"[Neben weiteren Runden um Stefan George gab es] die Schwabinger kosmische Runde [...] ein seltsames Treiben, ein Dauer-Fasching entfesselter Sexualität, die sich aus Bachofen rechtfertigte, eine würdige und diskussionsfreudige Akademie, sehr ernstgenommene Kostümfeste, denen tiefere Bedeutung untergelegt wurden. Alle Kosmiker [...] stimmten mit George in der Beurteilung der Zivilisation und in der Sehnsucht nach einem volleren Dasein überein, das sie im Mummenschanz zu verwirklichen meinten.
Von diesen Festen ging eine Wirkung auf ganz Deutschland aus, eine Entfesselung des Geschlechts derart, daß dieser mythische Quell, der in den christlichen Jahrhunderten unterirdisch fließen mußte, in einer hohen Fontäne allen sichtbar wurde. Auch hier keine Wende, keine Rückkehr zur kultischen Paarung, sondern im Fortschritt der Lizenz, wie wir heute feststellen müssen, eine Verdünnung, die nicht weiter getrieben werden kann, wenn sie nicht zum Nichts werden soll.
Der Orgasmus, ehemals der Gegenpol der Langeweile, ist heute von ihr besetzt, die Geschlechter werden bei dem totalen Wegfall von Hemmung, Stauung, Werbung einander überdrüssig werden, Sexus als lästige Pflicht, vom Eros ganz zu schweigen: der Platz, auf dem sich Romeo und Julia, Werther und Lotte, Hatem und Suleika bewegen konnten, wird bald zu einem Punkt geschrumpft sein."
Gerhard Nebel, in "Stefan George und die entgötterte Welt"
über die enthemmte
Sexualität in George's einem Kreis, in Vorwegnahme der "Befreiung" der
Sexualität der 68er, und in exakter Vorhersage der Folgen, wie wir sie
heute beobachten, wo gerade die scheinbar grenzenlose Sexualität zu
einer völligen Entwertung und Banalisierung als Lebensgestaltung geführt
hat.
*051010*