Noch einmal Volker Pispers. Aus einem bestimmten Grund. Denn was er da so nebenbei sagt, und vielleicht nicht einmal so meint, illustriert etwas Bestimmtes, das sich hier immer wieder zum Umgang mit Migranten und deren "Integration" findet: Um friedlich in einem Land leben zu können, muß die gemeinsame Schnittmenge der Bevölkerungsgruppen nicht groß sein. Sie müssen sich in ihrer eigenen Lebensform nur in Ruhe lassen. Als Parallelwelten, die sich dennoch unter einem Staat, einem Vaterland finden. Das heißt nicht weniger "Identität", und in der derzeitigen Situation (Österreich hat bereits 25 Prozent Bevölkerung mit aktuellem "Migrationshintergrund") sowieso. Denn Identität kann nur lokal, regional, aus der Familie herstammen, und greift von dort aus in größere Kreise ein. Unterscheidet sich also, einen Staat betreffend, ein Zuwanderer, der eine andere Sprache spricht, wirklich so fundamental von einem "Eingesessenen"? Diese Frage muß sich speziell Österreich stellen, dessen Gründungsgedanke territorial, nicht menschenbezogen war, und wo es Einheimische gar nicht anders gibt als in Migrationsform. Eine geeinte völkische Gruppe (in größerem Umfang) hat es hier gar nie gegeben, sieht man von Tirol etwas ab.
Das Identitätsband, das alles umfaßte, war also immer sehr schmal, und es war vor allem nur auf einen bestimmten Bereich bezogen - den des Staates. Und das hat auch nichts mit Sprache zu tun. 1918 gab es in der Monarchie 15 oder 20 offizielle Sprachgruppen. Deshalb war eine österreichische Identität schon lange nicht mehr mit der deutschen deckungsgleich, und sie wurde es historisch immer weniger. Die Zurücklegung der Kaiserkrone 1806 war also keineswegs zusammenhanglos und bloß persönliche Willkür des Habsburgerkaisers. Sie hatte einen viel tieferen, nur unbewußteren Grund.
Wer meint, es müßten alle integriert (=kulturell assimiliert) werden, Zuwanderer müßten (deutsche, österreichische) kulturelle Identität annehmen, ist häufig also jemand, der gar keine Identität mehr hat. Denn was ist "deutsche Identität"? Das gilt nicht weniger für Türken. Hier spricht Pispers etwas Erstaunliches an: Die Zuwanderer zur Assimilierung zwingen zu wollen könnte schlicht und ergreifend in Neid begründet liegen. Es knüpft aber an einen Nationalismus an, dessen Grundbezug höchst fraglich ist.
Einen geeinten kulturellen Raum, der gewiß irgendwie gewachsen ist, über die Jahrhunderte, hier mehr, dort weniger, hat man mit der Entscheidung, so viele Zuwanderer zuzulassen bereits vorentschieden - und aufgegeben. Aber weil er vom Land ausgeht, das immer noch die Lebensbedingungen im ersten Grund vorgibt und die Lebensform prägt, kann sich so über weitere Jahrhunderte und Generationen allmählich doch wieder wachsen bzw. sich (im wahrsten Sinn) von den Lebenswurzeln her reformieren. Solange aber wird es Parallelwelten geben, weil geben müssen, in denen jeder Zuwanderer diese eine vorhandene Kultur vorerst und unweigerlich in eine Krise bringt.
Das einzige "Integrationskonzept", so meint der VdZ, das überhaupt möglich ist, will man sich nicht auf letztlich irrationale und gewaltsame, aber sinnlose Auseinandersetzungen einlassen, ist das Akzeptieren eines politisch längst entschiedenen Wegs in die Zukunft. Und das heißt: Parallelwelten, wo es nur regional je bestimmt zu kulturellen, auch regional quasi abgegrenzten Lebenswelten kommt, die das einende Band "Staat" allmählich zur maximal möglichen Synthese zusammenführt. Es war in der Monarchie, ja in der gesamten europäischen Geschichte doch nie anders?
Ja mehr noch, ja sieh da: Wer die aktuelle europäische Geschichte ansieht, mit ihren Spannungen aus Separationsbewegungen, Regionalautonomien und Staatsgebilden könnte glatt zur Auffassung kommen, daß sich hier eine generelle Umbildung der Staatsbegriffe abspielt, vor unseren Augen - in welcher Europa wieder WEG von "Staat = Rasse und Sprache und genetisches Volk" geht - eine Umbildung zu einem Reichsbegriff notwendig wird. Ohne daß ihr aber derzeit noch ein Staat begegnen könnte. Selbst der Ukraine-Konflikt zeigt genau das.
*200914*