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Sonntag, 2. Juli 2017

Ein Augenblicksbericht aus Ungarn (2)

Teil 2) Die Ungarn sind unglücklich, weil sie, die völkisch so eigen sind, sich mit den Augen eines ihnen immer fremden Westens beurteilen. Und da schmieren sie nun völlig ab.


Diese Ungarn also, die mitten in die drei europäischen Völker - Slawen, Germanen, Romanen - im frühen 9. Jahrhundert aus Asien vorgestoßen sind, und denen man dann diese Bleibe, die Pannonische Ebene, umsäumt von Gebirgen, als ihr Haus- und Eigenrecht zugewiesen hat, um sie zu befrieden, wollen ein starkes Selbstsein, aber zugleich sehen sie sich mit den Augen der "Anderen", der Fremden, der anderen Kulturen. Denn diese sind kulturell, geistig deutlich überlegen (gewesen).

Gleichzeitig sind sie genau an der Mission, die sie so bereitwillig erfüllt haben - der Schutz des Abendlandes gegen nichtchristliche Kulturen, namentlich den Islam der Türken - auch kraftmäßig verblutet. Man schätzt, daß heute kaum noch zehn Prozent der in Ungarn lebenden Menschen "magyarischer Herkunft" sind. Doch hatten die Ungarn eines, das kaum sonst noch ein europäisches Volk hat: Sie sind von einer "heiligen", in Mythen unvordenklicher Zeit verankerten Krone des gottgestifteten Königtums ALS VOLK, als Kultur sogar, verankert. Ein Segen hier, gewiß, ein Auftrag, ganz gewiß, aber auch ein Fluch in diesem realpolitischen europäischen Spiel.

Wenn man aber als Europäer lernen will, WAS ein Volk ist, dann muß man auf Ungarn blicken. Nein, es ist nicht ethnisch-rassisch ausdefinierbar. Nein. Es ist eine - Idee! Es ist damit eine Wurzel der Religion. Es ist eine Kulturwurzel! Eine Identität! Und die ist immer - immer! - ein sublim entstandenes und entstehendes Konstrukt, das in Ungarn die Idee der Krone als einendes weil stiftendes Moment hatte. Selbst die vielen zehn- und hunderttausend zugewanderten Deutschen im Wechsel der Jahrhunderte "wurden Ungarn", der VdZ hat das immer wieder von ihren heutigen Nachkommen gehört. Sie wollten nicht "Deutsche in Ungarn" sein, sie wollten Ungarn sein. 1945/46, die Ausweisung der Deutschen, war also ein tragischer, von den vertriebenen Deutschsprachigen nie verstandener Irrtum. Was im übrigen die von den Ungarn selbst so abgelehnte, aber innert so logische Verbindung mit den Habsburgern - die nur diese Idee als Halteband hatte - als sehr, sehr natürlich erscheinen läßt.

Die Wirkzusammenhänge in die Gegenwart und aus ihr heraus sind sicher komplex, der VdZ will die momentanen Eindrücke noch wenig bewerten. Aber - sie sind da. Und deshalb meint er, dem Leser davon Kenntnis bringen zu sollen. Weil er dieses Land, diese Menschen hier liebgewonnen hat, auch wenn sie so viele Schwächen haben. Aber wer hätte das nicht? Lieber Menschen, die den Sinnen unterliegen, als Weltverächter. Er könnte aber derzeit fast zum Eindruck kommen, daß etwas in Ungarn bröckelt - etwas, das man als die Seele des Volkes bezeichnen könnte. Nein, er glaubt nicht, daß "Orban schuld ist". So einfach ist es sicher nicht.** Aber er bringt es auch nicht zum Stillstand.

Nur einen Punkt kann man in direktem Ursache-Wirkungsverhältnis sicher ausmachen: Die unverständliche Steigerung der Immobilienpreise. Sie sind zu einem guten Teil hausgemacht. Denn vor einigen Jahren hatte die FIDESZ den gloriosen Einfall, ungarische Familien zu fördern. Klingt phantastisch. Aber wie immer: Mit Geld kann man keine Sozialpolitik machen! Das ist sozialistischer Schwachsinn. Und man tat es auch hier, indem man Familien mit Geld förmlich überschüttete, speziell sobald ein Ehepaar Kinder hatte und eine Wohnung oder ein Haus brauchte.

Der Effekt war tödlich. Diese hohen Geldsummen, die plötzlich auf den Immobilienmarkt drängten, bewirkten eine endgültige Verschiebung jedes natürlichen Preisgefüges. Die Preise für Häuser, die Mieten stiegen und stiegen. Das hat nicht nur alle Förderungen aufgesaugt, sondern dazu geführt, daß sich normale, nicht geförderte Ungarn diese Preise nicht mehr leisten können. Das entspricht auch den Beobachtungen des VdZ, der nicht wenige Ungarn kennt, die in Bedingungen wohnen, die man nur als "ziemlich unter Standard" bezeichnen könnte. Die Abwanderungsrate ist nach wie vor enorm hoch, und zwar vor allem unter den gut Ausgebildeten, aber nicht nur dort.

Und die Geburtenrate in Ungarn, vorgebliches Ziel dieser Maßnahme? Sie blieb auf dem europaweit vertrauten, desaströsen Niveau. Kinder in die Welt zu setzen hat ja offenbar einen anderen Grund als "Geld", auch wenn das die Politik bis heute nicht begreift. Nur eines steigerte sich, wie in Österreich, wie in anderen Ländern zu beobachten: Eltern fühlen sich als "bessere Menschen", und benehmen sich auch entsprechend. - Sie haben nun "rechtliche Ansprüche".

Auch das Haus, in dem der VdZ wohnt, verfällt still vor sich hin. Niemand, der Hauseigentümer will oder kann investieren. Also hofft man, daß die Substanz noch eine Weile weiterträgt. Wie ja insgesamt in Ungarn nach 1945, wo man noch dazu den tödlichen Fehler begangen hat, mit den 300.000 bis 500.000 Deutschen, die man als "Volksfeinde" vertrieb (nichts Genaues weiß man bis heute nicht, es ist eben Ungarn, liebenswert, wahrlich liebenswert, aber irgendwie verrückt "inkonsequent" und "ach, machen wir schon"), genau die produktivste Schichte des Landes, die Mittelschicht, aus dem Land zu werfen - aus volkswirtschaftlicher Sicht ein Selbstmord! 

Das bringt der VdZ mit einer aus allen diesen erwähnten Komponenten erklärbaren verbreiteten Mentalität in Verbindung, in der die Ungarn "freies Wirtschaften" mit "catch as catch can" verwechselt haben. Sie haben keine Ahnung, mit Verlaub. Einen Mittelstand, der ein anderes Verhältnis zu Wert und Arbeit hat, der verwurzelt ist, der ganz natürlich gewachsene, traditionelle, soziale Verantwortung sieht, gibt es in Ungarn defacto nicht. Es gibt einen Scheinmittelstand, aus Glücksrittern und am Lohngefälle zum Westen, aber sogar innerhalb des Landes gut Verdienenden (im Osten Ungarns, zur Ukraine, zu Rumänien hin, sind die Löhne noch niedriger!).

Ja, gewiß, man hat viel saniert, gerade in den letzten Jahren, hat manche Autobahnkilometer gebaut, manche Innenstadt renoviert, um einen Wirtschaftszweig (Tourismus) aufzubauen, und Ungarn ist ein wirklich schönes Land. Aber der Effekt? Er ist zögerlich. Er bleibt fast aus. Und diese Gelder, die da ins Land flossen? Sämtlich EU-Gelder, die aber noch zumindest keinen nachhaltigen Effekt haben. Irgendwie ist auch aus dem Westen, auf den man ja gehofft hat, worauf sonst, die Luft draußen.

Westungarn kann sich nur deshalb "halbwegs gut" halten, weil es die nach Österreich auswandernden Arbeitskräfte durch billige Ostungarn ersetzen, damit das hier stark divergierende Lohnniveau (niedrig - hoch) halten, damit jonglieren konnte, und viel Kauftourismus, immer noch, aus Österreich hat. Entsprechend sind die Preisunterschiede für ein und dieselbe Leistung bei unterschiedlichen Anbietern enorm, je nachdem, auf welche Käuferschichte der Anbieter spekuliert. Das führt sogar zu eigenen sozialen Sonderschichten, wie denen der Zahnärzte, in Sopron mit 65.000 Einwohnern gut 300, die praktisch rein auf westliches Publikum ausgerichtet sind.

Korruption ist alltäglich, glaubt der VdZ Berichten, auch wenn er das nicht aus eigener Erfahrung bestätigen kann. Angeblich aber sogar in öffentlichen Einrichtungen wie dem Krankenhaus, wo sich die Art der medizinischen Betreuung, ein Operationstermin, eine Medikamentenauswahl, von persönlicher Zuwendung nicht zu sprechen, mit ein paar tausend Forint erheblich verändern läßt. Angeblich. Aber - glaubwürdig erzählt. Entsprechend divergieren dem VdZ zu Gehör gebrachte Berichte, von "sehr zufrieden" bis "katastrophal und lebensgefährlich". (Der VdZ kennt freilich eine Ärztin des Soproner Krankenhauses, er würde sich für deren Seriosität glatt verbürgen.)

Der Weihnachtsmarkt in Györ gilt in den Augen des VdZ sogar als Extrembeispiel. Hier fand er gar höhere Preise als beim Markt am Wiener Rathausplatz. Ach ja - hier haben wir einen der Gründe, für die absurden Mietpreise für Geschäftslokale. Die Vermieter wollen an dieser Konstellation "mitschneiden". Gier. Ganz einfach: Gier. Und der Gier immer innewohnende Dummheit, die Klugheit durch "Cleverness" glaubt ersetzen zu können. Oh ja, viele in Ungarn, die, die mit tollen (geleasten) Schlitten durch die Straßen auch von Sopron kurven, halten sich für unheimlich "clever". Auch diese Klagen hat der VdZ zunehmend gehört: Daß es eine zunehmende Schichte in Ungarn gibt, die sich "als etwas Besseres" fühlen, auf alle herabsehen, aber hier leben bleiben.

Insgesamt erhärtet sich also der Eindruck, daß Ungarn heute mehr denn je - oder: wieder? - ein Land ist, das wie ein Schiff zur Plünderung ausgeschrieben ist. Diese Plünderung konnte aber nicht nur nicht gestoppt werden, sondern sie nahm mittlerweile überhand, weil der Glaube, daß Ungarn gesunden, überleben kann, ein lebenswerter Ort auf dieser Welt ist, erschreckend gefallen ist. Den VdZ würde also nicht wundern, wenn bei den nächsten Parlamentswahlen die JOBBIK der FIDESZ an Stimmenateilen so nahekommt, daß sie ihr sogar gefährlich werden könnte. Denn die übrigen Parteien in Ungarn sind einfach abgemeldet. Und noch ratloser. Und noch weniger vertrauenswürdig.

Wäre das die Zeit für eine "Bewegung der Krone"? Die in Ungarn immer noch in so hohem Ansehen steht, daß sie (oder ist es eine Kopie? Man erzählt sich überall anderes ...) im Parlament an einem Ehrenplatz steht. Angeblich fühlen sich 10 (manchen Erhebungen nach sogar 25, dem Gefühlten des VdZ nach ... 90) Prozent der Ungarn als Angehörige einer Monarchie, die nur gerade mal keine ist. Diese Geste der Stephanskrone gegenüber (die originale, die der Papst König Stephan im Jahre 1000 übersandt hat, ist es auf jeden Fall nicht, die ist mit Sicherheit in den Mongolenstürmen, die Ungarn 90 Prozent seiner Bevölkerung gekostet haben, verschollen) hat Victor Orban veranlaßt, immerhin. Angeblich war es aber seine angeblich sehr fromme Frau, eine Katholikin. Orban selbst ist ja Lutheraner. 

Vom metaphysischen Gesichtspunkt - auf jeden Fall. Praktisch? Chancenlos. Aber Gott hat ja schon manches Wunder bewirkt. Vielleicht hat er eines auch für Ungarn in seinem Köcher der Vorsehung. Denn nach wie vor gilt: Die Kirchen in Ungarn sind voll.

Nachtrag vom 22. Juni 2017: Vier Wochen nach Erstellen dieses Blogeintrags wurde der subjektive Eindruck des VdZ (aus Gesprächen und persönlichen Erfahrungen) durch eine bekanntgewordene offizielle Erhebung bestätigt: Das GDP (GrossDomesticProdukt - Bruttoinlandsprodukt, also der Gesamtwert an produzierten Werten) der Ungarn ist in den letzten zwei Jahren um ein Prozent gesunken, obwohl der Privatkonsum unverändert blieb (was heißt: man lebt auf Schulden), und befindet sich im untersten Viertel der EU. Ungarn ist eines der ärmsten Länder Europas. Zum Vergleich: Das GDP in Deutschland (123 Prozent) und Österreich (sogar 126 Prozent) liegt (auf den Durchschnitt der EU) deutlich höher als Ungarn (67 Prozent), und kann sich entsprechend im Privatkonsum (D: 122, Ö: 118 Prozent) fast das Doppelte leisten als die Ungarn (63 Prozent), das am Niveau Rumäniens liegt und nur noch von wenigen Ländern (Kroatien: 59 Prozent, Bulgarien: 53 Prozent) unterboten wird. 

Wer weiterspekulieren möchte, der soll. Denn das sieht (auch Polen liegt ganz ähnlich wie Ungarn, obwohl man dort nach wie vor von blühender Wirtschaft spricht) nach einem kapitalen Bauchfleck der "EU-Osterweiterung" aus, der sich da abzeichnet. Und nur die alte Weisheit bestätigt, daß man eine Volkswirtschaft NIE durch Gelder von außen (die das BIP dieser Länder kurzfristig hochgedrückt haben) nach oben befördern. Macht, Mittel, damit Geld, müssen immer in einem Verhältnis zur Eigenkraft, Werte zu schaffen, stehen. Und das sind wie man hier sieht, lange, sehr lange Prozesse, die nur auf einer sittlich-kulturellen Höherentwicklung eines Volkes beruhen können. Nicht auf Geld. 

Die Osteuropäischen Länder in die EU einzubeziehen, diese Länder in einen schrankenlosen Freihandel einzugliedern, war nicht eine Aktion, den dortigen Menschen zu helfen, sondern eine Ausbeutungsaktion der West-EU, um die dortigen niedrigen Löhne speziell bei standardisierten Primitivtätigkeiten auszunützen. Das ist alles. Damit aber hat man die Selbst-Kräfte für ein Aufstehen aus eigener Kraft auf unabsehbare Zukunft ruiniert.


*Die JOBBIK, übersetzt "die Besseren", also die Partei der sogenannten "Rechs-Rechten" folgt man der Diktion der westeuropäischen Medienpfuhle, Umfragen zufolge in Ungarn bei ca. 18 Prozent Stimmenanteil (zum Vergleich: Die FIDESZ liegt bei etwa 45 Prozent) hat deshalb eine europaweite Initiative ins Leben gerufen, die zu ersten kleinen Erfolgen gekommen scheint. Sie hat zum Ziel, Mindestlöhne für einige Ostblockstaaten zu erwirken. Ob das freilich auf rein staatlich-politscher Ebene Sinn hat, wagt der VdZ zu bezweifeln. Vielmehr sind Löhne in ein ganzes Geflecht von umgebenden Bedingungen eingebunden, und der Staat kann nicht einfach Mindestlöhne diktieren. Da braucht es die Veränderung vieler Randbedingungen.

**Aber es soll auch nicht verhehlt werden, daß die Gerüchte, daß sich "Orban und sein Familienclan" Ungarn regelrecht "unter den Nagel reißen", mehr als nur Gerüchte zu sein scheinen. Manches scheint zu offensichtlich. Dem Leser aus deutschen Landen: Viktor Orban gilt im Umfeld des VdZ mittlerweile als Milliardär, als einer der reichsten Ungarn! Und aus dem (andersbewegten) Studium der Immobilienanzeigen schloß der VdZ auch selber, daß es in Ungarn eine kleine, aber sagenhaft reiche Schichte geben müsse. Die sich Wohnsitze leisten und diese erhalten, die auch westlichen Maßstäben nach "sagenhaft" sind. In Ungarn muß es also eine zahlenmäßig kleine Schichte geben, die sich genau so wie ausländische Konzerne des sagenhaft niedrigen Lohnniveaus schlichtweg "bedienen" kann. Die ihr eigenes Land ... aussaugt, sagt man so? Daß wir uns klar sind, werter Leser: Das war ja genau auch das, was Victor Orban den zuvor regierenden Sozialisten vorwarf, die sich derselben Gepflogenheiten befleißigten.


*280517*