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Mittwoch, 10. September 2014

Gegenwart ist immer chaotisch

Die Frage um Ordnung in weltlichen Dingen und Abläufen ist immer nur eine Frage von "mehr oder weniger" Ordnung. Jedes zwischenmenschliche System, jedes Kultursystem aber ist immer eine letztlich chaotische Situation. Und am besten tatsächlich mit hochkomplexen Systemen, wie sie die Kinetik beschreibt, vergleichbar. 

Denn die "reinen Wirkfaktoren" sind eine Illusion, die aus einer - nicht zuletzt der Verbildung entstammenden - Mißdeutung physikalischer Idealität entstammen. In der die Menschen weithin glauben, die Situationen, in denen sie sich täglich finden, 

in den Partnerschaften, in den Familien, in den Nachbarschaften, im Beruf, in der Gemeinde, in den ändern, in den Staaten, in der Weltgemeinschaft,

wären gleichfalls in solche idealen Ursache-Wirkungs-Verhältnisse auflösbar. Aber das sind sie nicht. Und das werden sie niemals sein. Sie haben nur eine Ebene, innerhalb deren jede

Wenn der Mensch sich aber nicht im Sein selbst, in Gott verankern kann, wenn er dieser Ordnung und Sinnhaftigkeit des Seins nicht mehr vertraut, deren genaue Lage er aber nie erkennen wird können, kann er gar nicht anders als am Ganzen zu verzweifeln. Und er wird sich im Einzelnen Hilfskonstrukte zu schaffen, bzw. ihnen anzuhängen. Einfachen Theorien, einfachen Welterklärungen, "klaren" Urteilen über gut und böse, richtig und falsch. Um sich so ein Absolutes, ohne das der Mensch gar nicht zu leben vermag, wenigstens vorzugaukeln.

Nun darf man freilich nicht übersehen, daß es gut und böse, wahr und falsch tatsächlich und absolut GIBT. Aber man darf auch nicht übersehen, daß der Mensch dazu berufen ist, seine Freiheitsmöglichkeit zu aktualisieren. Als Ebenbild Gottes ist er dazu berufen, sich aus sich selbst - als Person - zu halten. In diesem Selbststand, in diesem unendlichen Abstand, erfolgt die größte Einheit mit dem Sein selbst, die größte Anähnlichung mit Gott. Dazu muß er den Abgrund der Einsamkeit überschreiten, weil aushalten. Nichts und niemand wird ihm je diese Pflicht, diesen Ruf zum Selbstsein abnehmen können. 

Das heißt also auch, daß der Mensch sich Urteile bilden MUSZ. Und aus diesen Urteilen sich auch einen Entscheidungshorizont errichten muß, auf den hin er das Gute finden und lieben muß. Dazu braucht es Läuterung, dazu braucht es sittliche Wahrhaftigkeit und Reinheit. (Welche Begriffe nur am Rande mit Moral und schon gar Moralismus zu tun haben.)

Das heißt aber auch, daß er der Versuchung widerstehen muß, zu einfachen Systemen, die sich mit innerweltlicher Logik ergeben, die die Welt in diese einfachen Wirkverhältnisse auflösen, und zwar so, als würde man eine Wolke auf die chemische Formel H2O auflösen, Zuflucht zu nehmen. Erwachsenwerden heißt damit genau das: Es heißt, die Insecuritas nicht nur ertragen zu lernen (das könnte der nihlistische Existentialismus gleichermaßen), sondern dennoch die Welt als in einer Ordnung gehalten zu begreifen (nicht, sie idealistisch dazu zu "machen"), weil in diesem Begreifen sich die Welt erst tatsächlich als Ordnung herausstellt.

Aber als eine Ordnung, die unser Begreifen übersteigt.

Weil aber alles, was uns begegnet, in unserer menschlichen Betrachtungsmöglichkeit als (fast Leibniz'sche "Monade" zu begreifen) Konglomerat unterschiedlichsten, vor allem aber mannigfaltigsten, ja unendlichen Wirkens sich darstellt, im Rahmen einer Welt, die als unendliches, dabei sich ohnendlich veränderndes Mosaik eines Ganzen (des Seins) am besten noch vorstellbar ist, ist die einzige Art, ihr adäquat zu begegnen, die Offenheit für dieses Unendliche, uns als Menschen sui generis NIE begreifbare Insgesamt der Schöpfung zu finden und durchzutragen. 

Die Welt ist also im Eigentlichsten - Poesie. Und der Zugang zu ihr, der adäquate Zugang zu ihr, auch im Begreifen als Einswerden, als eigentliches Aneignen, in Prozessen der Wechselseitigkeit (wenn auch nicht Gleichheit von allem mit allem), ist ein schöpferisches Tun. Es ist NICHT die erstarrte Festnagelung des Begegnenden in quasi für sich bestehende Mechanismen, deren Bestandteile zu suchen jene Erkenntnis wäre.  Es ist das mutige Ertragen einer Insecuritas, weil die eigentliche Dimension der Welt, ihre wirkliche Wirklichkeit, ein personaler Prozeß des Gegenüber mit Gott ist.*

Die praktische Relevanz dieser Andeutungen, dieser Hinweisungen ergibt sich gerade in diesen Tagen von selbst. Wo sich nach einigen Jahrzehnten, in denen dieses Chaos zwangsläufig durch Teillähmungen von Weltvorgängen (durch unvollkommene, "linearistische", dimensionsreduktive Denkweisen) zu immer komplexeren, letztlich aber längst unsteuerbaren** Situationen führt.

Umgekehrt ist das nicht als Aufforderung zum Irrationalismus zu verstehen, der solchen Phasen gerne folgt, und zum Chaos einer zerfallenden Hilfsordnung auch noch die Hölle - als unentfliehbarer Zustand der Unordnung - hinzufügt. Die Welt IST in einer Ordnung. Aber diese Ordnugn kennt nur Gott. Aus logischen Gründen, nicht aus Gründen eines simplen Dogmatizismus, nachvollziehbar bis zu einem Punkt, den man als höchstvernünftig bezeichnen muß, der nie aber irrational ist. Zu einem Punkt, an dem die Vorsehung Gottes, dem Sein selbst, in diese Vernunftfähigkeit des Menschen eingreift wie ein Zahnrad ins andere. Und so Welt begreifen läßt, im Licht des Unendlichen (hier ist das Wort tief angebracht), ohne sie in angstvoll verabsolutierte Teilsysteme einfrieren zu müssen.

Erst diese Position bietet auch Schutz vor der Verfallenheit an Thesen, die allesamt, selbst dort wo sie als "vernünftig-rational" deklariert werden, zu Verschwörungstheorien werden. In der Physik nicht anders, als in der Politik oder im Familienleben. Ja, sie verlieren selbst das, was heute eine so strahlende Krone für viele ist, dabei aber so oft nur noch billiges Plastik mit Kunststoffsteinen ist: die Wissenschaftlichkeit. Für sich, auf bestimmten Ebenen, haben so gut wie alle dieser Thesen irgendwo einen Funken Wahrheit. Denn die wirkliche Lüge lügt nicht mit falschen Daten und Tatsachen. Danach, nach einer gewissermaßen simplen Empirik, lassen sich Aussagen so gut wie nie beurteilen. Sie lügt mit deren Ordnung zu Fakten und Theorien, zu Aussagen über die Welt selbst.

Mehr als Symbole haben wir nicht, in dieser unserer Welt.




*In der Selbstüberschreitung, der Hingabe an das Sein, einem Ausstrecken danach vergleichbar, schwingt das Seiende (das sich dem Sein selbst verdankt) modal, akthaft ins Sein zurück. Nicht durch Festhalten quasi, sondern durch Hinaustreten zum Sein hin, von wo es sich selbst wiederum empfängt. Ein Akt, der jedem Lebenden aufgegeben ist, erst im Menschen aber auch im Geist selbst gründet und gegründet werden muß, worin sich die ursprungshafte Ewigkeitsanlage des Menschen, als Analogie zu Gott, aber von diesem (reinen Geist) abhängig, zeigt. (Man vergleiche dazu die hervorragend nachvollziehbaren, klaren, diesen Gedankengang wesentlich weiter ausschöpfenden Gedanken von Heinrich Beck in "Der Aktcharakter des Seins", oder etwa Hans André in "Annäherung durch Abstand", welch letzterer die so handgreifliche Realität dieser geistigen Strukturen etwa in botanischen Vorgängen aufzeigt, deren Sinn sich erst so zu erschließen beginnt.)

**Man beachte etwas eine Ausage wie die des deutschen Finanzministers Schäuble, die er in diesen Tagen machte, als er davon sprach, daß die Volkswirtschaftsprozesse durch politische Maßnahmen nicht mehr steuerbar seien. Wie es längst in Japan passiert ist. Die vitale Unermeßlichkeit von Wirklichkeiten bricht eben irgendwann durch, während jede menschliche Regelung aus der natürlichen, nie zu beseitigenden Neigung des Menschen zum Fehlverhalten, zum Irrtum, zur - im obigen Sinn - Unsittlichkeit, immer ihre Geburtsfehler in sich trägt. Die irgendwann, wie in erwähnten komplexen Systemen, einen kritischen und schließlich hochkritischen Zustand annehmen, in dem sie "unberechenbar" reagieren. Die sich dann als Crash oder als Krieg, jedenfalls als Umbruchszeit offenbaren. Solche Zusammenbrüche mit aller Kraft und um jeden Preis vermeiden zu wollen ist übrigens aus demselben pseudo-wissenschaftlichen Ungeist geboren, der unser Denken schon so geschädigt hat.





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