Wie das Rationale zum Unverünftigen wird

Das Kennzeichen der Vernunftlosigkeit ist nicht unbedingt der Mangel an Rationalität, an Logik im Detail. Im Gegenteil, Vernunftlosigkeit zeigt sich ganz besonders in der Richtigkeit von Teillogik. Die Abwesenheit von logos heißt etwas anders: Sie heißt, daß einem Handeln und Denken der innere Kompaß fehlt, der alles wie von heimlicher Hand gezogen auf ein Zentrum, ein Ziel ausrichten macht. Deshalb kann Rationalität auch eine Gefahr bedeuten, wenn sie das Fenster nicht ins Transzendente öffnet. Dann verliert sich keineswegs die Logik, im Gegenteil richtet sich die Teillogik aber auf weiterreichende Sinnhorizonte aus, die die notwendige Begrenztheit einer Teilproblematik aufmacht. Falsch verstanden kann dies natürlich Irrationalität bedeuten, ja sie wird dazu, wenn die Gesamtorientierung, der innere Kompass nicht auf den bekannten Gott ausgerichtet ist. Der das Sein ist, das in seiner von der Liebe genährten Dynamik ins Seiende - zur Welt - drängt.

Wenn sich über die heutige Politik in Europa etwas sagen läßt dann das, daß ihr diese Vernünftigkeit fehlt.* Das äußert sich darin, daß sie ein Problem löst - also einer Teillogik folgt - und daneben aber unzählbare, unbekannte nächste Probleme aufreißt. Ein Beispiel dafür scheint sich in Afrika anzubahnen, und man nennt es "Lösung der Migrationsfrage", im noch konkreten Fall als "Schließung der Mittelmeerroute" bezeichnet.

Weil man also davon ausgegangen ist, daß die Zuwanderung von Millionen Afrikanern ein Problem der Lage ihrer Heimatländer ist, hat man tatsächlich eingegriffen. Und wie hat man es vorerst einmal gemacht (ohne viel darüber zu berichten)? Man hat es gemacht, indem man begonnen hat, die Exekutivkräfte jener Länder (Mali, Niger, Tschad, Mauretanien und Burkina Faso) aufzurüsten. 

Diese Länder haben sich zusammengetan und wollen eine von Frankreich und Deutschland bestens ausgerüstete und ausgebildete Truppe von 5.000 Mann schaffen, die die Millionen Migrationswilligen südlicherer Länder stoppen. Die auf ihrem Weg nach Libyens Mittelmeerküste - zur kürzesten Route nach Europa, sieht man von Spanien ab - ihre Länder durchqueren müssen, um angekommen auf NGO-Schiffe oder päpstliche Flugzeuge zu warten, die sie bequem weiter (und im Grunde illegal) nach Europa transferieren. Diese Länder waren dazu bisher schon aufgrund ihrer schwachen Polizeikräfte gar nicht in der Lage. Und noch weniger willens.**

Frankreich schon aufgrund seiner Tradition, Deutschland aufgrund der Tatsache, daß es davon am meisten betroffen ist, haben also Waffen, Fahrzeuge und Ausbildner ins diese Sahra-Länder gesandt. Damit aber haben sie in ein fragiles System der staatlichen lokalen Mächte eingegriffen, das bisher mehr schlecht als recht eine Art "Friede" aufrechthielt. Denn kein Land war ausgerüstet und organisiert genug, um Kriegsgelüste wirklich auszutoben. Das könnte sich nun ändern! Und das erste Land, das das fürchtet, ist - Libyen! Ein Land, das vor wenigen Jahren von den USA UND EUROPA in die Ohnmacht heilloser Verwirrung gebombt wurde. Libyen hat vor allem keine staatliche Ordnung. Nach der Vernichtung des Systems Gaddafi fiel es auf die nächste Stufe eines Staates zurück, auf die der Stammesordnungen. Und das heißt, daß es seine staatliche Handlungsfähigkeit weitgehend verlor. 

Diese Situation gleicht der einer Wehrlosigkeit. Nicht nur, weil die Potenz nicht da ist, sämtliche Kräfte eines Staates zu bündeln (was im Fall einer Bestandsbedrohung vorübergehend zumindest notwendig ist; auch eine Reichsorganisation, ja gerade eine solche, die unterschiedliche autonome Staaten und Völker für bestimmte Fälle wie Krieg einen könnte, beschränkt sich u. a. auf Situationen, in denen sie alle Macht verlangt und bekommt. Wie Krieg), sondern weil auch die Mittel fehlen. Also kann man davon ausgehen, daß so provisorisch die Zentralkräfte Libyens (die dem Gebilde noch so etwas wie den Anschein eines Staates geben, obwohl derzeit niemand sagen kann, mit WEM man denn da überhaupt verhandeln, reden sollte) auch gebildet wurden, sie im Bedrohungsfall doch eine gewisse Rolle spielen müssen und vermutlich werden.
Aber eben weil niemand weiß, WER es denn sein könnte, welche Seite, welcher Stammeshäuptling, welcher Politiker, der diese Rolle übernehmen könnte, ist es unverantwortlich, auch Libyen einfach aufzurüsten. Ohne die Gefahr zu riskieren, das Land erst recht in Bürgerkrieg zu vertiefen. Da grenzt es schon fast an ein Wunder, daß sich Libyens eifersüchtig gehütetes Chaos soweit organisieren konnte, als es plötzlich DOCH gegen die Schlepper an seinen Küsten einschritt. Erfolg der Teillogik. Daß nun Spanien überrannt zu werden droht, ist eine andere Sache. Darum kümmern wir uns später.

Aber alle erwähnten Staaten stehen seit Jahr und Tag in innenpolitischen wie außenpolitischen Konflikten. Ist nicht Frankreich vor wenigen Jahren sogar in Mali einmarschiert, hat seine Militärpräsenz in Tschad und Burkina Faso verstärkt, um die aktuellen Regierungen zu stabilisieren? (Und so nebenbei seine wirtschaftlichen Interessen - die Interessen seiner Unternehmen also - zu sichern.) Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die qualitativ bedeutsame militärische Aufrüstung der momentanen Führungen dieser Länder in einem Dominoeffekt den halben Kontinent aufrühren könnte. Die Nachbarländer (oder andere Interessengruppen, darunter nicht zuletzt islamistische Bewegungen) werden nicht einfach zuschauen, und können das gar nicht.

In jedem Fall also sieht es so aus, als würde Europa in ein nächstes Chaos investieren, das irgendwann zu einem platzenden Luftballon wird. Ein Chaos das damit beginnt, indem man Mächte mit Mitteln und Machterhaltungspotenz ausstattet, die wie das Raten im Dunkeln zufällig ausgewählt werden, weil es gerade kurzfristigen Zwecken dient. Wer aber glaubt, ein Chaos würde sich dadurch beheben, indem man einen der Chaoten mit noch mehr Muskeln ausstattet, wird seine blauen Wunder erleben. Gerade das Verhältnis westlicher Mächte zu Afrika ist eine beredte Geschichte solchen Unverstands, mit dem hier fast programmatisch agiert wird.

Recht und Gerechtigkeit sind nie eine Frage aktualistischer Kräfte und faktischer Zustände, sie sind ontologisch gegründet. Und von dort her bauen sich die Kräfte auf, wieder und wieder, und unbegrenzt. Lösungen für Afrika zu finden ist eine Frage der Ontologie! Europa hat sich leider längst zu viel auf die eines Hegel eingeschossen, eine Spätfolge des für heutige Schwammköpfe gelösten Universalienstreits, in dem aber die Wahrheit und damit die Wirklichkeit unter die Räder kam.

Und es gibt in ganz Afrika nur sehr wenige Staaten, die es geschafft haben, einen inneren Kulturstand zu erlangen, der eine Staatsformierung sinnvoll macht oder entstehen ließ, der also der wahren Ontologie entspricht, die der Exekutive eine Rolle zuweist, die einem Kulturland angemessen ist, weil nur dem Gemeinwohl dient. Offenbar hat man nicht einmal aus der Entwicklungshilfepolitik der letzten Jahrzehnte gelernt. Die die Missionstätigkeit der Kirche, der einzigen Entwicklungshilfe, die sinnvoll (weil eben der wahren Ontologie gefolgt) ist, somit ein Volk von innen her stärkt sodaß es auch das Außen sinnvoll gestalten kann, so verhängnisvoll und rational-unvernünftig (!) ablöste.

Afrika ist heute ein Musterbeispiel faktisch-begrenzter, naturrechtlich aber defiziöser, damit nicht dauerhafter Lösungen. Und wenn man europäische Intervention wie hier durch die deutsche Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen als "Stabilisierung und Unterstützung im Kampf gegen Terror und Extremismus" nennt ist weiterhin alles möglich und gerecht. Schon gar weil von der Leyen (geübte Merkel-CDU-Repräsentantin) Wert auf die Feststellung legt, daß Deutschland nur "nichtletale" Mittel zur Verfügung stellt. Töten sollen die anderen. Die indirekten Mittel dazu, die Kommunikationsmittel mit denen sie gerufen werden, die Wagen auf denen die "Pöhsen" mit ihren Gewehren stehen, die Zelte in denen sie schlafen, die Motorräder mit denen sie an die Front düsen - meinetwegen, die können aus Deutschland kommen. Das Problem ist sowieso nur weiter verschoben. Nach Süden, nach Nigeria. Wegschieben. Noch weiter weg. Das nennt man neuerdings "in Afrika stabilisieren", oder "das Problem bei den Wurzeln sanieren".***

Das trifft nicht nur für Libyen, sondern auch für sämtliche Staaten des Sahara-Gürtels zu. Das ist aber kein Boden für sinnvolle Diplomatie, damit entsteht weiter und weiter nur Flickwerk nach wirrem Muster, daß irgendwann reißt weil keiner weiß, wo die Nähte verlaufen. Eventuell züchtet man etwa hier eine islamisch bewegte, politische Potenz, die Europa erst recht erpreßbar und bedroht macht. Oder sei es, daß Libyens Stämmeorchester von Europa ebenfalls Waffen verlangt (Wüstenstämme lieben Waffen), unter der Drohung, sonst die Schleusen (wieder) zu öffnen. Die sich derzeit allmählich schließen, wie es aussieht. Dabei aber den Flüchtlingsstrom nach dem Westen (Marokko/Spanien) umlenken, wie es aussieht. Es könnte also sein, daß sich das Problem sowieso nur verlagert.

Zumal der europäischen Politik ein Plan, ein Konzept, das auf der exakten Kenntnis dieser Länder und ihrer inneren Bewegungen beruht, zu fehlen scheint. Alles deutet darauf hin. Man beschränkt sich auf ein Teilproblem: Ein Stoppen der Migrationsmassen auf ihrem Weg in den Norden. Wobei es sogar darin zu verdeckten Konflikten kommt.

Denn Deutschlands Merkel ist das so gar nicht recht. Sie müßte sich hier tatsächlich einmal langfristig an eine Politik binden, sich identifizierbar machen. Und das macht sie deutlich unflexibel, weil greifbar, widerspricht also dem, wovon Merkel bisher gelebt hat. Denn sie will ja gar nicht, daß die Migrationsströme gestoppt werden, warum auch immer. Aber das ist in dem Fall sowieso irrelevant, weil es genug europäische Politiker gibt, die nicht auf das warten können was nie eintritt: Daß Deutschlands Politik endlich doch vernünftig und konsistent wird. Merkel tut ja mittlerweile ohnehin so, als wäre es ihr völlig gleichgültig, was in ihrem Land WIRKLICH passiert, solange sie ihre mediale Sondershow als Parallelwelt hat. Sodaß es niemandem auffällt, daß das, was sie sagt und tut, regelrecht irrelevant geworden ist. Oder wie brachte ihr politisches Prinzip Volker Pispers einmal auf den Punkt? "Mir nach, ich folge Euch."

Wohin das was da in Afrika abläuft insgesamt führt weiß aber niemand. Weil niemand mehr weiß, so muß man es zusammenfassen, was überhaupt die bewegenden Kräfte eines Volkes und eines Staates sind. Daß das so ist, ist eine der sichersten Erkenntnis aus der Beobachtung der Politik im Europa der vergangenen Jahrzehnte selbst.






*Dafür gibt es einen ganz klaren Grund: Der europäischen Politik fehlt generell ihre Rückbindung an die Kirche. Die vielgepriesene "Trennung von Staat und Kirche" ist keineswegs eine Errungenschaft, sondern der sicherste Weg zur Vernunftlosigkeit. Sie entbindet die Politik ins Haltlose, und raubt ihr damit jede sinnvolle, damit langfristige Orientierung. Noch nie in der Geschichte hatte ein Staat Bestand, der seine Orientierung aber nicht aus der Ausrichtung auf Gott bezog. Andernfalls löst er sich von innen heraus auf, und sein Rechtssystem zerfällt.

**Sodaß man sich doch fragen müßte, was - welche Konzessionen, welche Versprechen, welche Geldmittel, welche politischen und wirtschaftlichen Interessen - sie zu diesen Maßnahmen nun bewegt haben. Wollen wir wetten? Wir werden es nie, oder frühestens in etlichen Jahren, wenn irgendwelche seltsam "unlösbaren" Probleme oder rätselhafte Solidaritätspflichten auftauchen, erfahren. Man nennt das "Diplomatie", auch die muß ja schon länger niemand mehr vernünftig (nur "zweckvoll") gestalten.

***Jede Untersuchung zu dem Thema kommt zum selben Ergebnis: Nahezu ein Drittel der afrikanischen jungen Menschen wollen nach Europa auswandern. Auch ein Sohn des VdZ, der sich einige Zeit in Ghana aufhielt, bestätigte das: Nahezu jeder der Jungen will nach Europa. Das Problem dürfte also mit "Rückhaltemaßnahmen" nicht lösbar, nicht einmal aufhaltbar sein. Mit Handy- und CocaCola-Importen aber auch nicht. Denn Afrika hat mittlerweile eine ähnliche Handy-Durchdringung wie Europa. Und jeder trinkt CocaCola. Es muß also an tieferen, kulturellen Motiven liegen. Afrika wurde zu keiner Kultur, auch wenn es in die Globalisierung mittlerweile eingebunden ist. Es fehlt im Gegenteil mehr denn je an kultureller Substanz, die der Westizismus nicht zu liefern vermag. Die einzigen, die das derzeit zu sehen scheinen, sind übrigens die afrikanischen katholischen Bischöfe. 






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