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Mittwoch, 28. Dezember 2022

Auf ein persönliches Wort

Geschätzte Leser!

Ich sage nicht für drei Tage, für zwei Wochen, vier Monate oder ein Jahr, ich sage nur, daß ich mir die Freiheit nehme, mich hiemit von der Pflicht, an dieser Stelle, wie seit August 2007, täglich ein oder zwei Artikel zu veröffentlichen (die allesamt neu entstehen bzw. entstanden sind; 15 Jahre, insgesamt 12.800 mal, davon noch immer 10.700 mal nachlesbar) ein wenig zu entbinden.  

Vielleicht kommen auch in der nächsten Zeit weitere aktuelle Texte, denn ab und zu lese ich auch jetzt noch Zeitung und höre Rundfunk (allerdings nur noch ausgesuchter weltweiten Quellen, alle im Netz zu finden), und vielleicht springt mich eine kleine Grippe an, die ausgeschwitzt werden muß, oder eine Tageserkältung, wer weiß. Ich meine aber, vorbauen zu sollen, eben weil ich mir den Druck nehmen will, der mich derzeit von etwas anderem fernhalten würde, das in diesen Tagen und Wochen und wer weiß Monaten, absolute Priorität hat.

Denn war mir der Druck, der "Zwang", täglich hier etwas bringen zu müssen (bei dem ich erst zufrieden war, wenn ich darin einen wirklich originären, neuen Gedanken geboren sah), oft genug gut und wichtig, weil er mich am Text hielt, der wie ein unentwegter Strom in mir fließt und aus subjektivem Gefühl der Pflicht nach außen kommen muß, so ist nun ein anderer Druck größer geworden. 

Ein Text ist in den Wochen der Vorweihnachtsszeit nach oben gekommen, und er will nun nur noch eines: Er will geboren werden. Ich habe gehorsam an ihm gezogen. Aus dem Bindfaden wurde ein Spagat, aus der Schnur ein Seil, aus dem Seil ein Netz, und plötzlich war da ein noch unförmiger, aber immens wuchtiger Sproß vor mir am Bildschirm und in meinem Kopf und Herzen. Er tritt mit einer Vehemenz auf, die mich überrascht hat, und der ich mich nicht mehr länger entziehen kann. Ich habe so etwas schon mehrmals erlebt, und habe von mal zumal besser begriffen, was das heißen muß.

Dieser noch sehr unförmige, schleimige, unsaubere, unausgegorene Sohn ist nun drauf und dran, mich mit Haut und Haar zu verschlingen, um zu seiner vollen Schönheit zu gelangen. Er will ganz heraus, von aller Schlacke befreit werden, er will ganz geboren werden. Denn mit jedem Tag mehr habe ich festgestellt, daß er höchst umfangreich ist, und ich kann das gesamte Ausmaß noch gar nicht abschätzen, ziehe immer noch täglich und hole immer mehr herauf, das sich bereits zu einer Gesamtkontur geordnet hat. 

Die Ordnung der zutrage geförderten Teile ist im Material selbst, habe ich in den Tagen vor Weihnachten erkannt. Es hat alles also schon eine Ordnung, und erweist sich damit als Teil eines Ganzen. Das am Ende als Gestalt dastehen wird, die nicht mehr erfunden, sondern als bereits Abgeschlossenes, Ausgetragenes freigelegt werden muß. Die Pflicht es  nun in die Welt zu heben, wie immer dieses Ganze aussieht, ist mir in den Tagen vor Weihnachten bewußt wurde. 
Ich muß dieses Ganze deshalb nun zur Welt bringen. Dieser Druck ist auf jeden Fall auch größer als der Druck der ambrosius.konnotationen, und deshalb habe ich mich heute entschlossen, meinen treuen Lesern zu sagen, daß ich nicht mehr unbedingt täglich hier Texte vorstellen werde.
Wenn diese Geburtswehen, in denen mein Kopf zu einer einzigen Textmaschine geworden ist, die mich in jedem Augenblick durch die Mangel dreht und nur eines Möchte: daß ein Satz, ein Wort, eine Aussage gelingt, schöner wird, besser, sich zu Absätzen formuliert, zu Passagen, zu Kapitel und schließlich zu einem ganzen Buch, wieder ein wenig nachgelassen hat, werden vermutlich hier wieder regelmäßig Texte erscheinen. 

Ist nicht alles schon gesagt? - Aber das Aktuelle erscheint mir im Vergleich zu dem, was mich im Innersten bewegt, dermaßen uninteressant und unwesentlich, die Welt dermaßen verrückt, im wahrsten Sinn, daß ich keine Notwendigkeit mehr sehe, da noch mehr dazu zu sagen. Sie finden hier immer hier doch ohnehin eine Enzxklopädie, wie es andere erkannten und ich es von ihnen als Definition übernommen habe, und die läßt sich nachschlagen und ausforschen, wenn sie es möchten. Es ist genug da, ich bin überzeugt, das von einem gewissen Dauerwert ist, denn was sich im Tagesaktuellen zeigt, ist doch immer nur ein mehr oder weniger an die Oberfläche Kommendes ewig Gleiches und Bleibendes. 
Was das Aktuelle aber anbelangt habe ich zunehmend das Gefühl gewonnen, daß es nichts Neues unter der Sonne gibt, nur ständig neue Abwandlungen das altbekannten Wahnsinns, der in meinen Augen die Welt derzeit erfaßt hat. Als Strafe Gottes, der uns unseren eigenen Plänen und Gedanken überlassen hat, weil wir ihn vor die Tür gewiesen haben. Wir werden geführt von Blinden und Erkenntnisunfähigen, denen eine Opposition von Blinden und Erkenntnisunfähigen gegenübersteht. Die zudem vereint, daß sie von der Richtigkeit ihrer Sichtweise überzeugt sind.  Was wollte man davon erwarten? 
Nur den Betern kann es noch gelingen, meinte schon vor siebzig, achtzig Jahren Reinhold Schneider. Halten wir ihn und so viel, die seines Geistes sind, größte Geister darunter, für dumm,  sodaß er es doch nicht so ernst gemeint habe, und die inzwischen verstrichenen achtzig Jahre so irgendwie doch nicht zu dem führten, was wir heute haben - aber in seiner wirklichen Tragweise gar nicht mehr begreifen sondern so tun, als wäre doch noch alles hinhzukriegen, als hätte Schneider et al. sich ein wenig geirrt, und das  mit dem Beten kommt erst irgendwann?
Wenn man das erkannt hat, wie ich es immer mehr sehen zu müssen meine, dann ist alle Beschäftigung mit dem Zeitgeschehen ein Kampf mit unwirklichen Schatten. Wir müssen uns auf etwas einstellen, für das alle derzeit vorgestellten Mittel absolut untauglich sind. Und diese Zeiten sind auch vorbei. Wir wollen es nur seit achtzig Jahrennicht akzeptieren. 
Sodaß es heute heißen muß: Nicht einmal den Betern kenn es noch gelingen, diese Kultur noch einmal aufzurichten. Was Reinhold Schneider schon kaum noch erhoffen wollte, ist heute endgültig perdu. Was jetzt kommt wird nach anderem Maß gemessen, nach anderem Gewicht gezählt, nach anderem Wert gezählt.
Vielleicht irre ich, vielleicht ist mein jetziger Auftrag, den dieses Kind in meinem Geburtskanal bedeutet, nur eine Mißgeburt, ist alles was mich derzeit so erschüttert nur ein weiterer Reinigungsakt, dessen Geburten auf den Müll kommen werden. Aber ich muß das herausfinden, muß das Kind heben und dann mit hoch erhobenen Armen vor Gott auf den Altar legen, es dem Flehen des Priesters übergeben, der eine Antwort erbittet, ob Gott es annimmt oder verwirft. 

Kain oder Abel? Wer weiß. Denn was ich derzeit sehe, hat mich dermaßen erschüttert, ja schockiert, daß ich immer noch damit ringe, was das zu bedeuten hat. Das nicht zufällig kam, ich bin mir sicher, und eine weitere Station auf einem Weg ist, der etwa 1980 mit dem innigsten Gebet meines Lebens angetreten wurde: Herr, zerbrich mich! Zerbrich alles an mir, was ich und nicht Du bist! Nicht ich will leben. Lebe Du in mir.
Gott erhört unsere Gebete. Und für viele ist es sogar ein Fluch. Wir sollten deshalb gut achtgeben, worum wir beten. Nicht alles dient uns zum Heil. Aber vieles sehr wohl, auch wenn es bewirkt, daß alles, was wir immer wieder an oft so schönen, oft fast perfekt wirkenden Gebäuden errichten - wie ich es über Jahrzehnte tat - wieder und wieder zu Staub und Asche zerfällt. Um immer wieder neu aufgebaut zu werden. Wieder ein bißchen reiner, ein bißchen klarer, ein bißchen heller. Wer mich und mein Leben ein wenig kennt, wird sehen, daß es nur so verstehbarer wird.
Die einzige "konventionellere" Erklärung derzeit ist für mich damit, daß sich am Künstler (als Prädikat, als Zustandsbeschreibung eines Menschen eine ultimo ratio, ein "etwas anderes kann es nicht sein, erst so ergibt alles einen Sinn") die Wunden der Zeit in besondererer Ausprägung und heftigerem Fieber zeigen, denn er kann eines sicher nicht: Seiner Zeit, seiner Kultur entfliehen. Im Gegenteil, er muß sie annehmen und die Krankheit durchleiden, um sie - vielleicht - zu überwinden. 

Und ich sehe diese letzten Jahrzehnte der Welt tatsächlich als womöglich apokylaptischen Zusammenbruch. Wir leben zumindest hier in unserer Kultur, aber ich fürchte auch weit darüber hinaus, wie fahle, herumirrende Gespenster, die in einer toten Ruinenlandschaft nach Eßbarem suchen.

Er ist auch diesem Zustand seiner Kultur, ja sogar mehr als alle anderen ausgeliefert. Das muß ich auch für mich erkennen. Und auch ich kann mich nur am eigenen Schopf aus dem Sumpfe meiner Zeit ziehen. Um mich doch noch in ein irdisches, nein DAS Leben, das ewige Leben, was sonst, zu retten. 

Ich habe so oft von diesem Nichts gesprochen, im privaten Kreis noch mehr als hier, über dem der Künstler schwebt weil schweben muß (er ist also eine historische Erscheinung, eigentlich kein Archetyp "in principio", ein "Patient seiner Zeit" sozusagen, und damit vom Typus her höchstens - mit Verlaub und der Bitte um Nachsicht gesagt - der Engel, aber auch ... der Dämonen) von dem ich aber heute weiß, daß ich es in seiner letzten Ausprägung doch verhindern wollte. Dem ich aber nun wirklich wirklich gegenüberzustehen, dem ich mich völlig neu zu stellen habe. 
Immer noch mit nur einem Mittel ausgestattet, zu bleiben, zu existieren: Der Sprache, dem Wort, der Darstellung, den Welten, die ich bauen kann und - darf. Und deshalb ... muß. Denn das Selbstein ist in jedem, wirklich jedem Fall ein Hinübersteigen auf ein nie wirklich gekanntes Ideal, das nur eine Form hat. Gestalt. 
Und Gestalt ist auch jeder Gedanke in Gott, der jedoch erst sichtbar wird, wenn man sich ihm ausliefert und das heißt: dem, was an einem Welt ist, adieu sagt und stirbt. Erst mit dem Werk also wird die Idee Gottes sichtbar, und das ist das Wesen der Kunst: Der Menschheit von der ewigen Weisheit und Schönheit Gottes zu berichten, so wie es alles Geschaffene nämlich tut.
Aber dazu muß der Schaffende in seiner irdischen Menschlichkeit zu Staub zerfallen, den er dann vom Hervorgebrachten abkehrt, das wie Phoenix daraus auferstehen muß. In dieser Haltung habe ich 2007 begonnen, von Österreich wegzugehen, und habe mit 15 Jahren Blog diesen Abschied Tag für Tag mehr freigelegt, wie es mir scheinen will. Was jetzt kommt wird sich weisen. Deus providebit. 
In diesem Sinne bitte ich bei jenen um Nachsicht, die gewöhnt waren, hier täglich Artikel zu finden. Und bitte Sie: Bleiben Sie mir gewogen. 

Bis auf mehr oder weniger bald Ihr 
W. Ambrosius

Ungarn, zu Weihnachten 2022