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Samstag, 1. Mai 2021

Und wirtschaften im Paradies (1)

Es sagt etwas über den Geist der Ungarn aus, worüber die Budapester Zeitung am 9. April berichtet: Dem Staat gehe, so schreibt die Zeitung, die Geduld aus. Deshalb würden die Strafen für Fahren ohne Führerschein, die bisher bis zu 400 Euro betrugen, nicht einfach erhöht, sondern durch die Drohung von Gefängnis definitiv verschärft. Eine Geldstrafe alleine wirkt nämlich nicht, wie die Statistik zeigt. Alleine in den ersten drei Monaten des Jahres 2021 wurden über 3.000 Ungarn wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis angezeigt. 

QR Budapester Zeitung
Wenn man also überlegt, wie viele Ungarn mit dem Auto unterwegs sind, ohne je einen Führerschein gemacht zu haben, muß man sich vor Augen führen, daß es sich hier nur um bei Verkehrskontrollen oder Unfallerhebungen aufgeflogene Ordnungsübertretungen handelt. Die Dunkelziffer dürfte also ziemlich hoch sein.

Auch der Alltag, den der VdZ hier erlebt, bestätigt etwas: Die Ungarn kümmern sich nicht sehr um obrigkeitliche Vorschriften. Und das wird von durchaus sehr menschlich und charmant erfahrbaren Ordnungskräften - Beamten, Polizisten, Militär - ergänzt. Die nicht selten einen Westmenschen wie den VdZ, die anderes gewöhnt sind, verwundern machen. Weil man den Eindruck hat, daß es ein Grundgeist im Lande ist einander darin beizustehen, Vorschriften (die es nun einmal gibt, die aber durch eine große Kluft vom eigentlichen Leben getrennt sind) zu umgehen. Irgendwie "helfen die Ungarn zusammen", alles, was irgendwie nach Ordnung und Regeln aussieht, auszutricksen.

Das hat wie in diesem Fall durchaus Charme, in anderen Bereichen freilich nervt es gewaltig. Etwa wenn es um die Sorgfalt geht, mit der handwerkliche Dienste versehen werden. Oder es zeichnet einem Sorgenfalten auf die Stirn, wenn man erlebt, wie Angestellte in Unternehmen dabei behilflich sind, wie man im eigenen Betrieb geltende Preis- oder Dienstleistungsregelungen aushebelt, um "Geld sparen zu helfen." 

Oder hat der Leser schon einmal erlebt, daß (und das ist nur ein Fall unter etlichen anderen, wie sie der VdZ erlebt hat) die Betreuerin von Kundenverträgen bei einem Online-Dienstleister Tips gibt, wie man mit einem günstigeren Vertrag dieselbe Leistung erhält wie mit dem teuren, der eigentlich dafür gedacht war? Oder wie ein Installateur ein Ersatzteil, den er nach dem Telephonat, mit dem man ihn herbeigeholt hat, sicherheitshalber gleich mitgenommen hat (und mit dem der westgewöhnte Kunde ohnehin gerechnet hat), nach genauer Inspektion des Defekts NICHT einbaut. Weil das alte Teil mit einer handgestrickten Überbrückung noch sicher ein paar Jahre hält. 

"Haben Sie ein Stück Draht im Haus?"
"Draht? Welchen Draht?"
"Irgendeinen Draht, schauen Sie ..." Er wühlt in der Kiste mit allen möglichen Kleinteilen, die im Regal neben der Therme steht. "So etwas wie das da ... ja, das geht."
Woraufhin die Rechnung nur noch 17 Euro (statt - mit neuem Teil - 180) beträgt. 

"Die Ungarn sind gewöhnt, daß es ohnehin nichts gibt. Also helfen sie einander zu improvisieren. Sie tauschen etwas nur aus, wenn es wirklich nicht mehr anders geht. An sich wird repariert, was zu reparieren geht," erzählte dazu der Cafetier am Varkerület, gleich um die Ecke, als ihm der VdZ davon berichtete. Auf eine Weise haben die Ungarn sich also etwas Kindliches bewahrt, ähnlich dem, wie es einmal die Italiener hatten, und wie man es ab und an noch in eher abseits liegenden Ecken unserer Länder antrifft.

***

Der Cafetier ist übrigens einer von jenen Unternehmern, mit denen der VdZ ein gutes und wie sich das für ein Stammcafé gehört (und jedes Geschäft, das man betrifft, sollte ein Stammgeschäft werden): vertrautes Verhältnis pflegt. In dem man nicht nur offen über die Dinge spricht, sondern das auf wechselseitiger Verpflichtung beruht. Also nicht nur im Bemühen um gute, zuerst einmal auf Zufriedenheit und Echtheit der Leistung durch den Betrieb besteht, sondern auch darauf, daß man als Gast eine Verpflichtung hat, regelmäßig hinzugehen, den Betrieb zu einem festen Bestandteil des eigenen Lebensortes macht. 

Wo man nicht "rechnet". Das gehört sich nicht. Sondern wo man füreinander da ist. Aus. Wo einer durchaus mit den Augen des anderen sieht, und an Sorgen wie Erfolgen des anderen Anteil hat.

 Morgen Teil 2) Es hat etwas von Paradies



*110421*