Teil 2) Symptome der Verweigerung der Selbstwerdung - Ursachenbild der Zeit
Die narzißtische (Schein-)Persönlichkeit (als das Profil, das "der Welt begegnet" bzw. hier: ihr gezeigt werden soll) wird konstruiert (rationalistisch/pseudologisch), seine Fähigkeit Widersprüche zu verarbeiten hängt von der Elastizität der eingebauten Theorien selbst ab. Denn während die eigentliche Wahrnehmung ausfällt, ist dem Erlebensbewußtsein natürlich alles "wahr", denn dort ist selbstverständlich "wahr", was vorhanden ist.*
Das macht auch klar, warum Narzißmus als eine der grundlegenden Zeitkrankheiten zu betrachten ist. Das macht auch klar, warum heute so auffällig zu beobachten ist, daß Menschen "meinen", so und so zu sein, aber nicht bemerken, daß sie "ganz anders" SIND, als sie selbst von sich meinen. Sie "sehen" im wahrsten Sinn nicht, was sie wirklich tun, sehen auch nicht die Diskrepanz zwischen dem, was sie tun, und dem was sie meinen daß sie täten. Denn ihr bewußtes, ihnen bewußt werdendes Denken - als der eigentliche Ort ihres (reduzierten) "Ich" - IST ja dem Wunschbild entsprechend. Und sie tun auch alles, um mit größter Gier an der Perfektionierung dieses ihres Gedankenbildes zu arbeiten. Nichts bereitet ihnen mehr Unruhe als Widerspruch, denn er betrifft sie in den Fundamenten, auf denen "sie" stehen. Man erträgt Widerspruch nicht, er trifft sie an ihrer empfindlichsten Stelle, der verweigerten, versäumten Ablösung ihres Ich, in der sie ihr Verhalten etc. ja erst - objektiv werdend - beurteilen könnten. Um sehen zu können, was IST, was Sein bedeutet.
Speziell
die jungen Menschen der Gegenwart also leben deshalb in einem einzigen
"Strudel", einer einzigen Fortgerissenheit, ohne daß sie es noch sehen
könnten. (Ja, sie können überhaupt nichts mehr sehen, weil es ihnen an
der Fähigkeit zur Objektbildung fehlt; ihnen ist Objekt und Subjekt
immer ident.) Einmal mehr zeigt sich die Bedeutung einer kulturell
definierten "Identität", die der Gleichheitsswahn der Gegenwart im Nahen
sogenannter Gerechtigkeit (als Fehlen von Vorbestimmtheiten) auslöschen
möchte. Denn im Ergreifen einer erst einmal (beim jungen Menschen)
vordefinierten Ich-Einheit (als Objekt in der Welt) erfährt der junge
Mensch sich entscheidend als eben ein "einsames Ich", als diskriminiert,
losgelöst von der Umwelt, und damit auch losgelöst vom Erlebten, das er
auf die Werturteile hin, die sich mit der Identität verbinden, erst
einmal zu bewerten, zu beurteilen lernt. So lernt er auch, sich seinem
eigenen Verhalten gegenüber zu sehen, lernt sich zu objektivieren, als
von seinem Erleben distanziert zu begreifen, zu dem er sich urteilend
verhalten kann, ja muß.
Das häufig alleine als Narzißmus konstatierte "Selbstbetrachten", die (hier sogar fehlverstandene, also nur landläufig so bezeichnete) "Eitelkeit", zeigt ja dasselbe Schema: Die "kritische" Beurteilung des Aussehens nach allgemein für gut geheißenen Einzelkriterien. Weshalb "Gebrauchsfähigkeit" heute zum "Schönheitsideal" mutiert ist, während die Wahrheit, daß jeder, wirklich jeder seinen Weg zur Schönheit (als Glanz der Selbstidentität) hat und finden muß, praktisch verschwunden ist (oder, im Narzißmus, in eine simple, kriterienlose Selbstgefälligkeit entartet).**
Das häufig alleine als Narzißmus konstatierte "Selbstbetrachten", die (hier sogar fehlverstandene, also nur landläufig so bezeichnete) "Eitelkeit", zeigt ja dasselbe Schema: Die "kritische" Beurteilung des Aussehens nach allgemein für gut geheißenen Einzelkriterien. Weshalb "Gebrauchsfähigkeit" heute zum "Schönheitsideal" mutiert ist, während die Wahrheit, daß jeder, wirklich jeder seinen Weg zur Schönheit (als Glanz der Selbstidentität) hat und finden muß, praktisch verschwunden ist (oder, im Narzißmus, in eine simple, kriterienlose Selbstgefälligkeit entartet).**
Nächsten Sonntag Folge 3) Wo das Menschsein erst beginnt
(auch wenn es nie genommen werden kann)
*Hier spielt natürlich die Gefühlskomponente ihre oft
verhängnisvolle Rolle, gerade wenn man die intensivsten Gefühle der
sexuellen Lust betrachtet: Narzißmus hat hier sein größtes und
verhängnisvollstes Territorium. Und die heutige Konzentration auf
sexuelle Lust liegt in ihrer Rolle im Narzißmus begründet.
**Man beachte nur die enorme
Zunahme der Eßstörungen. Worunter nicht nur Bulimie gemeint ist, sondern
auch der Vegetarismus z. B. als moralisierende Lebensform. Übrigens
wird kaum davon gesprochen, daß letzteres medizinisch auch eine Zunahme
von Allergieanfälligkeit und gesundheitlicher Labilität im Allgemeinen
bedeutet.
*210914*