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Freitag, 14. Januar 2022

Warum wir aber schreien

(Ich wiederhole einen Beitrag aus diesem Blog vom 28. Mai 2010, den ich bei der Durchsicht der Zugriffsstatistik fand. Denn ein Leser hatte wohl danach gesucht. Dabei erlaube ich mir die Frage, ob wir überhaupt noch in der Lage sind, sinnvoll zu klagen. Wirklich das zu beklagen, was zu beklagen ist. Oder ob nicht unsere Gehirne bereits in einger Gesamtbewegung der Kultur mitfließend so vernebelt sind, daß das Beste, wozu wir noch fähig sind, irgendwelche subjektivistisch-gefühlige, sentimentale Ausrülpsungen sind, die so irgendwie in eine Richtung weisen sollen. Denn irgendwie muß ja doch gerülpst werden, ohne aber noch einen konkreten Begriff aus dem Geschehen, das uns umflutet wie einen Korken die Brandung, in der er hin und her geworfen wird.

Was uns das über den Menschen sagen könnte, den man seiner Freiheit beraubt? Das, werter Leser, möge er selbst fortspinnen. Vielleicht ist manches anders, ganz anders, als die Erzählung wiedergibt, die sich derzeit rund um Tagesgeschehen aufbaut. Manchmal, ich bin ehrlich, habe ich das Gefühl, daß wir uns sämtlich in einem einem Schneegestöber vergleichbaren Rauschen bewegen, ähnlich dem bei einer Bildstörung im Fernsehen, wo wir kein Bild mehr entdecken können außer jen, die wir selbst ins "Sehen" hineinstellen. 

Aber ist die Welt außerhalb des Bildschirms (die der Bildschirm ja abbilden sollte) tatsächlich nun so? Oder läuft nicht ein zweites Geschehen, von dem wir uns aber schon weit entfernt weil entfremdet und durch eine hohe Wand in unserem Inneren getrennt haben, die zu überwinden wir die Kraft nicht mehr aufbringen,

Ob nicht der Medienschaden viel weiter geht, als wir es uns vorstellen können.) 
Adolf Portmann berichtet in "Das Spiel als gestaltete Zeit" über ein Experiment, das er in den 1930er Jahren auf seinem Institut in Basel gemacht hat, und mit welchem er die utilitaristische Auswirkung des Spielens - im konkreten Fall: aus Ausbildung von Muskeln und des Nervenapparats bzw. der Neuronen/Synapsen im Gehirn - in Frage stellt:

Dort hatte er Stare aufgezogen, denen durch sehr enge Wolljäckchen die Übung der Flugmuskulatur bis zum Tag der normalen Flugfähigkeit völlig verwehrt war. Das, so Portmann, bedeutete keinen schädigenden Zwang für die Jungvögel: sie hatten eine sehr lebendige, bewegte Kindheit. Aber seine Frage war eindeutig beantwortet: die erste Flugbewegung sowohl wie die Reifung der Muskelgewebe erfolgten trotz der Beschränkung völlig normal. Eine Tatsache, die auch an anderen Nesthockerjungen nachgeprüft werden konnte.

Sinngemäßes läßt sich, so Portmann, auch für das Singen der Vögel aussagen, selbst wenn sie völlig isoliert und abgeschlossen aufgewachsen sind. Sie sangen, wie es dann dem Alter und der Reife anderer Vögel entsprochen hat, die keiner solchen Einschränkung unterlegen sind.
Wovon hängt also ab, frage ich nun, was wir als Mensch sind und wie wir auftreten? Und: Hat nicht die Kolonisierung durch die Amerikaner 1945 auch eine Psychologie in die Welt geschwemmt, die als Behaviorismus eine verfehlte Weise gebracht hat, die Selbstdarstellung, das Weltsein des Menschen als direkt von außen konditioniert zu sehen? Gibt es nicht ein Außen, das als Gesamtsituation weit über allem Faktischen des Zeitgeschehens liegt?

Sollten wir nicht vielleicht ganz neu überlegen, worüber wir uns auch in der gegenwärtigen Situation beklagen, und worüber wir uns stattdessen aber beklagen müßten?