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Freitag, 28. Juli 2017

Brief an eine Tochter (5)

Konsequenz. Wofür?
Es gibt aber keine Versöhnung zwischen dem, was die Welt der Figuren will und dem, was man an ihr zu tun hat. Die kann bestenfalls allmählich eintreten, indem sie den Wert dessen erkennt, was man ihr - als Außenstehender, gewissermaßen - zu sagen hat. Was man ihr zeigen kann. Und man hat ihr zu zeigen, was es ist, das sie in Wirklichkeit bewegt. Man hat ihr das Unsichtbare in allem alltäglichen Lärm, der einem keine Ruhe läßt, um die wirklichen Bewegungen zu suchen und zu erkennen, zu zeigen.
Wenn eine Kultur aber zu weit von der Wirklichkeit entfernt ist, und das ist heute immer mehr der Fall, wird ihr die Kunst - die wirkliche Kunst, nicht das Kunstgetue, das ja bereits eine entschärfte, gar nicht mehr gefährliche, unwahre Scheinfrucht ist - sogar zum Feind. Auf jeden Fall wird sie sie noch weniger oder gar nicht mehr verstehen, denn zu viel müßten sie ihr Leben umstürzen, um es wieder mit dem Leben zusammenzuschließen.
Verzicht auf Anerkennung und Stellung. (Rat)
Für den Künstler heißt es in jedem Fall - nicht nur heute - Verzicht, totaler Verzicht auf Anerkennung und Stellung. Wenn Du dazu nicht bereit bist, dann hat es keinen Sinn. Dann wirst Du nur ein nächster Gefälligkeitslieferant, kein Künstler. Ich kenne genug Künstler, die dieser Falle aufsitzen und aufgesessen sind. Sie werden mit der Zeit immer unruhiger und innerlich zerrissen, und nicht wenige Säufer unter Künstlern sind Opfer genau dieser Unwahrhaftigkeit und Mutlosigkeit.
Denn das allerentscheidendste Merkmal, das mit allem oben Gesagten allerdings zusammenhängt, ist die Hingabe an das Material. Ist für den normalen Menschen (wobei: auch der Künstler ist eigentlich ein ganz normaler Mensch, vergiß das nie! das ist ganz wichtig, das zu begreifen!) im Alltag die Hingabe an sein Tischlerdasein, seine technischen Pläne, seine Familie, die Ausbildung der Kinder, etc. etc. der Ort, an dem er reift, das Material also, in dem und an dem seine Persönlichkeit sich nach und nach bildet, so ist es dem Künstler (sonst wäre er ja Philosoph, oder Priester, oder König, diese Berufe hängen alle im selben Deutungskreis) nur möglich, sich IN SEINEM MATERIAL zu reifen. Das ist ihm alles. Sein Singen, sein Bauen, sein Dichten, sein Schauspielen (es gibt nur sehr wenige Künstler unter Schauspielern, aus oben Gesagtem kannst Du es Dir vielleicht vorstellen? Die Versuchung, auf der Bühne, im Film eigentlich IN DER WELT ETWAS ZU SEIN ist riesig groß), etc. etc.

Es hat nur jedes Metier seine eigenen poetischen, sehr sehr praktischen Bedingungen und Gesetze und Anforderungen an die Person, weshalb es auch eine Rangordnung der Künste gibt. In allen aber wird dasselbe Grundsätzliche, wie ich es wenigstens im Ungefähr darzustellen versucht habe, wirklich (oder nicht, wenn man kein Künstler ist, oder scheitert, auch das gibt es, und zwar häufiger als das Gelingen.) Aber sie alle brauchen Bereitschaft zur Hingabe. Und das ist eine Tugend, das heißt eine sittliche Leistung (so, wie jede Erkenntnis eine sittliche Leistung braucht, nicht einfach "richtiges Denken" etc., Denken ist bereits eine sittliche Leistung.) Der lasterhafte Charakter wird schon daran scheitern. (Über das Künstlertum heute gibt es sehr sehr viele Irrtümer, und noch mehr Fallen, in die man tappt, so die der bereits erwähnten Romantisierung.)
Und das bedeutet, daß es nur einen Weg gibt: Den, sich ins Material zu ergießen. ZU TUN. Eigentlich geht es nur darum: ZU TUN. Dieses Tun und Tunwollen muß immer mehr ins Zentrum rücken.
Wieweit man dafür auf das normale bürgerliche Leben mit allen Existenzbedingungen "pfeifen" muß oder kann, (...), ist von einem Außenstehenden nicht beurteilbar. Die Spannung wird immer bestehen, und dafür gibt es keine Lösung - denn diese Spannung ist ja das, was gewissermaßen den Künstler AUSMACHT und im Dasein erhält. 


 Morgen Teil 6)





*040717*