Aber noch ein weiterer wichtige Gedanke steckt in den Überlegungen Keyserlings zum Behaviorismus. Der Schrumpfgermane weist darauf hin, daß zweifellos die Technik - als Vollendung des Tieres, siehe Beitrag a. a. O. - den Wohlstand der breiten Massen erhöht hat. Aber dabei istnichts anderes passiert als daß die "wissenschaftliche Erziehung" des früheren Adels auf die Massse angewendet wurde: Auch der Adel wurde ja in seine Umgebung "hineinerzogen", und es ging nicht um seelisch-geistige Größe, die blieb Einzelnen vorbehalten, die eben danach gestrebt haben. Nichts anderes wird nun den Massen angediehen.
Denn es geht niemandem um die Erreichung von Geist und Freiheit, wie der Mensch als Mensch zur Vollendung käme. Aber wenn man die Massen als Tier behandelt, wenn man sie technisch behandelt, so sind nicht nur Erfolge viel rascher zu erzielen als wenn man darauf warten würde, daß sich einer nach dem anderen zum Geist erhöbe. Was nämlich nie anders zu erreichen war und ist, als durch je individuelle Initiative und Selbstergreifung, und nur höchst indirekt mit Intelligenz und Ratio zu tun hat - die auch zur Technik werden (können bzw. wurden).
Keine Technik, schreibt Keyserling, vermag das zu leisten. Auch wer sich in geistige Techniken vertieft, wie Yoga, wird seinen wirklichen geistigen Stand nie verbessern - aber er hätte den ihm Erreichten mit Gewißheit auch erreicht, wenn er kein Yoga machte. Geist (und schöpferischer Geist) war immer eine Erscheinung, die aus dem Mühen des Einzelnen hervorging, der sich innerhalb seiner Voraussetzungen zum Geist durchringen konnte. Ja, Geist erwächst überhaupt nur AUS der Überwindung der konkreten Voraussetzungen, bei denen es kein (behavioristisch verstanden) "günstig" oder "ungünstig" gibt, die nur unterschiedlich sind wie es Menschen und Lebenssituationen gibt.
An den Ideen der Massenbeglückung und -erziehung ist also nichts Neues. Sie sind lediglich die Verallgemeinerung einer zum Tier führenden Technik, die früher nur bestimmten Klassen vorbehalten war.
Mit einem gravierenden Unterschied: die heutige (Massen-)Pädagogik behandelt den Menschen BEWUSZT als Tier. Er ist es ihr ursprünglich, und was aus ihm wird ist ein Erfolg natürlicher Anregung in dem Verstand, in dem der Frosch im Laboratorium auf spezifische elektrische Reize unvermeidlich in spezifischer Weise reagiert. Erziehen heißt heute, wünschenswerte Gewohnheiten dem Menschen "einbilden" und unerwünschte "abbauen", genau wie chemische Verbindungen synthetisiert und aufgelöst werden, schreibt Keyserling.*
*Ein wenig sei hier Vorsicht vor den Begriffen angemeldet, denn selbstverständlich hat Erziehung mit der Herausbildung von Gewohnheiten zu tun. Dazu an anderer Stelle. Keyserling bezieht sich in seiner Kritik definitiv und pointiert auf den evolutionistisch ausdeutenden Behaviorismus. Sein Abgrenzungsversuch muß freilich auch als letztlich erfolgloses Unterfangen betrachtet werden, sich vor den Konsequenzen eigener Denkweisen zu schützen, denn Keyserling ist ... Evolutionist, der dennoch den "Geist" zu retten versucht, den er ja selbst in sich erlebt. Denn geistlos ist er gewiß nicht.
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