Brief an eine Tochter (aus 2015) - Der hier nunmehr einem breiteren Lesepublikum vorgestellten Text ist einem Brief an eine Tochter des VdZ aus dem Jahre 2015 entnommen. Nach langer Überlegung bringt er ihn hier, und er bringt ihn (auf Befolgung eines Rats, dessen Geber auch die von diesem zum persönlichen Verständnis eingefügten Zwischenüberschriften entstammen, die beibelassen wurden) weitgehend unverändert. Denn natürlich ließen sich für einen Essay noch viele Dinge ein- und anfügen, ohne das Thema wirklich erschöpfend auf ein paar Seiten/Tage verteilt darstellen zu können. Vor allem aber würde es dem Text vielleicht auch seinen Elan nehmen, den einen Guß, in dem er seinerzeit verfaßt wurde, und aus dem er vielleicht eine eigene Wirksamkeit und Erhellungskraft bezieht. Deshalb wurden auch einige biographische Passagen belassen, die gegen jede Gewohnheit an diesem Ort manches aus dem recht persönlichen Leben des VdZ offenbaren.
Liebe (...),
liebe Tochter,
nun eine hoffentlich präzisere
Antwort auf Dein gestriges Schreiben. Gleich zu Beginn möchte ich
warnen vor dem, was ich "Kunstgequatsche" nenne. Es ist zu
leicht eine Romantisierung der Kunst, die unzulässig ist, die einer
Sicht "von außen" entstammt, nicht der eigentlichen
Ausübung von Kunst und dem Künstlertum als Berufung und Beruf. Zu
leicht geht man in die Falle, Poesie mit Romantik zu verwechseln, mit
der man sich oder ein Leben umgibt. Und in der dann das Künstlertum,
das Leben in der Ausübung der Kunst, zu einem "so tun wie man
meint, daß man tut wenn man tut".
Einführung.
Identität Künstler. Ultimo ratio.
Künstlertum ist kein Lebensentwurf.
Es ist die Folge eines Tuns, einer Haltung der Welt gegenüber, für
die man im Grunde gar nichts kann. Deshalb ist Demut eine erste
Bedingung, sonst wird man nur eitler Gaukler, der der Welt und sich
etwas vormacht. Man "wird" nicht Künstler, so wie man
Fleischer oder Techniker oder Gurkenhändler wird. Vielmehr ist Kunst
die "ultimo ratio", das letzte, was man annehmen muß, weil
alle anderen Erklärungen versagen und nichts erhellen, sondern einen
im Nebel halten.
Jene Erklärungen, mit denen einen
die Welt gut versorgt. Die einem dann einen fragwürdigen Charakter
zuschreibt, Unstetheit oder Verantwortungslosigkeit oder gar
Unfähigkeit, weil man an bürgerlichen Lebensentwürfen scheitert.
Diesen Weg muß jeder selber finden, es ist die Antwort, zu der man
irgendwann den Mut finden muß. Ein Weg, den man aber auch nicht
abkürzen kann, indem man sich "zum Künstler" ausruft. Es
gibt keine "Identität Künstler", und das ist der größte
und nie endende Schmerz. Es gibt nur konkrete seelische, geistige
Haltungen zur Welt, zu den Dingen, und die sind es, die einen
treiben, und "vielleicht" künstlerische Haltungen sind.
Hinführung:
Seelische, geistige Haltung zur Welt erklären sich aus dem Wesen der
Kunst. Welt. Sinn. Geistige Wirklichkeiten. Mensch. Wahrheit.
Die nur aus dem Wesen der Kunst zu
erklären und zu verstehen sind. Und dazu muß man wieder verstehen,
was die Welt überhaupt ist, was ihr Sinn ist, und vor allem: was der
Sinn und das Wesen des Menschen ist. Nur wenn man begreift, daß
alles Sichtbare, das gesamte Weltgebäude eine Entelechie
(Leibgreifung, Leibwerdung) von geistigen Bewegungsbildern, von
Bildern, von Archetypen ist, kann man Kunst begreifen. Und daraus,
welche Bedeutung diese Bilder für den Menschen haben.
Denn in der sinnlichen Wahrnahme von
Dingen, sagen wir: harten Dingen, also Dingen die man angreifen kann,
stoßen, schieben, bearbeiten kann, sehen wir (als Menschen) gar
nicht "diese Dinge", sondern wir begegnen geistigen
Wirklichkeiten. Diese sind es, die uns zum einen ausmachen und selbst
bewegen, und diese sind auch der weltlichen Zeit (sagen wir: der, die
wir mit der Uhr messen, was ja nur ein vergleichendes Bezugnehmen von
gewissen oberflächlichen Bewegungen ist), die nur eine
menschlich-psychologische Erscheinung ist, enthoben. Die
Welt wird aus Ewigem, Zeitlosem gemacht, und nur daraus besteht sie,
und nur daraus lebt sie.
Aber der Weg, wie die Dinge sind,
hart, angreifbar, naß, warm, kalt etc., ist nicht verzichtbar.
Sondern es ist der Weg, wie sich alles im Bestand hält. Wenn Du die
Augen aufmachst, dann wirst Du sehen, daß es kein Ding, kein Tier
gibt, das nur aus sich selbst erhalten bleibt oder sich erhält,
sondern alles braucht einander, alles ist engstens miteinander
verflochten. Und auch Du mußt unentwegt atmen, essen, trinken - auch
der Mensch braucht also die Welt. Das ist das eine.
Erklärung:
Der Mensch steht über allem. Geist.
Aber der Mensch
ragt dennoch aus allen Dingen heraus. Denn er ist mit Geist begabt.
Das heißt, daß er sich zum Geist erheben kann. Dazu ist er berufen.
Er hat Freiheit, er hat Selbstbezug zu sich "als Ich", er
kann sich zu sich verhalten. Das kann kein Tier, keine Pflanze, und
schon gar kein Ding. Deshalb ist der Mensch nicht nur dazu berufen,
denn alles was man KANN ist auch ein SOLLEN, ein Auftrag, der
(gewissermaßen: als bildhafte Spannung in allem, das gilt diesmal
auch für Tiere, Pflanzen, Dinge, alles ist so, wie es im Wesen ist)
aus sich selbst nach Betätigung drängt, sondern er muß (und das
ist wichtig!) dazu gelangen, sich in diesem Selbstbezug auch selbst
zu erhalten. Der Mensch ist prinzipiell dazu berufen, sich aus sich
selbst zu erhalten - und zwar: im Geist, in der Freiheit, im Leben.
Und der Schlüssel dazu ist die Wahrheit.
Morgen Teil 2)
*040717*