Henry Thode hält es für sehr wahrscheinlich, daß der Heilige Franz von Assisi mütterlicherseits bis zum Hl. Chlodwig hinabreichende, hochadelige Wurzeln hat. Die Quellenlage, schreibt er in seiner Biographie über den Heiligen, läßt durch zahlreiche Indizien davon ausgehen, daß Franz diese französischen Wurzeln hat. Das würde auch erklären, daß erzählt wird, daß er stets auf Französisch sang - was er wohl von seiner Mutter übernommen hat. Und es würde das Temperament des Heiligen Franz zusätzlich beleuchten, der ein Tagträumer war, der sehr zum Ärger seines Vaters jede Ernsthaftigkeit den Lebenspflichten gegenüber verweigerte, und in seinen jungen Jahren für sein fröhliches, unternehmungslustiges Wesen bekannt war. Ja, es erklärt, warum man ihn allerorten "Francesco" nannte, der Franzose, wo er doch auf "Giovanni", Johannes, getauft war.
Heilige Franz von Assisi - Heilige Klara |
Aber darüber hinaus finden sich so historisch einordnenbare Motivblöcke für die Revolution, die Franz im Grunde war. Und die zeitlich auf die schweren Auseinandersetzungen und Kriege mit den südfranzösischen Ketzern und Schwärmerbewegungen folgen. Sie legen damit die Grundsteine für die Renaissance und den Humanismus, und lösen eine gewaltige Hochblüte der Kunst aus. Die Kunst, so Thode, war (man denke nur an Franz selbst) war dann nur die erste bedeutende Verwertung dieser Kraft, die aus dem aufbrechenden Individualismus eruptierte.
Daß Franz, der nach seiner schweren Krankheit die Welt plötzlich mit anderen Augen sah, zumindest von seiner Mutter her von den Waldensern gehört hatte, von der plötzlichen Umkehr von deren Gründer Petrus Waldus, den Gründer der ketzerischen und dann in Kriegen bekämpften Waldenser, ist mehr als wahrscheinlich: die Parallelen in beider Leben (und Bekehrungsgeschichte) sind schlichtweg auffällig.
Ein Individualismus, wie er in einer Bewegung der Franziskaner - auch damit als (zumindest im historischen Gesamtbild zu sehende) Antwort auf die (aus dem Orient stammenden) Schwärmerbewegungen - erstmals seinen bald legitimierten Ausdruck fand. Plötzlich zählte der Einzelne in seinem Gewissen, ja gar in seinen Gefühlen, fand sich deutlich aufgewertet - das erwachende Lebensgefühl einer Epoche in historischer Entwicklung. Das sich z. B. in den Städten, im sich formierenden Dritten Stand, dem Bürgertum, herauszubilden begann: selbstbewußt, und immer in der Spannung zwischen Ordnung und Emanzipation.
Pfarrkirche Franz v. Assisi - Wien, Mexicoplatz |
Franz schuf damit den Boden, auf dem jene Geisteshaltungen und -bewegungen Nahrung fanden, die in der dann später so genannten "Renaissance" ihren gesamtkulturellen Ausdruck fanden. Aus einem Mangel an der Kirche und an der Kultur, den zu beseitigen die offizielle Ordnung verabsäumt, ja verursacht, erwächst dem Einzelnen ein immer stärker werdender Drang, diesen Mangel zu beseitigen.
Aber er tat es in eine große Bewegung eingebettet, wie sie sich auch in den Schwärmerbewegungen ausdrückte, z. B. den Albigensern, den Waldensern. Denen Papst Innozenz III. in gleicher Weise wie Franz betont versöhnlich und gütig begegnete. Er erteilte Franz und seinen Gefährten, Laien, die Predigterlaubnis, für die noch wenige Jahre zuvor genannte Schwärmer als Ketzer verdammt und verfolgt worden waren. Denn Innozenz hatte wohl erkannt (und das ist der tiefere Sinn des legendären Traumes von der einstürzenden Kirche) daß der Kirche eine Reform mehr als nottat.
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Aber es waren nur so viele Äußerlichkeiten, die Franz mit diesen (ketzerischen) Schwärmerbewegungen gemein hatte, und zwar auffallend gemein. Die innere Haltung beider, der wahre Grund, aus dem sie schöpften, war jedoch - trotz gleicher Verbalisierung - grundverschieden. Er war hier wahre Demut und Liebe - und dort Hochmut und Selbsterlösung.
Und Franz bleibt auch völlig "innerkirchlich", auch was den Gehorsam anbelangt ordnet er sich demütig den Pfarrern und Bischöfen, also der Hierarchie unter, selbst wenn sie ihm verbieten, zu predigen. Gehorsam der konkreten Kirche gegenüber steht auch an der Spitze seiner späteren Ordensregel. (Und Gehorsam als essentielle Anbindung ans Heil, in ihren Wirkungen in allen auch anthropologischen Dimensionen, wird gemeiniglich von "Erneuerern" völlig unterschätzt und fehlbewertet. Aber genau sie ist DAS Kriterium, an dem sich alles entscheidet. Auch Erneuerung ist nicht zuerst Frage technischer Abläufe, selbst wenn sie sich auf solche bezieht.)
Er wendet sich zu Anfang aber nicht an die Heiden und Ketzer, das folgt erst später, und war im brennenden Wunsch nach dem Martyrium grundgelegt. Franz war auch schwer enttäuscht, als er nicht einmal aufgrund seines aberwitzigen Besuches bei - dem dann so milden - Sultan Alkamil diese Würdigung zur letzten Verdemütigung, als die er es sah, erfuhr.
Sondern an jene Christen, die nur noch dem Namen nach solche sind. Für eine Auseinandersetzung mit den Irrlehren fehlt ihm schlicht die Bildung und der theoretische Geist. Franz bietet also "von Erfahrung gedeckt" an, was jene nicht mehr für wahr halten wollen. Er bringt nichts "Neues". Er bringt das bisher Ungesehene, Vergessene, und er bringt es - für damals eine Sensation - in der Sprache des Volkes, in Italienisch, nicht in Latein. (In diesem zutiefst völkischen Aspekt liegt auch die Initialzündung für die Erneuerung der Kunst aus den eigenen menschlichen Wurzeln heraus.)
Und man glaubt ihm sofort. Weil er allen Quellen nach so spürbar voll jener Liebe war, daß er regelrecht überquoll, und von der er berichtete, daß sie am Grunde allen Glaubens wäre. Diese Fähigkeit zur Liebe war das Ziel, das es durch die von ihm geforderte "Reform" anzustreben galt. Und sie war die Quelle, die alle scheitern ließ, die sich an seine "Rezepte" hielten oder ihn gar imitierten, und sich wunderten, daß sie nicht dieselben Ergebnisse erzielten.
*041010*