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Mittwoch, 26. Juli 2017

Brief an eine Tochter (3)

Lebensführung des Künstlers.
Und hier spielt die Lebensführung des Künstlers endgültig hinein. Denn wer sich mit Kunst auseinandersetzt, schaffenderweise, ist sich selbst - und seiner Berufung - zu größter Wahrhaftigkeit, Liebe (als das, was einen ja überhaupt erst die Dinge formen lassen kann - man muß alles lieben!) und Freiheit in der Lebensführung verpflichtet. (Freiheit heißt aber eben genau NICHT WILLKÜR. Das wird heute meist völlig mißverstanden! Freiheit entsteht überhaupt erst IN DER BINDUNG, nicht in der Bindungslosigkeit! Sie ist eine Haltung, keine quasi technische Folge von Entbindung oder Ungebundenheit, deshalb WIRD/IST sie gerade in der Bindung.)
Wer aber Kunst macht, heute macht (denn diese heutige Form des Künstlertums hat sich entwickelt, ist eine kulturelle Errungenschaft, ein eigenes Thema), braucht einige Grundvoraussetzungen.
Eigenschaft des Künstlers. Universalität.
Allem voran, bzw. dient alles nur diesem, ist die innere Eigenschaft, UNIVERSAL sein zu wollen. Das ist nicht quantitativ zu verstehen, sondern qualitativ. Denn man ist nicht mehr Künstler, weil man in Wien ausstellt, als wenn man in Kleinwirkbaustetten in der Sparkasse eine Winterlandschaft gemalt hat. Beides kann gleich viel Wahrheit enthalten - als Ausblick, als Fenster zur Ewigkeit und damit als Hereinblick der Schönheit, die gewissermaßen die Präsenz des ewigen wahren Bildes aus dem Dahinter, dem Unsichtbaren, dem das Leben selbst Seienden bedeutet.
Dazu muß man sich als Kunstschaffender von allem lösen, was auf das Figurentheater ausgerichtet ist, das die Welt selbst ist. (s.o.) Alle Menschen - sagen wir: der "normalen Gesellschaft" - sind ja aufeinander in Zwecken und Interessen gebunden, in Identitäten, in denen sie zueinander in Beziehung stehen. Sagen wir: als Schneider, Tischler, Funkbeamter, Taubenzüchterverbands-obmann, usw. usf. Ein unendliches (weil in der Tiefe und Vielfalt der Beziehungen nie ausschöpfbares) und großartiges Panorama, das die Welt damit ist!
Der Künstler muß, um die Dinge (liebend!) betrachten zu können (erkennen, betrachten ist ein Liebesakt der Vereinigung! man läßt sich befruchten - die Dinge stehen also zum Menschen in einem Verhältnis von Mann zu Frau), wie sie wirklich sind, in ihrer Betrachtung nichts von ihnen wollen, das ist das Entscheidende. Um aber überhaupt nichts "nicht wollen" zu können, muß er innerlich geläutert sein. Er muß sich kennen, er muß die Welt kennen, er muß von allem frei werden können. Denn Interesse heißt, daß man von den Dingen in der Welt gefangen, getrieben ist. (Etwas, das dem Menschen im Alltag nicht nur gefährlich wäre, sondern ihm widerspricht. Deshalb KANN ein Alltagsmensch das nicht akzeptieren oder verstehen, bestenfalls respektieren, rational nachvollziehen.)
Was macht den Künstler aus.
Und nach den langen, vorbereitenden Ausführungen, kann nun der vorerst letzte, aber Deinem Fragen anfänglichste Punkt eingefügt werden, dem Dein Interesse ja eigentlich galt: Es geht um das, was nun überhaupt einen Künstler macht, was einen wissen läßt, daß man einer ist. Was Letzteres gar nicht so sehr ein eigenes Wissen ist, sondern ein Rückfolgern, ein Schließen, ein Ableiten, in dem es letztinnige Sicherheit erst nach einem langen langen Weg geben kann. Denn schon der Moment, wo man eine Art "Künstlereben" beschließt, ist meist dessen Ende.

Man ist als Künstler auf die Gesellschaft, in die man hineingeboren wurde, ausgerichtet. Sie gibt einem die Inhalte, mit denen man dann ringt, und die man überwinden muß, von denen man dadurch allmählich freiwerden muß, um das Nicht-Sichtbare Schöne interesselos zu sehen. Deshalb hat jedes Werk einen Bezugspunkt - Menschen, Gesellschaften, etc., der sich freilich allmählich, mit der Entwicklung des Künstlers, immer mehr erweitern kann und normalerweise auch tut. Und: das hängt auch mit seiner Wirkgeschichte (aus dem Werk) zusammen.
Nun gibt es Seelen, Menschen, die in einem unentwirrbaren, komplexen, ja geheimnisvollen Spiel aus Gewordenheit, Gemachtheit und innerer Berufung keine dieser Figuren (Identitäten) "halten" können. Man könnte das mit Schicksal bezeichnen, es hat etwas von Verhängnis, also: über einem verhängt sein. Ihr Zugang zu allem liegt nicht darin, den Menschen etwas zu sein, sondern sich an das hinter allem Stehende hinzugeben. Das ist es, was einen interessiert. Die Welt wird zum "bedeutungslosen" Spiel.
 Morgen Teil 4)



*040717*