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Sonntag, 3. Oktober 2010

Die tote Stadt

Die weite bucht erfüllt der neue hafen
Der alles glück des landes saugt - ein mond
Von glitzernden und rauhen häuserwänden -
Endlosen strassen drin mit gleicher gier
Die menge tages feilscht und abends tollt.
Nur hohn und mitleid steigt zur mutterstadt
Am felsen droben die mit schwarzen mauern
Verarmt daliegt - vergessen von der zeit.

Die stille veste lebt und träumt und sieht
Wie stark ihr turm in ewigen sonnen ragt -
Das schweigen ihre weihebilder schüzt
Und auf den grasigen gassen ihren wohnern
Die glieder blühen durch verschlissnes tuch.
Sie spürt kein leid - sie weiss der tag bricht an:
Da schleppt sich aus den üppigen palästen
Den berg hinan von flehenden ein zug:

Uns mäht ein ödes weh und wir verderben
Wenn ihr nicht helft - im überflusse siech.
Vergönnt uns reinen odem eurer höhe
Und klaren quell! wir finden rast in hof
Und stall und jeder höhlung eines tors.
Hier schätze wie ihr nie sie saht - die steine
Wie fracht von hundert schiffen kostbar - spange
Und reif vom werte ganzer länderbreiten!<

Doch strenge antwort kommt: Hier frommt kein kauf.
Das gut was auch vor allem galt ist schutt.
Nur sieben sind gerettet die einst kamen
Und denen unsere kinder zugelächelt.
Euch all trifft tod. Schon eure zahl ist frevel.
Geht mit dem falschen prunk der unsren knaben
Zum ekel wird! Seht wie ihr nackter fuss
Ihn übers riff hinab zum meere stösst.

Stefan George

***

Vergessen ruht die Stadt auf dem Gebirge. Die wohlfeile Menge zog ins Tal, und dort kam Wohlstand und Überfluß und Gier, kam aber vor allem die Zerstörung des Lebens selbst, denn ihnen starb die Welt. Verspottet blieben die "Armen" zurück, die aber eines hatten: Innere, wirklich Lebensqualität, denn sie bewahrten die Archaik, sie bewahrten die Fülle auch des Lebens mit den Göttern. Und sie bewahrten Gelassenheit ... denn eines Tages, sie wußten es, da kamen sie, von unten, und flehten, lockten und boten alle Schätze die sie aufbieten konnten, wenn sie nur von den wirklich wertvollen Lebensgütern verkosten dürften, denn sie hatten entdeckt, daß sie das Falsche gewählt hatten. Aber dann stießen die auf dem Berg die Schätze den Abhang hinunter, und verschlossen ihre Tore, denn die, die das Leben einmal verloren haben - sie können es nicht wieder gewinnen.


***

"Die Zivilisation ist nicht nur eine Erkrankung der Umwelt, sondern auch der Herzen." Solche Träume werden immer wieder geträumt, Yeats dachte daran, Irland innerhalb der Moderne als eine Insel kultischer Altertümlichkeit zu bewahren. "Bevor die Entwicklungshilfe ihre Zerstörungen begann, waren solche Bezirke der Unberührtheit nicht selten, aber nun sind auch sie in das Rasen des Prozesses hineingerissen worden. Es bleibt eben nur eine einzige Möglichkeit, die der individuellen Reserve." 
 
Gerhard Nebel

*031010*