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Donnerstag, 20. Januar 2022

Als die Gottesmutter den 3. Weltkrieg verhinderte (1)

Eines der interessantesten Konstruktionselemente in Heimito von Doderers Jahrhundertroman "Die Dämonen" ist die Totalität der Geschehnisse. Das macht den Roman wirklich zu einem Roman, der als Form ein Versuch ist, die Universalität der Welt darzustellen. Und dazu gehört in der menschlichen Gesellschaft eine dichte Verwobenheit sämtlicher Geschehnisse udn Handlungen. Geschehnisse, die auf den ersten Blick so rein gar nichts miteinander zu tun haben. Die sich aber in einem unsichtbaren Netz engster Knotensetzungen mit allem verbunden befinden. 

Das ist aber kein okkultes Weltprojekt, sondern es ist dem Fraktale ähnlich. In dem eine Zeit auf ihren Ebenen - und hier ist es nicht nur die österreichische Gesellschaft, sondern die Gestimmtheit ganz Europas, jeweils mit ihren Verbindungen: Doderer sah etwa die britische Kultur zusammen mit der Wiener Kultur bis in die 1950er Jahre als die einzigen Kulturen in Europa, die diesen Namen überhaupt noch verdienten. Die somit einander in gewisser grammatikalischer Hinsicht ähnelten. 

Und deshalb auch im Roman (über den Handlungsstrang der Erbschaft einer der Proponentinnen, auch diese Zeichnung von höchster Einprägsamkeit kraft der in ihnen erkennbaren menschlichen Eigenschaften, die ich hier zusammenfassend und kurz mit 
"ein befreiendes Ereignis verändert einen Menschen schlagartig zu sich selbst, sodaß er nun wirkt, als wäre er vorher nur eine Scheinkonstruktion gewesen, deren Gestalt davon bestimmt war, sich nur irgendwie im Leben zu halten zu versuchen, sodaß das Zustoßende - diese bestimmte Erbschaft - die Ergänzung dessen Lebens war, das sich jetzt erst in seiner wahren Gestalt zeigen konnte, das aber auf das nun Geschehene hatte warten müssen"
beschreiben möchte. 

Alles wird aber von demselben Formengefüge durchzogen, das sich freilich auf ihren jeweiligen Ebenen äußert. Dort, in der größten gesellschaftlichen Ebene, wird es zur niedergeschlagenen Revolution, die sich ausgehend von den Ereignissen in dem burgendländischen Dorf Schattendorf hin zum Justizpalastbrand 1927 ausfaltete. 

Auf einer anderen Ebene äußert sich diese Gesamtstimmung bei einer völlig unbedeutenden, mit dem Romangeschehen scheinbar nur in ganz unbedeutendem Zusammenhang stehenden alten Frau. Die einen Traum hat, der in seiner Aussage (aber nicht als hellseherisches konkretes Geschenen) die kommende Katastrophe (die die Katastrophe einer Volksseele ist) vorweg "sieht". Und das war es dann auch schon. Weder kommt das jemandem zur Kenntnis, noch hat es scheinbar irgendwelche zählbaren Auswirkungen - und doch ist auf einmal dieser Mensch "anders". 
Aber noch eine tiefe Wahrheit über den Menschen liegt darin verborgen, auch sie zeigt sich in "Die Dämonen". Es ist die Wahrheit, daß sich das, "was" jemand ist, wie er auftritt, welche Eigenschaften er "hat", von seinem Bezuiehungsgefüge abhängt. Ändert sich dieses, ändert sich der Mensch. Was aber zeigt an, wo ein Beziehungsgefüge WIRKLICH existiert? Es zeigt sich in der Teilnehmerschaft an den Ritualen. Denn es sind die Rituale, die das Menschsein REAL machen, zur Welt gerinnen lassen, die für den anderen eine "Außenseite", eine Gestalt ist (die immer die Gestalt eines "anderen" ist.)
 Aber genau deshalb ist diese Szene eine Schlüsselszene: Wer sie versteht, hat den Roman "Die Dämonen" verstanden. Damit aber auch jeden Roman, und sei es, daß er ihn besser versteht, als der Autor. Und das ist gar nicht selten, wenn nicht sogar immer der Fall. Wenn überhaupt, dann versteht ein Autor das eigene Schaffen erst nachträglich, und zwar über das durch "die anderen" durchgewalkte, durch den jeden Widerstand zermalmt habenden allgemeinen Sprachraum (der nicht zwangsläufig der der "Mehrheit" ist.) 

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Aber man muß nicht weit schweifen, will man sich mit diesem Thema weiter auseinandersetzen. Ich weiß nicht ob Ihnen, werter Leser, bewußt ist, wie sehr auch wir bzw. unsere Vorfahren und Verwandten solche Zusammenhänge erlebt haben. Ich erinnere mich hier etwa an viele Gespräche in dem niederösterreichischen Markt Kematen, wo ich ein dutzend Jahre zu wohnen kam. 

Dort gab es noch viele Bewohner, die sich an die Zeit von 1939 bis 1945 erinnerten, mit jeweiligen Schwerpunkten, in Abstimmung mit dramatsichen Geschehnissen auf der großen Weltbühne. So dicht waren dort die Erfahrungen in diesem ganzen Landstrich des Ybbstales, von Amstetten bis Waidhofen, daß es angeblich sogar zu Untersuchungen nach dem Kriege gekommen war, die die zahllosen Phänomene erheben und ordnen sollten, die die Menschen erfahren hatte. Träume, Erscheinungen von Toten oder zur selben Stunde im Kriege ums Leben Gekommene, Geschehnisse die man (leider tut man das allzu leicht) als Spuk und okkulte, esoterische Vorkommnisse einordnen könnte, alles das war dort an der Tagesordnung, und kündete an oder kommentierte, was im Großen geschah. 

Brach so das Große auf die Ebene des Kleinen, zeigte wie das Große sich für die einfachen Leute äußerte. Und zwar parallel, als eigenes Geschehen. Nicht als Folge, wie es eine andere Art der Untersuchung zum Gegenstand hätte. Was im Großen geschah, geschah auch im Kleinen, aber eben auch in kleinerer (für die Menschen aber freilich ihrer Lebensdimension entprechenden) Konkretion.

Die Weltanschauung beginnt bei der Landschaft, in die ein Mensch hineingeboren wird. - Daß es aus den verschiedensten Gründen, über die wir hier aber nicht weiter spekulieren wollen, solche landschaftsweisen Gestimmtheiten gibt, die sich auch in abgrenzbaren Gegenden bei den Menschen in bestimmter und gleicher Weise zeigen, ist ja bekannt. Auch die Grafschaft Glatz, der meine Vorfahren mütterlicherseits entstammen,  war zum Beispiel so eine "geheimnisvolle Landschaft". Auch meine Mutter oder einige der Verwandten hatten da so manches zu berichten.

Und ich selbst hatte die Rübezahl-Geschichten, die meine Mutter Abend für Abend am Bette von uns "Kleinen" las, eigentlich als Realität erlebt, und nicht als Mythen oder Legenden. 2016, als ich dann das Riesengebirge, die Heuscheuer oder Eisersdorf erstmals real erlebte, war es mir als sähe ich die Orte eines Geschehens, das tatsächlich vorgekommen war, und sogar jederzeit wieder aufstehen konnte. 

Freilich, ich habe nicht abkoppeln können, was ich aus anderen Quellen ersah, etwa auch aus den Schriften von Gerhart Hauptmann. Sodaß ich gewisse Zusammenhänge eher psychologischer Natur sehe, wie sie zwischen gewissen Formen des Mystizismus und Neigungen, die mit dem in Schlesien im 19. Jahrhundert zur "Seuche" auswachsenden Inzestproblem bestehen.

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Es soll dies und auch das nächste aber nicht abgeurteilt oder auch nur bewertet werde. Auch nicht deswegen, weil man (also auch ich) dazu neigt, solche Episoden in eines Leben als dumm und unbedeutend zu bewerten, ja sogar als Irrtum. Aber das sollte man sich verbieten, ich sage es offen, auch wenn es wirklich schwer ist, weil ohne die Instanz des Verstandes in dieser durch die Erbsünde von Schein und Täuschung so dicht durchzogenen Welt die vielfachen Impulse, die ein Mensch sowohl empfängt ie auch dann ausarbeitet und ausdrückt, nicht geordnet werden können. Und so ein "normales Leben" unmöglich machen. Wieviel (!) Gold wurde da aber schon auf den Misthaufen des "Unwichtigen" gekarrt, das in Wahrheit ein Telegramm des Wirklichen war, das wir nur deshalb nicht erkanntne, weil es so "normal" war. 

Und das ist die Crux - auch das Außergewöhnlichste ist im Grunde dem echten Menschen nur normal. Nicht, weil es unbedeutend wäre, sondern weil das ganze Leben eine riesige Operninszenierung ist, die sich mit wirklich Niedrigstem aber untrennbar vermischt. Das ist ja dann - und wir sollten hier doch manchmal mehr Verständnis aufbringen - für die Medien oft nicht leicht. Denn ihre größte Herausforderung ist, aus diesen Wagenladungen des rein faktischen "Alltäglichen", die vor ihre Türe gekippt werden, die oft so kleinen Stückchen Gold herauszufinden, die aufzuheben und in die Auslage zu stellen dann nicht einfach nur lohnt. Sondern die ihre eigentliche Aufgabe sind. Denn nur daran kann der Sprachraum als geistiger Raum jenes Volkes gedeihen, in dem sie ihre Aufgabe erfüllen. 

Morgen Teil 2) Das Leben ein Traum. Im Zwielicht der Welten bereitete sich die Apokalypse vor.