Sokrates hört den Ion, den glänzenden Dichter und Kritiker und Ausleger des Homer, spöttisch an. Dann gibt er ihm den Tritt, und er spricht das Besondere an, das den Dichter in seinen Augen bemitleidenswert macht. Es sind aber genau dessen Kriterien:
"Ach was! Diese Gabe, die Du hast, uns den Homer verständlich zu machen, ist nichts besonderes; denn, wenn ich Dich bitte, einen anderen Dichter zu erklären, der Dir weniger liegt, so verlierst Du die Orientierung und sagst nichts mehr. Eine armselige Begabung die nur das Besondere begreift, während sich ihr das Allgemeine entzieht, von keinerlei Techne gekrönt, noch geregelt. Gewiß siehst Du ein, daß Du keinen Grund hast, Dich deshalb zu brüsten.
Deine Auslegung des Homer kommt nicht aus Dir, sie fällt Dir vom Himmel, eine göttliche Kraft hat sie Dir eingeblasen, die wie ein Magnet Dich führt, und das, ohne daß Du Dir dessen bewußt bist, Unglücklicher.
Gefällt es den Göttern, die Inspirationen von Dir zu nehmen, den Strom zu unterbrechen, so bist Du bemitleidenswert. Ich, im Gegenteil, ich besitze die sophia, die aus einem vernunftlosen Tier mich in einen Menschen verwandelt, die mir erlaubt, alle meine Hilfsmittel, die im übrigen durch sie verzehnfacht sind, auf gelehrte, zu verantwortende und technisch-vollkommene Weise anzuwenden. Du bist das willenlose Spielzeug einer göttlichen Kraft, ich bin der Kapitän meiner Seele."
Ion hat, so schreibt Breton, einen Frosch im Hals. Da der Dichter der Begriffsbestimmung nach ein Mensch ist, der sich nicht ausdrücken kann (sic!), so kann er sich ebensowenig verteidigen. Das ist der Preis, den Mystiker und Dichter für ihre königliche Begabung zu zahlen haben.
"Sage uns doch," sagt Ion dann, "mein lieber Sokrates, wie es kommt, daß Deine wunderbare sophia Dich nicht singen lehrt?"
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Ion hat, so schreibt Breton, einen Frosch im Hals. Da der Dichter der Begriffsbestimmung nach ein Mensch ist, der sich nicht ausdrücken kann (sic!), so kann er sich ebensowenig verteidigen. Das ist der Preis, den Mystiker und Dichter für ihre königliche Begabung zu zahlen haben.
"Sage uns doch," sagt Ion dann, "mein lieber Sokrates, wie es kommt, daß Deine wunderbare sophia Dich nicht singen lehrt?"
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Henri Bremond schreibt auch: Alle großen Mystiker seien genauso gewesen, wie es Platon war: "Es ist ihre Vernunft selbst, die ihnen nach langen Überlegungen befiehlt, sich endlich mit geschlossenen Augen der Gnade hinzugeben, die sie ruft."
Diese Unmittelbarkeit der Gegenwart Gottes ist ihnen erst unerträglich, ist ihnen Qual, und sie scheuen wieder und wieder vor dem gefährlichen Sprung zurück, klammern sich verzweifelt an die sophia. Bis sie schließlich - vernunftgemäß - der geheimnisvollen Dynamik nachgeben.
*041010*