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Freitag, 26. September 2014

Sture Ausführungsagenten (1)

Einen weiteren interessanten Artikel aus der Feder des Hamburger Professors für Volkswirtschaftslehre und Direktors des Hamburgischen WeltWirtschaftsInstituts (HWWI) Thomas Straubhaar findet man in der Welt dieser Tage. Straubhaar zeichnet darin das Bild des typischen amerikanischen Arbeitsnehmers als jemanden, der darauf gedrillt ist, Abläufe zu vollziehen, der aber bis in mittlere Führungsebenen hinaus nicht gewohnt und auch nicht ermächtigt ist, eigene Entscheidungen zu treffen. 

"Das für die USA Typische ist das strikte Durchziehen eines standardisierten Verfahrens, das unbesehen von Amt und Würde, Rang und Namen der Person für alle gleichermaßen automatisiert von A bis Z abgespult wird. Es gibt keinen Pragmatismus, keine Ausnahmen, keine Barmherzigkeit – bestenfalls Mitgefühl, aber keine Toleranz."

Anders als in Deutschland, baut die amerikanische Wirtschaft auf die strenge Befolgung von Prozeduren, von denen es kein Abweichen gibt. Das gibt speziell den deutschen mittelständischen Unternehmen ihre hohe Innovationskraft. Amerikanische Führungskräfte haben hingegen kein Vertrauen in die Qualität ihrer Mitarbeiter. Eine Spirale setzt sich in Gang: Mitarbeiter, die nur noch ausführen dürfen, verlieren ihr schöpferisches Potential, und werden umgekehrt tatsächlich unfähig, notwendige abweichende adhoc-Entscheidungen zu treffen. Diese bleiben dem eigentlichen Führungssektor, den high potentials vorbehalten.

"Es kommt dann zu einer Führung per Handbuch und Checkliste. Vorgänge werden so weit wie möglich standardisiert, damit an alle Eventualitäten gedacht wird und nichts vergessen bleibt. Das schafft Verhaltenssicherheit für die Ausführenden und sorgt für Rechtssicherheit bei den Betroffenen: alles und alle werden gleich – nämlich nach Schema X behandelt. Ermessensspielräume oder gar pragmatische Abweichungen haben da keinen Platz."

Das hat der VdZ seinerzeit hautnah miterlebt, als er als Quality Assurance Manager an der Implementierung eines für internationalen Wirtchaftsverkehr immer mehr obligatorischen ISO-2000-Qualitätssicherheitssystems (QSS) in einem Industriebetrieb arbeitete. Eine Bewegung, die von den USA ausging, wo solche Zertifizierungen für Lieferanten-Kunden-Beziehungen fast, bei offiziellen Aufträgen überhaupt unumgänglich wurden. Jeder Lieferant muß somit  nachweisen, daß auch die von ihm verarbeiteten, von Sublieferanten zugelieferten Produkte diesen Qualitätssicherheitsnormen unterliegen. Passieren dennoch Fehler, soll somit jedes Produkt rückverfolgbar sein, um Fehlerfaktoren auszumerzen. 

Gleichzeitig wird Verantwortung vom Einzelnen genommen, Fehler werden zu Systemproblemen. Solche Systeme gehen immanent oder gar explizit aber davon aus, daß die größte Fehlerquelle der Mensch ist. Also muß er weitgehend ausgeschaltet, und alles auf Abläufe, auf technisch jederzeit reproduzierbare Funktionen reduziert werden. Im Umkehreffekt wird die Leistung der Mitarbeiter immer mehr zu bloßen Kostenfaktoren, und - der Einzelne weniger wert weil jederzeit ersetzbar. Die Steigerung der technischen Qualität der Produkte auf diese Art bringt also zwangsläufig eine neue Gewichtung bei den Löhne und bei den erwarteten Leistungen mit sich, in der der schöpferischere, freiere Mensch zugunsten des barbarischen "Robomaten" unterliegt. 

So kann sich eine ganze Volkswirtschaft zu einem System von funktionieren müssenden Rädchen umgestalten, das nur noch von Zahlen regiert wird. Was in Fällen wie google - neuerlich der Hinweis auf das Buch "Der Circle", als Zustandsbericht immerhin sehr gültig - sogar so weit geht, das Innerste der Menschen aufzubrechen und der Qualitätskontrolle zu unterwerfen, auch dieses dem Systemzweck unterzuordnen. Wohinter natürlich eine mechanistische, materialistische Anthropologie steckt, die den Menschen als Person nicht mehr anerkennt.

Man versteht nach diesem Artikel besser, warum das für die USA als notwendig erachtet wurde, und warum sie in den 1980ern begannen, es auch von ihren weltweiten Lieferanten zu verlangen. Denn solche Systeme zielen genau auf die amerikanischen Verhältnisse ab: Unternehmensprozesse sollen aus der Verantwortung der Mitarbeiter (denen man erst aus Erfahrung, bald aus Prinzip nicht traut, oder umgekehrt) herausgelöst und nach exakt nachvollziehbaren "objektivierten" Abläufen neu geregelt werden. Die Steuerung dieser Systeme passiert dann nach rechnerischen Erfolgs-Kriterien, nach zu findenden Kennzahlen, auf die sämtliche Prozesse heruntergebrochen werden. 

Das kollidiert sehr rasch mit dem in unseren Landen weit höheren Verantwortungs- und vor allem FREIHEITSwillen der Mitarbeiter. Sodaß die Schwierigkeit solcher Systeme darin bestand und besteht, diese individuelle Problemlösungskraft einzubeziehen, um durch starre Abläufe diese schöpferische Kraft nicht abzutöten. Eine Aporie, weil solche Systeme über kurz oder lang die Innovationskraft - weil die Freiheit als Braut des Schöpferischen - zwangsläufig schwächen.





Morgen Teil 2) Aus einer Fußnote entwickelter Diskurs: Die Revolution der Mittelschichte



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