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Dienstag, 18. Mai 2021

Als wär's nie dagelegen

Von Leser R erreichte den VdZ dieser Tage ein herzerwärmendes Schreiben. Immer wieder einmal, so R, blättere er in diesem einer Enzyklopädie gleichkommenden Blog auch in alten Artikeln. Und während er so suche, so R, bleibe dann sein Auge irgendwo hängen. Er lese und lese ... und könne nicht mehr aufhören. Denn die Artikel seien dermaßen gut, daß es ihn umhaue. So wie dieser da, der vor ziemlich genau zehn Jahren veröffentlicht wurde. Und so schickte diese treue Leserseele auch noch eine Reihe weiterer Artikellinks mit, die seiner Meinung nach einer Relektüre immer wieder wert seien.

Naja, dachte der VdZ, warum also nicht auch Ihnen, werter Leser, erneut servieren? Ich meine, wer kann das schon alles lesen, hier liegen (immer noch) an die 10.000 Artikel bereit. Und auch der VdZ liest so manches Büchlein ja wieder und wieder, und gar nicht so selten kommt es ihm vor, daß er das, was er da sicher schon einmal gelesen hat, die Anstreichungen und Bemerkungen legen einen Eid dafür ab, zum ersten Mal vor Augen hat. 

Es ist ein schönes Zeugnis dafür, daß die Zeit jeden Menschen verändert. Einmal als Zeit alleine, nur durch die Dauer und das eigene Gewöse in der Seele, und dann durch die Verbindungen mit der Welt, dem also, was man Geschichte nennt. Und so manch eines Tages findet man also dann ein und dasselbe Ding unter völlig anderem, neuem Licht, als hätte man eine Neuentdeckung gemacht. Plötzlich liegt da etwas vor einem, das man noch nie - ich schwör's! - gesehen hat. Weil es sicher - und wie! - nicht "da" war. Und wie zeitgemäß es wirkt!

Jaja, Erinnerung und Zeitgemäßheit. Als hätte das etwas miteinander zu tun ...


Am 11. April 2011 stand also unter "Symptome der Schwäche" Folgendes zu lesen:

Ohne Zweifel wirkt Gemeinschaftsbildung verstärkend auf den Nachahmungstrieb. Selbstwerdung aber ist wesentlich bedingt durch Überwindung der Imitation - und der Herausbildung eigener Gestalt und Form, nenne man es Erwachsenheit: Für-sich-sein.

Verhaftet einer Gemeinschaft, wird Identität zunehmend von ihr abhängig, und unfreie Kollektivform. Ohne klar herausdifferenziertes Ich aber bleibt der Einzelne unvollständig, unreif, unselbständig, und ist daher allen äußeren Einflüssen schutzlos ausgeliefert. Verführbar übrigens allem gegenüber, das in der Gruppenhierarchie über ihm steht - damit auch bei Richtungswechseln, und seien sie noch so dramatischer Art: blitzschnell verbreiten sich Moden und Neuerungen. Ein (sittlich) primitives Volk in einem funktionierenden Massenskelett ist deshalb viel leichter zu "modernisieren" als ein sittlich hochstehendes.

Umso mehr ist die Sprache der Masse voller Warnungen, schreibt Eric Hoffer, nur ja keine fremden Vorbilder zu kopieren, nur ja "innerhalb" des Soziotops zu bleiben. Die Nachahmung von Außenseitern gilt als verpönt, der Verkehr mit "Nichtgläubigen" wird zur Abscheulichkeit.

Mit einer Besonderheit - der Überschätzung der Propaganda. Propaganda wirkt nur bei dem, der ihren Inhalten ohnehin bereits zugehört. Der Volksverhetzer bringt immer nur "seine" Anhängerschaft zum Kochen, aber er überzeugt nicht seine Gegner. Während die Masse Bestätigung - das Allgemeine ist das Wahre, das Wahre das Allgemeine: der Mensch sucht im Sprechen letztlich Teilhabe an Gott! - sucht und braucht. Deshalb muß die Gemeinschaft, die Massenordnung, Mechanismen suchen, die ihre Mitglieder bei der Stange halten, alle zum Glauben zwingt. Durch ein scharfes Schwert, das droht.

So, wie die feste Überzeugung, daß die eigene Ansicht die einzig wahre ist. Je schuldhafter, je irrationaler diese ist, je weniger in der Vernunft gegründet, vor allem der Vernunft des Einzelnen (s.o.), desto heftiger, desto fanatischer wird die Propaganda, weil die Angst vor der Wahrheit. Je heftiger (auch: gewaltsamer) sie vorgehen, desto fanatischer wird ihr Zwang, an ihren Überzeugungen festzuhalten, desto mehr "müssen" diese wahr sein.



*150521*