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Montag, 22. September 2014

Grafschaft Glatz

In einem sich selbst "liberal" nennenden Blog las der VdZ vor einiger Zeit Kommentare, in denen Leser Unverständnis äußerten, daß die Palästinenser sich noch nach 40 Jahren nicht mit der veränderten politischen Lage abgefunden hätten. Und 1947 besetzte Gebiete immer noch als die ihren betrachteten, in die sie zurück wollten. Vermutlich haben die Autoren deshalb keine Ahnung von diesem Thema, weil sie gar keine Heimat kennen.

Die Mutter des VdZ, Gott hab sie selig, verstorben 2009, geboren in Eisersdorf bzw. Glatz (heute: poln. Klotzko), Schlesien, hat sich, obwohl sie 1945 (der beiden bereits geborenen Kinder wegen) nach Österreich geflohen war, nie damit abgefunden, nicht mehr Schlesierin sein zu sollen. Bis zu ihrem Tod hat sie sich geweigert, sich als Österreicherin zu begreifen, und diese Ambivalenz hat sie natürlich auch an ihre 12 Kinder weitergegeben. Solcherart geprägt, hat auch der VdZ nie Wurzeln geschlagen, trotz allen Bemühens das aus der Sehnsucht nach "einer" Heimat befeuert wurde. Nicht Österreicher, nicht Deutscher, nicht Schlesier blieb er was er war - mit einer Gefühlswelt aus Rübezahl, "schlesischer Weihnacht" und Streuselkuchen nirgendwo zugehörig, bis heute. Bad Reinerz und die Heuscheuer haben ihm mehr gesagt als Bad Aussee, in dem er später so manchen Kuraufenthalt absolvieren sollte. Irdische Heimat gibt es ihm nur als Analogie. Aber deshalb vielleicht umso klarer.

Die Mutter des Verfassers blieb heimatlos. Sie hat nie eine andere Heimat gewollt oder angenommen, als ihre schlesische. Auch nicht nach 60 Jahren. Man kann sich die Heimat nicht aussuchen. Erst ihre mittlerweile 60, 70 Enkel und Urenkel wachsen mit einer anderen Heimat als der ihren auf. Für sie ist Schlesien, sofern sie überhaupt noch davon wissen, nur noch ein fernes Motiv, eine Kante in ihrem Charakter, eine Neigung oder eine unbewußte, mehr oder weniger starke Sympathiepräferenz zu diesem, zu jenem. Denn doch - auch in ihnen lebt das Schlesische, ob sie davon wissen wollen oder nicht. Heimat aber kommt von der Mutter. Nur das Vaterland, als notwendige Idee, die erst Heimat irdische Gestalt werden läßt - das ist des Vaters. Aber sie kann nur formen, was an Gemüt vorhanden ist, und was das Material aufzunehmen bereit ist. Materie kommt von mater, Mutter. Bleibt die Materie ablehnend, fehlt es an Gestalt, kann sich (schöpferische) Identität nicht bilden. Einem Land fehlen die Bürger.

Aber es gibt auch kein Zurück. Man kann Zeit nicht wiederholen. Die Mutter zeigte dieselbe Scheu, ja Ablehnung, wenigstens auf Besuch nach Glatz zurückzukehren, wie so viele Schlesier. Entwurzelte bleiben immer zwischen allen Stühlen. Und zwar gerade dann, wenn sie überhaupt noch menschliche Substanz haben.







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