Dieses Blog durchsuchen

Montag, 24. Juli 2017

Brief an eine Tochter (1)

Brief an eine Tochter (aus 2015) - Der hier nunmehr einem breiteren Lesepublikum vorgestellten Text ist einem Brief an eine Tochter des VdZ aus dem Jahre 2015 entnommen. Nach langer Überlegung bringt er ihn hier, und er bringt ihn (auf Befolgung eines Rats, dessen Geber auch die von diesem zum persönlichen Verständnis eingefügten Zwischenüberschriften entstammen, die beibelassen wurden) weitgehend unverändert. Denn natürlich ließen sich für einen Essay noch viele Dinge ein- und anfügen, ohne das Thema wirklich erschöpfend auf ein paar Seiten/Tage verteilt darstellen zu können. Vor allem aber würde es dem Text vielleicht auch seinen Elan nehmen, den einen Guß, in dem er seinerzeit verfaßt wurde, und aus dem er vielleicht eine eigene Wirksamkeit und Erhellungskraft bezieht. Deshalb wurden auch einige biographische Passagen belassen, die gegen jede Gewohnheit an diesem Ort manches aus dem recht persönlichen Leben des VdZ offenbaren.


Liebe (...), 
liebe Tochter,
nun eine hoffentlich präzisere Antwort auf Dein gestriges Schreiben. Gleich zu Beginn möchte ich warnen vor dem, was ich "Kunstgequatsche" nenne. Es ist zu leicht eine Romantisierung der Kunst, die unzulässig ist, die einer Sicht "von außen" entstammt, nicht der eigentlichen Ausübung von Kunst und dem Künstlertum als Berufung und Beruf. Zu leicht geht man in die Falle, Poesie mit Romantik zu verwechseln, mit der man sich oder ein Leben umgibt. Und in der dann das Künstlertum, das Leben in der Ausübung der Kunst, zu einem "so tun wie man meint, daß man tut wenn man tut".
Einführung. Identität Künstler. Ultimo ratio.
Künstlertum ist kein Lebensentwurf. Es ist die Folge eines Tuns, einer Haltung der Welt gegenüber, für die man im Grunde gar nichts kann. Deshalb ist Demut eine erste Bedingung, sonst wird man nur eitler Gaukler, der der Welt und sich etwas vormacht. Man "wird" nicht Künstler, so wie man Fleischer oder Techniker oder Gurkenhändler wird. Vielmehr ist Kunst die "ultimo ratio", das letzte, was man annehmen muß, weil alle anderen Erklärungen versagen und nichts erhellen, sondern einen im Nebel halten.
Jene Erklärungen, mit denen einen die Welt gut versorgt. Die einem dann einen fragwürdigen Charakter zuschreibt, Unstetheit oder Verantwortungslosigkeit oder gar Unfähigkeit, weil man an bürgerlichen Lebensentwürfen scheitert. Diesen Weg muß jeder selber finden, es ist die Antwort, zu der man irgendwann den Mut finden muß. Ein Weg, den man aber auch nicht abkürzen kann, indem man sich "zum Künstler" ausruft. Es gibt keine "Identität Künstler", und das ist der größte und nie endende Schmerz. Es gibt nur konkrete seelische, geistige Haltungen zur Welt, zu den Dingen, und die sind es, die einen treiben, und "vielleicht" künstlerische Haltungen sind.
Hinführung: Seelische, geistige Haltung zur Welt erklären sich aus dem Wesen der Kunst. Welt. Sinn. Geistige Wirklichkeiten. Mensch. Wahrheit.
Die nur aus dem Wesen der Kunst zu erklären und zu verstehen sind. Und dazu muß man wieder verstehen, was die Welt überhaupt ist, was ihr Sinn ist, und vor allem: was der Sinn und das Wesen des Menschen ist. Nur wenn man begreift, daß alles Sichtbare, das gesamte Weltgebäude eine Entelechie (Leibgreifung, Leibwerdung) von geistigen Bewegungsbildern, von Bildern, von Archetypen ist, kann man Kunst begreifen. Und daraus, welche Bedeutung diese Bilder für den Menschen haben.
Denn in der sinnlichen Wahrnahme von Dingen, sagen wir: harten Dingen, also Dingen die man angreifen kann, stoßen, schieben, bearbeiten kann, sehen wir (als Menschen) gar nicht "diese Dinge", sondern wir begegnen geistigen Wirklichkeiten. Diese sind es, die uns zum einen ausmachen und selbst bewegen, und diese sind auch der weltlichen Zeit (sagen wir: der, die wir mit der Uhr messen, was ja nur ein vergleichendes Bezugnehmen von gewissen oberflächlichen Bewegungen ist), die nur eine menschlich-psychologische Erscheinung ist, enthoben. Die Welt wird aus Ewigem, Zeitlosem gemacht, und nur daraus besteht sie, und nur daraus lebt sie.
Aber der Weg, wie die Dinge sind, hart, angreifbar, naß, warm, kalt etc., ist nicht verzichtbar. Sondern es ist der Weg, wie sich alles im Bestand hält. Wenn Du die Augen aufmachst, dann wirst Du sehen, daß es kein Ding, kein Tier gibt, das nur aus sich selbst erhalten bleibt oder sich erhält, sondern alles braucht einander, alles ist engstens miteinander verflochten. Und auch Du mußt unentwegt atmen, essen, trinken - auch der Mensch braucht also die Welt. Das ist das eine.
Erklärung: Der Mensch steht über allem. Geist. 
Aber der Mensch ragt dennoch aus allen Dingen heraus. Denn er ist mit Geist begabt. Das heißt, daß er sich zum Geist erheben kann. Dazu ist er berufen. Er hat Freiheit, er hat Selbstbezug zu sich "als Ich", er kann sich zu sich verhalten. Das kann kein Tier, keine Pflanze, und schon gar kein Ding. Deshalb ist der Mensch nicht nur dazu berufen, denn alles was man KANN ist auch ein SOLLEN, ein Auftrag, der (gewissermaßen: als bildhafte Spannung in allem, das gilt diesmal auch für Tiere, Pflanzen, Dinge, alles ist so, wie es im Wesen ist) aus sich selbst nach Betätigung drängt, sondern er muß (und das ist wichtig!) dazu gelangen, sich in diesem Selbstbezug auch selbst zu erhalten. Der Mensch ist prinzipiell dazu berufen, sich aus sich selbst zu erhalten - und zwar: im Geist, in der Freiheit, im Leben. Und der Schlüssel dazu ist die Wahrheit.

 Morgen Teil 2)





*040717*