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Dienstag, 5. Oktober 2010

Kopernikanische Wenden

Die wirkliche Revolution löst aber nicht Franz von Assisi aus, er vollzieht nur noch eine Tendenz, der längst Bahn gebrochen ist. In Thomas von Aquin (oder, wenn man will, noch früher: in Albertus Magnus). Denn mit ihnen ist die Welt, wie sie konkret ist, nur als Sein selbst begriffen. D. h. es braucht zu ihrer wahren Darstellung nicht die Auffassung, daß sie nur Symbol ist, wie es sich in der romanischen (und byzantinischen) Kunst noch ausdrückt, die die Dinge so gestaltet, wie sie idealerweise sind.

Die Welt ist als Weg zu Gott ausreichend. Das ist die neue Botschaft des Thomas, der Scholastik. Und das ist die Wahrheit, wie sie in Franz von Assisi wirklicher wird, als bis dahin noch gedacht war, und als sie die Dominikaner - noch weit intellektueller, ja "konservativer" bleibend - noch darstellten.

Und über die von ihm ausgelöste, neu erwachte, oder: noch nie so dagewesene Volksfrömmigkeit, die als Bedürfnis lange schon schwelte, und in den verschiedensten (Ketzer-)Bewegungen nach Luft rang. Plötzlich mußten neue Kirchen gebaut werden, plötzlich war der Wunsch da, die Kirchen selbst auszugestalten, plötzlich wuchs das Bedürfnis, die Heilsgeheimnisse darzustellen, zu sehen, zu erleben, konkret - und damit war der Bedarf da nach einer Kunst, die diesen Mut aufbrachte, die Natur genug sein zu lassen. Die schöne, gereinigte, befreite Natur, ja, aber immer noch: die Natur selbst, in ihren Proportionen und Farben. In den Franziskanern bahnt sich die äußerste Konsequenz der Scholastik ihre Bahn, man muß nur eins und eins zusammenzählen, als gesunder Strom, der das Kranke, Übersteigerte, die Hybris der Ketzerbewegungen überflüssig macht.

Das brachte nun Maler wie Giotto auf den Plan, die bereits Kinder dieser Zeit waren, die diese Strömungen in sich fühlten, aus Gesprächen, aus Lektüren, aus Vorbildern, und sie wurden zu den Ecksteinen, zu den Fundamentsteinen einer neuen Epoche und Kunst, die sich in zwei Strömen unterschiedlicher Ausprägung und leicht variierter Charakteristik ergoß: Gotik, wie sie vor allem nördlich der Alpen aufbrach, und die im Grunde immer italienisch bleibende, römisch, die Antike als ihre genuine Wurzel auffassende Renaissance. Sie finden noch die großen Wandflächen der Romanik für die Fresken vor, und das wird auch zum Teil so bleiben, weil diese Architektur als genuin "römisch", italisch, die Antike als eigene Tradition (nicht wie nördlich der Alpen, wo die eigene Tradition sogar als kontraproduktiv oder bezugsgrößenfrei - was ist damals "deutsch?" - gesehen wird) empfunden wird. Sodaß die Gotik auch viel philosophischer, theologischer bleibt, als es Romanik und Renaissance tun, als sie quasi einander ablösen. (Italien hat keine wirkliche Gotik.)

Und es passiert in einer ersten wirklichen Trennung des Reichs. Das die deutschen Kaiser nicht mehr in einem Atem halten können. Auch durch den Machtkonflikt mit der Kirche, die einen derart starken (römischen) Kaiser fürchtet, und das Reich endgültig in Frankreich und Deutschland aufspaltet. Das Kaisertum erlischt ja auch nicht zufällig kurz darauf (nach Friedrich II. bzw. Konradin).

Aber solche Umbrüche sind in ihrer Dramatik nur dem Rückblickenden erfaßbar. Sie geschehen in der Zeit viel organischer. Und: konkreter, ganz konkret sogar, von Mann zu Mann, von Kirche zu Kirche, von Haus zu Haus, von Bild zu Bild, von Auftrag zu Auftrag.

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Fresco Subiaco - ältestes Portrait des Hl. Franz
Die ersten eigentlichen Portraits der neueren Malerei sind Bildnisse des Mannes von Assisi, auch wenn sie noch lange im Bemühen steckenbleiben, erst in den folgenden zwei Jahrhunderten bildet sich die Fertigkeit dazu wirklich heraus. Man wollte sich aber an ihn erinnern, der nur zwei Jahre nach seinem Tod, in einer noch nie dagewesenen Popularität, heilig gesprochen worden war. Man hat diese Heiligkeit - über eine überwältigende Liebe - bei ihm an ihn selbst, an sein Menschsein geknüpft erlebt. Also hat man das auch von den Künstlern verlangt, denen man den Auftrag gab, Erinnerungsbilder zu malen. Plötzlich also wechselten die Kriterien des Bildnisses: vom Symbol, zum "ja, so war er! das war er! und so ist er's noch mehr!" Gegenwärtig im Erinnern. Gegenwärtig in der Ähnlichkeit.

Je länger Franz tot ist, desto unähnlicher, desto symbolischer werden diese Portraits wieder. Sie betonen mehr als die Portraits, die wohl zum Teil noch in lebendiger Erinnerung gemalt sind, u. a. sein Asketentum, er selbst wird zunehmend zum starren Typus, sofern nicht überhaupt nur noch symbolisiert. (Mit einem interessanten Detail: manche Maler, manche Auftraggeber, in manchen Ländern gar, wie in Spanien und Deutschland, glaubt man nicht an die Stigmatisation des Heiligen Franz, und deshalb finden sich auf seinen Bildnissen dort oft keine Stigmata.)

In Giotto aber, 200 Jahre später, findet sich wieder ein begeisterter, "kongenialer" Verehrer des Heiligen Franz: erfüllt von Liebe zur Natur, zum Natürlichen, zum Schönen in der Natur, und er verändert definitiv die Kunst. Weil sein Portrait so gefragt ist, immer noch, zum Ausdruck - bei einer kaum Ausdruck zulassenden Kutte - aber nur Kopf und Hände bleiben, um seine Innerlichkeit darzustellen, entwickelt sich an ihm die Renaissance-Kunst (während ja die Gotik viel tiefer in den Realismus hinabsteigt, um genau aus ihm, überschwer fast, zum Ideal geronnen, wieder aufzusteigen): in der Darstellung des idealtypischen Seelischen: Kunst als das, was etwas wirklich ist. Das auf der Transzendenz des Gestalthaften aufruht. Franz v. Assisi, der den Zeitgenossen wie der "eigentliche Mensch", der Mensch von Anbeginn und ohne Sünde vorkam, eignete sich hervorragend dazu.

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Wo immer man in diesen Wenden und Umbrüchen Vorbildhaftes sehen kann, kann die Antwort auch für heute nur so aussehen, daß jede Wende, die keine Auslöschung sein will, nur eine sinnliche Konkretion in Richtung "Volksfrömmigkeit" sein kann. Um alle die häretischen Ketzerbewegungen einer vorgetäuschten, weil nur pseudowirklich, in vorgestellten, äquivoken Vorgängen existierenden "Erneuerung" aufzufangen. Und sie kann nur real-liturgisch (also völlig weg von allem, was sich heute vor allem im Jugendbereich abspielt), und sie kann nur über die Kunst stattfinden.

 
*051010*