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Samstag, 15. Mai 2021

Der Samstag Nachmittag Film (1)

Natürlich ist es schon an sich ein Vergnügen, Willy Birgel, den jungen Maximilian Schell (in noch ganz ungewohnter heller Stimmlage!) und den noch jüngeren Heinz Reincke, den wunderbaren Hans Nielsen und jede Menge anderer Filmsterne in derartiger Zusammenballung zu sehen. Aber eine gut gemachte Schnulze (und Schnulzen konnte man in jener Zeit gut machen, gewissermaßen sogar im staatlichen Auftrag, meine Herren, denn es mußten ja ganze Völker im Gemüte wieder aufgerichtet werden!) ist "Ein Herz kehrt heim" aus dem Jahre 1956 gewiß nicht, die unter der Regie von Eugen York entstanden ist. 

Vielmehr werden sogar Themen angerissen, die für so einen Publikumsfilm, der unter der Schiene der Stimmungsfilme der Anfänge des Wirtschaftswunderlandes lief, ganz erstaunliche Tiefe haben. (Übrigens: Adenauer war einer derjenigen, die davor gewarnt haben, dem Volk aus scheinbarem "Stimmungsbedürfen" schlechte Kunst zu bieten; das Gegenteil sollte seiner Ansicht nach stattfinden!) Und "Ein Herz kehrt heim" wird seinen Erfolg gehabt haben, er erlaubt auch (war für seine Qualität spricht), ein paar Stufen drunter gelesen zu werden. Aber das war damals gar nicht so notwendig. Auch von der eigenen Mutter mit nicht mehr als der damals üblichen achtjährigen Grundschulausbildung weiß der VdZ, daß der Sinn für echte Tragik und Substanz der dramaturgischen Konflikte weit ausgeprägter war, als die Medienmacher jener Zeit manchmal meinten, den Leuten zumuten zu dürfen. Denn die seien ja dumm. 


Ja, dumm gemacht werden und wurden sie, das stimmt. Aber ein Publikum muß eben auch erzogen, herangebildet werden, was immer ein bißchen Mühe kostet. Die die Leute aber auch erbringen! Die Mutter des VdZ liebte etwa die zahlreichen Literaturverfilmungen jener Zeit. In denen manch Hohes - mit eigenem Künstlermilieu, vor allem aber mit einem Publikum, das es liebte - geschaffen wurde. 

Und mit solchen Filmen und Themen wäre da schon so einiges möglich gewesen. Denn es geht um nicht weniger als um Kunst und das Wesen des Künstlers. Nicht des Künstlers, der in jedem so irgendwie steckt, sondern dem sein Metier so viel bedeutet, daß er ihm sein ganzes Leben widmet. Und dafür aber auf die Welt verzichten muß, und dafür eben ... stirbt. 

Das also, was dem Künstler, der als solcher lebt und stirbt, als Eigennutz zugerechnet wird, hat einen hohen Preis. Und genau darum geht im Topos des Films. Ein hoch angesehener, weltberühmter Dirigent hat die Routine des großen Kunstbetriebes satt, der mit immer denselben bekannten Sensationsstücken der Klassik immer wieder und überall auf die gleiche Weise den Beifall des Publikums quasi erzwingen soll. 

Auch der Dirigent Lenhart muß somit ständig dieselben bekannten Stücke der "großen" Komponisten bieten, das eigentlich Künstlerische ging ihm dabei verloren. Als er nach einem Konzert in irgendeiner der bekannten Konzertstädte ein Plakat eines kleinen Kunstfestivals in einem kleinen deutschen Städtchen sieht, plant er kurzentschlossen für drei Wochen eine Abwechslung ein. Die ihm einerseits Urlaub sein soll, den er anderseits in diesem Städtchen beim Auffrischen von Jugenderinnerungen verbringen möchte, wo er einst seine schönsten Jahre verbrachte, noch unbekannt und voller Bangen und Ängste, und wo er vor allem eine Liebe erlebt hatte. Auf die er aber damals zugunsten eines Wechsels in die große Kunstwelt Amerikas verzichtete. 

Was er nicht weiß ist, daß diese Liebe nicht folgenlos geblieben war. Und als er sein Mädchen von damals wiedertrifft, ist diese nicht nur eine respektierte Fabrikantengattin, sondern hat auch einen prächtigen Sohn. Der zwischen Musik und dem Ingenieursberuf im Betrieb des Vaters zerrissen ist. Als er auf diesen Dirigenten trifft, erlebt er plötzlich eine Seelengleichheit, die ihn so umwirft, daß er dem Vorschlag des Dirigenten, mit ihm nach Amerika zu gehen, damit er dort eine bessere Ausbildung erfahre und überhaupt gleich in die große Kunstwelt eintauche, scheinbar (und über einen nächsten Ausbruch im Dauerzerwürfnis mit seinem Vater) leicht zustimmt.

Aber der eine Vater ist nicht sein Vater, und der andere, der es nicht ist, der vorgibt nur das Talent des jungen Pianisten zu sehen, ist es eben. Und hat jene fleischliche Zusammenstimmung, die eben das Wesen leiblicher Kindschaft bedeutet. Aber sie ist nicht nur nicht alles, sie ist nicht einmal das Entscheidende im Ringen eines jeden Menschen um seine endgültige Figura, die er im Leben einzunehmen hat. Und in der er sogar so etwas wie das Glück der Erfüllung seiner Anlagen und Begabungen finden kann.

Vater und Sohn haben reziprok-kontroverse Persönlichkeitsspannungen. Der eine hat sein Künstlerleben zur Gestalt gemacht, ist dazu dem Leben gestorben, lebt jedoch mit der rasch zu weckenden und nie ganz verstummenden Sehnsucht nach einem normalen, harmonischen, idyllischen bürgerlichen Leben. Der andere hat genau das. Aber er hat auch ein nie verstummendes inneres Drängen nach einem Leben in der Kunst, das ihn immer wieder seine festen bürgerlichen Gefäße riskieren und sogar - fast - zerbrechen läßt. Aber diese Anlage hat nicht die Bedingungen erfahren, die sie bräuchte, um groß und fest zu werden, sodaß aus diesem Pfad noch ein wirklicher Künstlerweg, den jeder neu finden, erfinden und dann auch noch bahnen lernen muß. 

Der eine kennt somit nur noch jenen Eigennutz, den er zum Künstlerleben gebraucht hat, und wendet diesen gegen die bürgerliche Welt, die ihm natürlich mit Faszination zugewendet ist und sich den großen Engel erhofft, der herniederschwebt, um sie ins Reich des Ungewöhnlichen und der Träume zu holen. Weiß aber nicht, daß der Künstler mit eben diesem (im Maßstab der Welt: kalten) Eigennutz in die Welt der Bürger einbricht, es ein Raub- und Plünderfeldzug ist, mit dem er seine Vitrinen vollstellen will, die ihm aber nie mehr als Spielzeug sein werden.

Der andere wird mit all seinen bürgerlichen Tugenden in der Welt der Kunst scheitern. Er ist deren Härte und Kälte nicht gewachsen, denn er ist zu menschenzugewandt im Habitus seiner ganzen Persönlichkeitsgestalt. Sein Talent ist zwar nicht verschwunden, ihm fehlt aber genau dieser Glanz des Kometen, der sich zu den Göttern erhebt und eines Tages wirklich wie ein Stern glänzt. Wenn er die Gesetze der Götter, die diese für die Menschen geschaffen haben, abgestreift hat, weil sie für ihn nicht gelten sollen, und schließlich, nachdem er den Preis dafür bezahlt hat, an die Pforten der Götterhallen pocht, die sich ihm dann auch öffnen.

Es kommt, wie es kommen soll, so muß man vielleicht sagen. Denn der Sohn entscheidet sich dem Stand treu zu bleiben, der seine Persönlichkeit gebildet hat, und beim Stiefvater zu bleiben. Der ihn großgezogen und -genährt hat, und ihm so eine bürgerliche Welt quasi nachwirft, die zwar keine Götterfestmähler, aber irdische Erfüllung in vieler Hinsicht bieten werden. Durch Karriere, angenehme Lebensumstände, wo durch die Verantwortung für Frau und Kind seine Freiheit zur Welt kommt.

Und der andere, der Vater, der berühmte Dirigent und große Künstler (den Birgl wirklich überzeugend spielt, denn große Künstler zeichnen sich vor allem durch große Ruhe und Natürlichkeit im nur als Beruf zu bezeichnenden, also professionellen Umgang mit der Welt der Bürger aus) kehrt wieder zurück in die Räumlichkeiten der Götter, und zahlt weiter an dem Kredit ab, mit dem er seinen Pakt quittierte.

Was unterscheidet den Künstler, der (wie in diesem Fall) Musik macht, vom Laien, der großes Talent hat und gut, ja virtuos am Klavier spielt? Eben nicht das "Können", oder die Virtuosität, sondern die Ganzheit, mit der sich der eine schon, der andere nicht, der Kunst unterworfen hat. Sodaß sein ganzes Leben nur noch als Übungssituation für einen je neu versuchten vollkommenen Moment gelten kann, in dem er versucht, Gott auf eine Weise gleich zu werden, die dem anderen, dem Laien, der vielleicht sogar besser spielt wie der Meister, immer verwehrt bleiben wird. 

Darin sind sich alle Künste auch gleich, die doch zueinander in einer Architektur stehen, in einem Gefüge der Hierarchie, die im ganzen gesehen kosmische Harmonie bedeutet. Hierin bildet sie - wie ein Fraktale, wo das Kleinste dieselbe Topik wie das Große hat - die Welt des Bürgers ab. Aber auf einer ganz anderen, abstrahierten und in diesen Abstrakta erlebten, nach bürgerlichem Wertemaßstab aber (mit vollem Recht) unvollkommen, ja bedrohlich gesehenen und deshalb ungeliebten, in vielerlei Impuls sogar abgelehnten Ebene. 

In gewisser Hinsicht geht beider Leben auf "ein und dieselbe" Vollkommenheit aus. So stimmt der Filmtitel ganz beträchtlich: Ein Herz kehrt zurück. Jedes der beiden Herzen, auch im Film findet seine Heimat, gewiß, und mehr als "Seelenheil" kann es nicht geben. 

Aber es gibt diese Stufung doch. Es gibt auch im Himmel unterschiedliche Wohnungen und Räume und Beleuchtungsstufen. Und der eine der Menschen, der von Gott an einen Ort gewollten weil geborenen, gestellten Menschen, will mehr Licht, mehr Gold, mehr Saphir und Diamant und mehr kosmischen Sphärenglanz. Und geht in seinem Leben und geht und geht. 

QR zum Film
Er kommt in dieser Haltung, die dem Bürger wie Hochmut und Größenwahn erscheint, sogar viel schwerer an jenes Ziel, das er sich erkoren hat. Und nach dem prinzipiell zwar jedes Leben einmal bemessen sein wird, gewiß, das aber schon in seinem irdischen Abglanz und Schatten eine Weite des himmlischen Kosmos andeutet, die dem Bürger mit seinen großartigen Alltagsleistungen und bedrückenden Alltagssorgen immer verborgen bleiben wird.

Übrigens, so nebenbei, oder gar nicht, denn es trägt erheblich dazu bei, zu verstehen, zu sehen, worum es da geht: Die Musikinterpretationen in "Ein Herz kehrt zurück" sind von großartiger Qualität! Da ist nichts einfach hingeschludertes Beiwerk, weil es ja "mehr um den Film" geht, sondern da sind großartige Interpreten in großartig geführten Kondukten zu hören. Fast könnte man von einem Gesamtkunstwerk sprechen! Alleine die ersten fünf Filmminuten, in denen Shura Cherkassky den Anfang von Tschaikowskys Klavierkonzert darbietet, beschenken jede Sekunde die Aufmerksamkeit des Zusehers reich.

Morgen Teil 2) Wäre da aber nicht auch noch ein anderer Gedanke, der wie eine Versuchung in die Hosenbeine der Interpretation gekrochen kommt. Wäre da nicht ...


*140521*