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Sonntag, 21. September 2014

Fehlbildung der Zeit: Narzißmus (2)

Teil 2) Symptome der Verweigerung der Selbstwerdung - Ursachenbild der Zeit





Die narzißtische (Schein-)Persönlichkeit (als das Profil, das "der Welt begegnet" bzw. hier: ihr gezeigt werden soll) wird konstruiert (rationalistisch/pseudologisch), seine Fähigkeit Widersprüche zu verarbeiten hängt von der Elastizität der eingebauten Theorien selbst ab. Denn während die eigentliche Wahrnehmung ausfällt, ist dem Erlebensbewußtsein natürlich alles "wahr", denn dort ist selbstverständlich "wahr", was vorhanden ist.*

Das macht auch klar, warum Narzißmus als eine der grundlegenden Zeitkrankheiten zu betrachten ist. Das macht auch klar, warum heute so auffällig zu beobachten ist, daß Menschen "meinen", so und so zu sein, aber nicht bemerken, daß sie "ganz anders" SIND, als sie selbst von sich meinen. Sie "sehen" im wahrsten Sinn nicht, was sie wirklich tun, sehen auch nicht die Diskrepanz zwischen dem, was sie tun, und dem was sie meinen daß sie täten. Denn ihr bewußtes, ihnen bewußt werdendes Denken - als der eigentliche Ort ihres (reduzierten) "Ich" - IST ja dem Wunschbild entsprechend. Und sie tun auch alles, um mit größter Gier an der Perfektionierung dieses ihres Gedankenbildes zu arbeiten. Nichts bereitet ihnen mehr Unruhe als Widerspruch, denn er betrifft sie in den Fundamenten, auf denen "sie" stehen. Man erträgt Widerspruch nicht, er trifft sie an ihrer empfindlichsten Stelle, der verweigerten, versäumten Ablösung ihres Ich, in der sie ihr Verhalten etc. ja erst - objektiv werdend - beurteilen könnten. Um sehen zu können, was IST, was Sein bedeutet.

Speziell die jungen Menschen der Gegenwart also leben deshalb in einem einzigen "Strudel", einer einzigen Fortgerissenheit, ohne daß sie es noch sehen könnten. (Ja, sie können überhaupt nichts mehr sehen, weil es ihnen an der Fähigkeit zur Objektbildung fehlt; ihnen ist Objekt und Subjekt immer ident.) Einmal mehr zeigt sich die Bedeutung einer kulturell definierten "Identität", die der Gleichheitsswahn der Gegenwart im Nahen sogenannter Gerechtigkeit (als Fehlen von Vorbestimmtheiten) auslöschen möchte. Denn im Ergreifen einer erst einmal (beim jungen Menschen) vordefinierten Ich-Einheit (als Objekt in der Welt) erfährt der junge Mensch sich entscheidend als eben ein "einsames Ich", als diskriminiert, losgelöst von der Umwelt, und damit auch losgelöst vom Erlebten, das er auf die Werturteile hin, die sich mit der Identität verbinden, erst einmal zu bewerten, zu beurteilen lernt. So lernt er auch, sich seinem eigenen Verhalten gegenüber zu sehen, lernt sich zu objektivieren, als von seinem Erleben distanziert zu begreifen, zu dem er sich urteilend verhalten kann, ja muß.

Das häufig alleine als Narzißmus konstatierte "Selbstbetrachten", die (hier sogar fehlverstandene, also nur landläufig so bezeichnete) "Eitelkeit", zeigt ja dasselbe Schema: Die "kritische" Beurteilung des Aussehens nach allgemein für gut geheißenen Einzelkriterien. Weshalb "Gebrauchsfähigkeit" heute zum "Schönheitsideal" mutiert ist, während die Wahrheit, daß jeder, wirklich jeder seinen Weg zur Schönheit (als Glanz der Selbstidentität) hat und finden muß, praktisch verschwunden ist (oder, im Narzißmus, in eine simple, kriterienlose Selbstgefälligkeit entartet).**


Nächsten Sonntag Folge 3) Wo das Menschsein erst beginnt
(auch wenn es nie genommen werden kann)




*Hier spielt natürlich die Gefühlskomponente ihre oft verhängnisvolle Rolle, gerade wenn man die intensivsten Gefühle der sexuellen Lust betrachtet: Narzißmus hat hier sein größtes und verhängnisvollstes Territorium. Und die heutige Konzentration auf sexuelle Lust liegt in ihrer Rolle im Narzißmus begründet.

**Man beachte nur die enorme Zunahme der Eßstörungen. Worunter nicht nur Bulimie gemeint ist, sondern auch der Vegetarismus z. B. als moralisierende Lebensform. Übrigens wird kaum davon gesprochen, daß letzteres medizinisch auch eine Zunahme von Allergieanfälligkeit und gesundheitlicher Labilität im Allgemeinen bedeutet.





*210914*