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Dienstag, 25. Juli 2017

Brief an eine Tochter (2)

Der Mensch braucht die Wahrheit. Formt Bilder seiner Wirklichkeit. Schöpferischer Akt.
Der Mensch braucht also die Wahrheit, um überhaupt leben zu können. Wenn der Mensch irrt, oder noch mehr: irren will, geht er zugrunde. Das kannst Du im einfachsten Alltag entdecken. Wie aber kommt sie in den Menschen hinein, diese Wahrheit? Wie kann er die Bilder in sich formen, wie nehmen sie Gestalt an?
Durch das, was er sieht, was er von außen sinnlich in sich hineinläßt, das ist das eine, und in einer Reaktion, in seinem eigenen Willen, daraus Bilder seiner Wirklichkeit formt. Das ist ein schöpferischer Akt, bei jedem Menschen. Er muß im Außen sehen, was sein Gut ist, seine Freiheit, sein ewiges Leben. Also braucht es dazu vorhandene Bilder, und zwar möglichst Bilder der Vollkommenheit der Dinge. Denn so wird ihm die Wahrheit am besten erfahrbar. Er nimmt diese Bilder auf, und fügt sich ihnen im Betrachten. (Man erkennt nur, wenn man dem, was man sinnlich aufnimmt, auch Gehorsam ist! Sonst erfährt man gar nie, was es für Eigenschaften etc. hat. Wer nicht gehorsam ist, wird niemals erkennen, er wird nur rationale oder phantasievolle Konstrukte bauen, bis er verdurstet ist.)
Zum einen sind da die Bilder der Natur. Auch Du wirst sicher schon erlebt haben, wie sich in ihnen etwas - eine Schönheit, Erhabenheit etc. - verbirgt, das einen erhebt. Und das heißt: zu vollerem Leben bringt. Denn darum geht es ja.
Zum anderen sind da die vom Menschen gemachten Dinge als Bilder, als Sinnbilder. In ihnen kann ein Mensch dem anderen zu mehr Leben verhelfen, oder auch das Gegenteil. Das ist alles ganz real praktisch erfahrbar, und auch Du hast es sicher bereits erfahren. Man kann unterscheiden in Menschen, die zerstören, und Menschen, die aufrichten, aufbauen. Und das alles durchaus in zeitlichem Wechsel. Denn der Mensch ist in vielem sehr fragil und wechselhaft. Er muß das Aufbauende, das Leben, das Schöne damit, etablieren, zur Gewohnheit formen, und institutionalisieren - was man dann Kultur nennt.

Ich spreche hier der Einfachheit halber immer vom Sehen, es ist aber natürlich für jeden Sinn aussagbar, nur je auf andere Weise, in einem anderen Teil seines Selbstseins, denn die verschiedenen Dinge - gehörter Ton, gesehene Farbe und Gestalt, gehörter Rhythmus als Gespür, gerochener Wohlgeruch als wesentliche Aussage über das Wesen eines Dings, Geschmack von den Dingen - wirken allesamt auf verschiedene und meist vielfach kombinierte Weise. Aber das macht etwa sogar klar, warum man die Architektur der Musik zuordnet.
Es geht um das Entstehen der vollkommenen Bilder hinter bzw. in den Dingen beim Betrachter. Das macht ihn leben, das macht alle Menschen leben. (Wenn man sagen wir ißt, ist es gleichfalls nichts anderes, als das in dem Gegessenen vorhandene Bild, das das Gegessene selbst erst sein läßt, in sich aufzunehmen, abzulösen und daraus zu leben. Die heutige pseudo-naturwissenschaftliche Auffassung, die alles zu "chemisch-physikalischen" Prozessen reduzieren möchte (und in der Physik längst erkennen muß, daß es nicht so ist, daß die materialistisch-mechanistische Sichtweise der Welt nur eine Reduktion einerseits, ein Rückverschieben der Grenzen anderseits ist, ohne zu einem Ergebnis oder Verstehen zu kommen), irrt hier fundamental, das quasi zu mechanistischen Aufbauvorgängen heruntererklären zu wollen.
Darstellung. Kunst. Sinn im Gefüge der Welt
Und darum geht es auch in der Kunst. Die ich nun dahingehend angerissen habe, was ihr Sinn im Gefüge der Welt ist. Der Mensch stellt das Leben, die Schönheit, die Vollkommenheit dar, um die Welt (die im Menschen hängt und gipfelt) im Bestand zu halten. Das ist auch genau das, übrigens, was in der Liturgie der Kirche passiert. Die das Urbild aller Kunst ist. Darauf einzugehen würde aber endgültig jeden Rahmen hier sprengen, in dem ich sowieso nur andeuten kann. Endgültig auserklären kann ich hier nicht, da müßte man Bibliotheken schreiben.
Was macht den Künstler aus. Wahrnehmen. Gehorsam. Unsichtbare sichtbar.
Dann aber ist da eben der Mensch als der, der "macht" (poesis heißt: das Gemachte). Muß der Wahrnehmende also dem Wahrgenommenen gegenüber gehorsam sein, ihm folgen, um es zu erkennen, muß es der Herausstellende, der Künstler (hier fügen wir erstmals das Wort ein), in genau derselben Gehorsamshaltung nach innerem Bilde, nach dem Bilde, das es nämlich darzustellen gilt, formen und herstellen. Der Künstler macht also das Unsichtbare sichtbar, und darin ist er Gott sehr sehr ähnlich, wenn auch nur ähnlich, nicht Gott selbst. (Denn er selbst ist ja nur ein Abbild, weil geschaffen.) Er macht etwas, ein Bild, eine Statue, eine Dichtung, und stellt sich aus sich heraus, und von sich weg. Sie erhält ein Eigendasein. Sie ist nicht mehr er selbst, sie ist Schöpfung. Etwas, das als so wie ein Stein, ein Hund, eine Yukka-Palme die Welt im Bestand hält! Eine ganz hohe Sendung also!
Also muß er selbst in höchstem Maß wahrhaftig sein. Nichts in dem Dargestellten darf nämlich vom Wesensgesetz des Dinges, das er macht, abweichen. Er darf - NICHTS WOLLEN. Außer: gehorsam und wahrhaftig zu sein. Und dazu dient ihm auch ein Können. Das unter Umständen (man denke an das Spielen eines Instruments, das viel viel Fertigkeit braucht) auch gelernt und ausgebildet werden muß. Denn sonst wird ja das, was er innerlich als Bild hat, das er innerlich "sieht", nicht so, wie er es sieht!
Hier zeigt sich erstmals eine Rangordnung zwischen dem, was man als Konflikt zwischen Müssen und Können bezeichnen könnte. Denn auch ein Virtuose KANN. Aber er wird nie ein Künstler sein. Denn dazu muß man das Bild aus sich selbst gewissermaßen schöpfen. Die Vollkommenheit muß in einem selbst sein.



Morgen Teil 3)





*040717*