Der Obrist sieht gerade einem Radrennen im kolumbianischen Fernsehen zu, und der kolumbianische Sportler hat Siegeschancen. Solange das an der Kippe steht, hat der Fischer auch Frieden. Er wird sogar wohlwollend zur Kenntnis genommen, als er nicht ohne Verstand etwas zum Ausgang des Rennens sagt: Merckx wird am Schluß schwächer werden.
Das nimmt der Obrist anerkennend zur Kenntnis. Plötzlich liegt sogar so etwas wie Verbrüderung in der Luft. Er lädt also den Fischer zu einem Bier, bietet ihm dann Essen an. Das Blatt wendet sich aber schlagartig, als der Fernseher ausfällt. Plötzlich, unfreiwillig zurückgeworfen auf den Augenblick, geht eine Wandlung vor. In der der Offizier seinen sadistischen Spaß mit ihm zu treiben beginnt. Denn der Fischer, offenbar nur an kleine Portionen gewöhnt, hat die Suppeneinlage nicht gegessen.
Das inspiriert den Oberst, mit dem Stimmungsumschwung schlägt die Art um, mit dem Alten umzugehen, sich darin nicht zu bemessen ist typisches Verhalten jemandes, der weiß, daß er von niemandem (Irdischen) zur Verantwortung gezogen wird, egal wie willkürlich er handelt.
Er legt die Pistole auf den Tisch, und läßt noch eine weitere Suppe kommen. Dann noch eine. Und noch eine. Und noch eine. Am Tisch stehen bald fünf Teller. Jedesmal mußte der Fischer die Suppe auslöffeln. Bis er nicht mehr kann. Doch weiter soll er essen. Die Situation spitzt sich leise aber beklemmend zu, droht zu eskalieren ... in diesem Augenblick springt der Fernseher wieder an.
Aber nicht nur das, der kolumbianische Radfahrer hat offenbar seinen Konkurrenten Merckx ausgeschaltet, führt und gewinnt. In nationaler Euphorie läßt der Oberst sein Pferd holen, und zusammen mit den Soldaten feiern sie den Sieg des nun großen Sohnes eines großen Kolumbien. Diesen Moment nutzt unser Fischer, und macht sich ganz vorsichtig und leise davon. Er hat noch etwas zu tun. Er muß noch den Leichnam seines zweiten Sohnes suchen, den er nicht einfach dem Fluß überläßt, der mehr ist als ein Stück totes Fleisch (wie alle die anderen Leichen, die der Mann an diesem Tag sogar in Händen hält): In dem sein Sohn sogar ganz weit präsent und Teil der Familiengeschichte ist. Und es geht um Geschichte, in jedem Leben. Ja, das ist das Leben.
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Der VZ hat den Film in Originalfassung gesehen, also in dem Spanisch, das offenbar in Kolumbien gesprochen wird. Und das zwischen Wasserfall-Stakkato und langsam dahin geölten Lauten müder Menschen schwankt. Es fiel ihm also nicht immer leicht, den Dialogen zu folgen. Aber das spielte keine Rolle, um die geht es gar nicht, und sie sind kurz und Auslöder einer Handlung, die man ohnehin begreift.
Man weiß sofort, worum es geht, und vor allem erzählt der Film ohnehin in seiner eigenen Sprache. Der man sehr schnell verfällt. Sodaß jede Minute spannend bleibt, und man wie in die Geschichte des Grimmelshausen hineingesogen wird. Noch tagelang hatte der VDZ die Bilder vor Augen, die Geschichte.
Eines Vaters, der seinen Söhnen weil seiner eigenen Geschichte, seinem eigenen Leben ein Begräbnis schuldet. Weil sie nur so in der Reihe seiner Familie, die seinem Leben entsprungen ist, bewahrt zu haben. Und damit seine eigene Geschichte, sein eigenes Leben. Dieser stille Lebenswille, der wie das Wasser ist, das alles durchdringt, wo es nicht ausdrücklich ferngehalten wird, dieser Strom, der alles enthält, was die Kulturgeschichte im Laufe ihrer jeweiligen Entwicklungen ausfaltet und differenziert - er ist es, der das Leben aller Menschen an allen Orten dieser Erde ausmacht.
Ihm steht überall dasselbe entgegen: Menschliche Niedrigkeit, Sünde und Gemeinheit. Nur das vermag Leben zu nichten, den Strom zu unterbrechen. Bis die Sünde es ist, die dafür sorgt, daß Menschen mit dem Hochmut, ein anderes Leben bauen zu wollen als das, das Leben selbst ist, an Dürre sterben. Irgendwann kommt deshalb immer der Tag des Endes des Bösen. Das sich aber so leicht mit der Macht der Gewalt, der Kraft des Stärkeren, der sich an keine Wahrheit bindet, verbündet.
Ja, es hat - und das macht das Ewige auch an Christopher Grimmelshausen Geschichte aus - nie ein Ende damit, so realistisch muß man sein. Es hat allzu oft in einer Gesellschaft überhand, deren Weg zu einer ordnenden Rechtsgewalt immer weit und mühsam ist. Ohne je vollkommen sein zu können. (Denn genau der Glaube daran, eine perfekte, vollkommene Rechts- und Gerechtigkeitsgesellschaft herstellen zu können, ist selbst bereits die Quelle nächster und meist monströser Untaten.)
Nur diesem breiten Fluß des Lebens ist der Mensch aber in Wahrheit verpflichtet. Aus diesem kommt er, von diesem lebt er, und darin will er weiterleben. Dort liegt auch seine Religiosität, die sich an den elementarsten Dingen entzündet. An der Hoffnung, daß die Welt ihm etwas gibt, das ihm dann Frucht des Lebens ist. Deretwegen er überhaupt lebt, täglich neu aufsteht, wenn die Sonne aufsteigt, und seinen Hunger stillt, und den seiner Nächsten, der gastfreundlich ist, weil es selbstverständlich ist, und wo sich auch das eine oder andere an Aberglauben einmischt. Aber das wollen wir nicht mit der Goldwaage messen. Was etwas ist - so seltsam das auch an dieser Stelle klingen mag - ist in diesem Strom so in toto enthalten, daß es immer schwer ist, es so herauszuschälen, daß es wirklich angreifbar ist.
Was es sein wird, wonach wir einmal gerichtet werden, ist das, was mit unserem Namen verbunden bleibt. Das muß niemand je ausgesprochen haben. Es ist das, was "einfach da" ist. Und das, das kennt Gott. Und das bewertet er.
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