Aber das sind alles nicht die Probleme der heutigen Poesie, der Kunst, der Literatur, der Theaterkunst. Vielmehr muß man sie in der Gesamtbewegung von Descartes her sehen, auf dessen Boden wir Aufgeklärte seither stehen: als Anbeter des Verstandes, einer auf den Rationalismus abgehalfterten Vernunft.
Und auf diesem Boden stehen wir, ausnahmslos. Und von dorther wurde das Fehlen des Poetischen zweifellos bemerkt. Dieser Mangel wird - auf sehr rationalistische Weise! wie grotesk! - dadurch behoben daß man das Helle, den klaren Gedanken, wieder vernebelt ...
Genau so sieht es heute über weite Strecken in der Kunst aus, die als Folge das Identifizierbare verloren hat. Das Poetische wurde ersetzt, in Täuschungsabsicht ersetzt, durch das Irrationale, ja: Widerrationale. Und häufig begegnet man Bewegungen, die es geradezu ihr Programm sehen, das Rationale zu düpieren.
Diese "Irrationalität" ist nichts anderes als neuerlicher Rationalismus.
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Umgelegt auf den wahren Satz, daß alles Religiöse im Entstehungskern mit der Poesie in eins fällt, ja eins das andere ist, läßt sich in der Religion exakt dasselbe sagen: um dem Rationalismus, auf den die Vernunft reduziert wurde, zu entfliehen, wurde die ausgeübte Religion - die Dichtung des Religiösen, die Liturgie, das Gebet - wieder vernebelt. Das Ergebnis? Die Esoterik. Die Schwärmerbewegungen. Die Erneuerungsbewegungen.
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In einer Arbeit über Wordsworth fand ich ein Beispiel, es deutet ein wenig an, was gemeint ist:
Wordsworth veröffentlichte einen Vers wie folgt:
A thing of beauty is a joy for everIn einer früheren Fassung hatte der Dichter noch stehen:
A thing of beauty is a constant joyErst mit "a joy for ever" beginnt etwas zu fließen, was zuvor im bloßen verstandesmäßigen "Sinn" begrenzt und erstickt war. Rein rational ist der Unterschied aber nicht wirklich auszumachen, ja in gewissen Bedeutungsbezirken völlig gleich. Die Vernunft bleibt, sie wird aber ins Uferlose erweitert.
*091010*