Dieses Blog durchsuchen

Sonntag, 16. Juli 2017

Eine Krone der Musik

Man hört zuweilen über die 8. Symphonie von Anton Bruckner, daß sie die Krone der Musk des 19. Jhds. sei. Manche nennen sie sogar "Die Aypokalyptische". Der Komponist, der sie mehrmals überarbeitete, sodaß insgesamt vier, teils beträchtlich abweichende Versionen entstanden, bezeichnete sie selbst als "Mysterium". Am häufigsten ist die 2. Version in einer Mischverversion mit der 1. gespielt, seltener eine reine 2., wie hier, in einem Konzert aus dem Jahre 1970 mit dem Wiener Pro Musica Symphonieorchester, dirigiert von dem damals schon betagten Jasche Hohenstein. Eine Aufführung von der manche meinen, sie gehöre zu den größten dokumentierten Aufführungen klassischer Musik überhaupt.

Und in der Tat: Wer sie in dieser Interpretation der 2. Version von 1890 hört könnte sogar  meinen, ein neues Werk vor sich zu haben. So erging es wenigstens dem VdZ. Von jeder oberflächlichen Romantik gesäubert, mit der Brucknern ja gerne einmal Gewalt angetan wird, offenbart sich eine Klarheit, als habe der Dirigent das Werk wie in einem gewaltigen Destruktionsakt mit dem Seziermesser auseinandergenommen und die nunmehr für sich stehenden Elemente wie zu einem neuen Werk zusammengefügt. Element um Element wird eingeführt, fast isoliert, nebeneinandergestellt, wieder zurückgenommen, dann wieder wie in einem Spiel aufeinander losgelassen, aneinander gerieben, wieder zurückgenommen, bis sich alles im Finalsatz entlädt. Dabei kommt die Monumentaliät und Reichhaltigkeit des Werks zu einer Entfaltung, die selbst jemanden umwirft, der diese großartige Symponie schon oft gehört hat und wissen müßte, was auf ihn zukommt. 

Der 4. Satz nimmt in seiner erschütternden Kraft schließlich alles auseinander, was einen erst noch zusammenhielt, und treibt zu einer Spannungszusammenballung wie unter Schmiedehämmern, die in den Sätzen zuvor, die wie ein Panorama des 19. Jhds. wirken, vorbereitet wurde und in der zu einem Ganzen getriebenen Verflechtung nun zwingt, sich neu zusammenzusetzen. Bruckner läutert in seinen Symphonien keine Themen, reinigt sie im dialektischen Spiel der Sätze und ihres Charakters, sondern setzt auf das Spiel der Motive, das er mehr und mehr und immer vollständiger auftürmt. Sogar seine Symphonien also sind keine Dramen (bzw. Sonaten), sie sind im Grunde Fugen, in denen er Spannung aufbaut, die bis zur Grenze des Tragbaren geht. Er hat nicht nur hier Stellen (man denke an die 7.!) die das Innere des Hörers anspannen bis es regelrecht zerreißen möchte, bis er alles endgültig in den katapultartigen Schluß hebt.

Bruckners Seele ist zu rein für das Drama, zu sehr bereits am Zielpunkt, darin ist er etwa Bach ähnlich. Er schält nicht heraus, sondern er ordnet, schichtet, gliedert, bis er einen Schicksalsturm aufgerichtet hat. Das kann man in fast allen seinen Werken deutlich erleben. Und in diesen Motiven zeigt sich seine Lebensreifung auch an bzw. in der Symphonie. Denn der Künstler hat eigentlich nur eine Aufgabe: Dem Universalen zuzureifen. Das Werk gibt nur Zeugnis, ist Botschaft von unterwegs, sagt A. P. v. Gütersloh einmal so richtig. Im Grunde arbeitet er aber immer nur an EINEM Werk, das mit dieser Reife immer vollkommener wird. Wenn die Turmspitze endgültig in den Wolken verschwindet (wie bei Bruckner dann in der 9. Symphonie).

Man geht aus dieser 8. also ebenfalls mit einem neuen Weltgefühl hinaus, sieht die Welt, in der Gott mit ungeheurer Macht wirkt, erst im Hintergrund, dann immer deutlicher im Vordergrund, nachdem alle Teile und Einzelmotive hineingenommen sind. Dem jedes menschliche Element gehört, das sich auf ihn öffnet, ihm zustrebt, erst von ihm erfüllt wird, fortan anders weil ins Ganze eingefügt.

Man könnte bei der 8. Symphonie aber auch meinen, Bruckner habe das Wesen des 19. Jhds. wie in seiner historischen Entwicklung zusammengefaßt, als wiese der Schluß auf das hin, was wenige Jahrzehnte später kommen sollte, in einem unaufhaltsamen Voranschreiten, in einer Getriebenheit und Unausweichlichkeit, die einen das Fürchten lehrt, weil kein irdischer Trost mehr bleibt: Die Apokalypse des 1. Weltkrieges. Deshalb hat er auch die übliche Reihung 1. und 2. Satz umgedreht, beginnt mit dem Spiel, das sonst die Themen des 1. Satzes, in denen das Ende noch ringt, erstmals aufschlägt. Bruckner sammelt hingegen Motive. Und wird daraus immer schwerer, denn immer mehr mischt sich Gott hinein, zu dem die Welt steigt. Höre man schließlich die Posaunen, höre man die Reiter, er kommt! Es bleibt nur Hoffen aus Glauben als Trost, nur Ergebung. Keine Welt tröstet, ihr Schicksal und ihr Weg ist besiegelt. Der frenetische Applaus bestätigt das Gelingen dieser Wirkung. Er gehört zur Aufführung dazu, denn er zeigt sich als ein gerade noch zurückgehaltener, nun endlich ausbrechender, wie ein angesichts der nun offenbaren Transzendenz herausgestoßener Aufschrei der Erlöstheit.

Leider ist die Aufnahme - dankenswerterweise wenigstens in digitaler Umspielung auf Youtube einhörbar - als Schallplatte so gut wie nicht erhältlich. Denn nur ein Kreis von Abonnenten der privat finanzierten Aufführungszyklen erhielt sie, auf dem freien Markt taucht sie so gut wie gar nicht (und wenn zu Liebhaberpreisen) auf.










*120617*