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Samstag, 13. September 2014

Was lange währt

Es hat ein wenig gedauert, aber nun kann die FAZ wohl auch nicht mehr darüberhinwegsehen. Denn es liegen nun Berichte von Amnesty International vor, die man nicht mehr so einfach umgehen kann. Und die werfen ein etwas anderes Bild auf die Kämpfe in der Ukraine. Dort stehen sich nämlich nicht eine offizielle ukrainische Armee und Separatisten gegenüber, welch letztere mit Mißhandlungen in die Listen der NGO kamen, sondern eine Privatarmee, ausgerüstet, aufgestellt und bezahlt von ukrainischen Oligarchen.

Erst hört sich der Bericht über die Freiwilligen, die alles stehen und liegen ließen, um an die Front zu eilen, um ihre Heimat zu verteidigen, freilich in der FAZ noch wie eine fromme Legende an:

Diese Männer und Frauen, die sich oft mitten aus dem Berufs- und Familienleben an die Front gemeldet haben, um die im Winter erkämpfte Demokratie gegen die Intervention aus Russland zu verteidigen, können mit Recht als eine Wiederkehr des Scharnhorstschen Bürgersoldaten, des „geborenen Verteidigers“ seines Staates, gelten.

Dann aber muß die Zeitung doch eingestehen, was jeder aufmerksame Medienstudierende seit Monaten ohnehin längst lesen konnte:

Allerdings zeigen die Vorwürfe von Amnesty International, dass das nicht die ganze Wahrheit ist. Weil das Freiwilligenheer der ukrainischen Revolution in rasender Eile während eines schon tobenden Krieges aufgestellt werden musste, weil man damals offenbar glaubte, jeden nehmen zu müssen, der sich meldete, haben sich unter die demokratischen Aktivisten des „Majdan“ auch zweifelhafte Elemente mischen können.
Oligarchen wie der Milliardär Ihor Kolomojskij haben als Großspender mehrerer Bataillone praktisch Privatarmeen aufgestellt. Die bisher bedeutungslose rechtsextremistische Organisation „Sozial Nationale Versammlung“ (SNA) hat die Gunst der Stunde genutzt und unter ihrem Führer Andrij Biletzkij das Bataillon „Asow“ gegründet.

Diese Verbände sind es in erster Linie, die die Last der Kämpfe um die "erst im Dezember errungene Demokratie" tragen. Und mit ihnen ist - eiderdautz - gar nicht zu spaßen. Und für die "mühsam errungene Demokratie" kämpfen sie auch nicht. Für die will in der Ukraine offenbar nämlich gar niemand kämpfen. Nicht die Armee, die kaum existent zu sein scheint, und auch nicht die Helden der Volkserhebung.

Jetzt spielt sie [die SNA; Anm.] eine Hauptrolle bei der Verteidigung der Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer. Biletzkijs Stellvertreter Oleh Odnoroschenko hat dieser Zeitung die Verbindung des Bataillons zur SNA bestätigt und hinzugefügt, zu den Zielen seiner Organisation gehöre es, die „rassische Identität Europas“ zu bewahren. Die Demokratie sei die schlechteste aller Staatsformen. Andere Feldkommandanten, wie Dmito Jarosch vom sogenannten „Rechten Sektor“, haben schon gelegentlich gedroht, die Waffen gegen die eigene Führung zu richten, falls bestimmte innenpolitische Forderungen nicht erfüllt würden.

Freilich schwächt die FAZ gleich ab, ehe ein etwas anderer Blick auf den Konflikt in der Ukraine fallen könnte, und sich die Untauglichkeit des schönen Archetyps der um Freiheit ringenden Unterdrückten zu deutlich erweist: denn natürlich sind es nur einzelne Elemente, die so denken, so handeln. Die muß man halt dringend unter Kontrolle bringen, "ehe" das Streben der Ukraine in schiefes Licht geraten könnte. Nur: das war es ohnehin von letzten Dezember an. Nur nicht für die FAZ, die halt sah, was sie gerne sehen wollte, oder sehen zu müssen meinte.

Natürlich kann ein Staat seine Souveränititsbehauptung, die bis zur Selbstverteidigung gehen können muß, in letzterer Form auch delegieren. Dazu muß er sich noch nicht aufgeben. Schwächen freilich (man denke an Wallenstein) tut er sich allemal. Aber was ist das für ein Staat, der gar keine offizielle Verteidigung auf die Füße bringt, weil er von der Bevölkerung gar nicht getragen wird? Denn von der will ein offenbar großer Teil zwar wohl schon dringend bei amazon per neuem iPod bestellen und leben wie in New York oder Hamburg, aber ansonsten hätte er gerne seine Ruhe. 

Staaten, so schreibt immerhin die 1998 heiliggesprochene Edith Stein in ihrer philosophischen Analyse des Staates, können nur aus dem gemeinsamen Selbstbehauptungswillen einer Gemeinschaft entstehen. Dazu müssen sie nicht einmal explizit ausgerufen sein, denn dieser Wille ist entscheidend. Umgekehrt, wenn dieser Volkswille zu einem Staat, der wesentlich darin besteht, in einer institutionalisierten Staatsmacht Gewalt und Gesetz "selbstherrlich" in der Hand zu halten und selbst darüber zu bestimmen, was in einem Staatsvolk gelten soll und was nicht, gar nicht existiert, mag man einen Staat wohl behaupten, aber er ist nicht. Und er ist schon gar nicht, wenn seine Einrichtungen lediglich Einzelinteressen dienen  Dann wird er zur Beute.






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