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Sonntag, 14. September 2014

Fehlbildung der Zeit: Narzißmus (1)

In der narzißtischen Charakterformung bleibt der Mensch in der Phase der bloßen Bewußtheit des Erlebens. Er erhebt sich aber nicht zur Diskriminierung in ein Ich bzw. als EINZELNES, letztlich also immer einsames Ich, das den Bewußtseinsinhalten GEGENÜBERsteht. Sein Bewußtsein bleibt in den Erlebnisinhalten, bzw. dem aus dem Bewußtwerden (wie es etwa das Wissen im "ich freue/ärgere etc. mich" bedeutet) verhaftet.

Das kann mit fehlendem Mut zu dieser Erhebung zu tun haben, begleitet mit der Angst von dieser Eingebundenheit (die eine Eingebundenheit in den Mutterschoß ist) aufstehen zu müssen, "auf daß es um den Arsch zieht", wie der VdZ das einmal nannte. Die narzißtische Bildung aber hängt wohl ausschließlich mit der fehlenden Vater-Mutter-Differenzierung zusammen, und zwar als zu starke Bindung an die Mutter. Sei es aus Depotenzierung oder sonstiger Schwächung des Vaters, sei es dominierende Mutter/Frau. 

Deshalb kann der Narziß (den es als Phänomen natürlich nicht nur graduell gibt, sondern auch temporär, auch sequentiell) nicht unterscheiden, was in seinem Bewußtsein vorhanden ist und was davon ER ist, sein ICH betrifft. Was immer in sein solcherart embryonales (Gesamt-)Bewußtsein, das er natürlich mit der Zeit, in der seine Berührungen zur Umwelt rein quantitativ wachsen, zu gewisser Vollgestalt auszubauen versucht (so, wie man einen Baukasten zusammenstellt, getragen von dem Verlangen, in diesem Selbstgefühl der wohligen Einbettung zu verbleiben). Ja, selbst die Einheit seines Bewußtseins versucht er herzustellen, indem er dieses bewußte "Denken" - das ein Wortspiel ist - in gewisse Konsistenz, Widerspruchsfreiheit bringt.

Die Reflexivität wird nur noch zur Selbstvergewisserung, wieweit dem (in seiner Verhaftetheit begründeten) Gesollten in den Vorhandenheiten an Bewußtem (Gefühle, Gedanken) entsprochen wird, sie wird nicht mehr zum Urteilsvorgang vom Ich aus, um sich selbst auch einordnen zu können. (Der Narziß kann sich nicht mehr einordnen, er kennt seine Stellung auch zu anderen Menschen nicht mehr, er kennt deshalb auch Respekt als ontologische Aussage nicht mehr. Er meint ja, was in ihm auftaucht, auch zu "können", zu "besitzen". Sein Bewußtes bleibt in rationalem Spiel der Selbsterhaltung gefangen.)

Denn er kann nicht nur sich selbst nicht objektivieren, zurücktreten und damit auch über sich und sein Tun ein Urteil fällen, sondern er kann sich von anderen auch nicht unterscheiden. Respektive bleibt dieses Unterscheiden ein reines Gedanken-, Meinungsding. So meint er auch, angeglichene Meinung sei angeglichene Persönlichkeit. Ihm fehlt dieses Entscheidungskriterium des Urteils, und damit das, was man erst "Erkenntnis" nennen könnte. (Deshalb wird Entstaltung oder/und Neid - samt ihren voluntaristischen Umkehrungen: Ästhetizismus, Voluntarismus, Moralismus, oder bewußte "Toleranz", oder Verwahrlosung als phänomenologisch pervertierte "Bescheidenheit" - zum bestimmenden, oft gar nicht leicht zu erkennenden Merkmal.)

Gleichzeitig fehlt ihm ja die Möglichkeit, Bewußtseinsinhalte mit Herkunft zu verknüpfen. Denn er kann diese Bewußtseinsinhalte eben nicht objektivieren. Er vermag sie nur durch die Mangel seines Vor-Ich-"Denkens" (dem, was man auch als Pseudologie bezeichnen kann) zu drehen. Gedanken anderer sind ihm damit auch nicht als Gedanken anderer bewußt, sondern weil er alles in diese Fehlbildung seines solcherart gar nie ausgebildeten Selbst investiert, ist ihm jeder Gedanke auch er selbst. Sein Bewußtsein wird ihm sohin zum Sein selbst.

Übrigens, und nur nebenbei: Es ist typisch für den Narzißmus, Ergebnisse von Analysen als Verdienste oder Schuld zu "sehen". (Selbst das sogenannte ADHS hat hier ja seine Ursprungsverknüpfungen.) In gewisser Hinsicht ist der Narzißmus aber "lediglich" eine Gegenreaktion, in der sich ein Ich in ein Selbst retten will, dem es an Kraft fehlt, weil es ihm an Einbindung in tiefliegenden, in gewisser Hinsicht ersten (kollektiven, mehr auf die Art also abzielenden) Identitätsschichten fehlt. Somit fehlt seinem Ich die Urteilsrelevanz, wurde indirekt entmutigt oder bewußt zerstört. Die "Schuld" daran trägt aber im Wesentlichen (und hier einmal tatsächlich) die Umgebung. Nur ist das kein Grund, die Selbstwerdung (als Verhaftung im Narzißmus) später zu verweigern!* Schuld als Faktor beginnt also erst beim erwachsen Werdenden relevant zu werden (dann aber: sehr relevant), wo diese Selbsterrichtung VOM ICH AUS verweigert wird. Denn im Erwachsen(d)en stellt sich genau dieses Ich als Quelle des zu errichtenden Selbst unweigerlich vor.



Nächsten Sonntag Teil 2) Symptome der Verweigerung der Selbstwerdung - 
Ursachenbild der Zeit




*Man kann gerade in diesem Punkt häufig simple Trotzreaktionen (des Kindes) beobachten, die bis ins Alter gepflegt werden, oder sogar zu allgemeinen Theorien werden. Die nach dem Motto verlaufen: "Selber schuld, der Vater, wenn mir die Hände erfrieren, hätte er mir eben einen ordentlichen Mantel gekauft!"





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