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Dienstag, 6. Dezember 2022

Die Ausweglosigkeit der Frau (1)

Manchen Cineasten gilt dieser Film der belgischen Filmemacherin, Regisseurin und Drehbuchautorin Chantal Akerman, "Jeanne Dielman, 23, Quai du Commerce, 1080 Brüssel", der Mitte der 1970er Jahre entstanden ist, als der beste Film aller Zeiten. Zumindest sieht man ihn als feministisches Produkt. Aber wenn man ihn sieht, werden durchaus ganz andere Töne angeschlagen.

Man wird nachdenklich über das reale Leben, und vielleicht liegt es an den seit der Entstehung verstrichenen vierzig Jahre, an den Veränderungen, die seither unsere Welt förmlich auf den Kopf gestellt haben, daß man ihn heute eigentlich gar nicht als feministischen Film des weiblichen Aufbegehrens sieht. Die Fragen, die er stellt, sind nämlich keineswegs so einfach beantwortet, wie das 1875 noch viel - und offenbar uach Akerman - meinten. 
Ja man knnte zu der verrückt klingendne Frage kommen, ob nicht dieses Leben das ist, das sich heute (!) viele Frauen sogar ... wünschen würden, sollen wir das so formulierten? Sollen wir so provozierend gegenfragen?
Er dauert allerdings 3 1/4 Stunden, und widerspricht eigentlich allem, was der heutige Filmkonsument angeblich erwartet. Allem voran geschieht in diesen dreieinhalb Stunden fast gar nichts. Doch werter Leser, glauben Sie nur nicht, er wäre langweilig. Er ist tatsächlich großartig und zeigt etwas, womit niemand rechnte: 

Er zeigt, was eigentlich Handlung bedeutet. Kein großes Herumgschiebe und Ratzebautzgeschehen, keine bewegten Dinge und einstürzenden Welten. Sondern Handlung bedeutet daß etwas gescheiht, das im Wesentlichen nur durch den Zuseher selbst gebildet wird. 

Es kann spannend sein, jemandem drei Minuten zuzusehen, wenn er das Brät für den Hackbraten knetet, oder den Tisch deckt. Alles kann erzählen, und der Zuseher frägt ischauch pausenlos, was das zu bedeute4hnhat. Und er bildet sich Thesen. Und entdeckt, wie viel in seinem Inneren da ist, um sich selbst eine Geschichte zu erzählen, weil er nach dem Sinn fragt. Da wird nur das nötigeste erklärt, um die großen Deutungslinien zu besitzen, das braucht es schon, aber es gescheiht natürlich und unaufdringlich.
Wie es im Leben eben ist, und wie es sich viele auch wünschen..Berechenbar, planbar, beherrschbar, und "halbwegs glücklich", weil alle Bedürfnisse so irgendwie befriedigt werden.
Die Bedeutung, der Sinn hier definiert auch nach und nach die Situation einer Frau Ende dreißg, einer sehr attraktiven Frau, die seit sechs Jahren mit ihrem Sohn alleine lebt, nachdem ihr Mann gestorben ist. Irgendwie hat sie es geschafft, ihr bescheidenes, aber auskömmliches Leben, in dem sie für ihren Sohn gut sorgen kann, durch eine tägliche Schäferstunde zu finanzieren. In der sie in einer absolut gleichmäßigen Routine täglich einen Mann empfängt, der sie für das Schäferstündchen bezahlt. Spürich: Sie prostituiert sich.

In einem Gespräch mit ihrem Sohn, der an die siebzehn Jahre alt zu sein scheint, macht sie auch ihre Prinzipien klar. Denn seit ihr Mann, der Vater des Jungen, tot ist, hat ja nicht mehr geheiratet. Als sie dme Sohn dessen Wunsch gemäß erzählt, wie sie sich kennengelernt haben, macht sie ihm auch klar, daß sie nicht nach dme Aussehen vorgegangen ist. Sie hat geheiratet, "weil man eben heiratet", und sie hat nicht enen Mann gewhlt, den sie liebte oder der fesch und anziehend war, sondern sie ht gewählt, wie ale frauen wählten: Weil er gut verdiente, sie gut versorgen konnte, sie es also "gut hatte". 

Spätestens jetzt wird dem Zuseher klar, daß hier mit einer ganz bestimmten Frage gespielt wird: Damit, was denn das Leben einer Frau überhaupt vom Leben einer Prostituierten unterscheidet. Was anders ist im Leben von Jeanne, deren Feier man gleichermaßen als Ehemänner durchgehen lassen kann. Die nur wenig zu Hause sind, die das Geld abliefern, und dafür ein abendliches Tete á tete verlangen, das die Frau dann auch liefert. Tagsüber macht sie den Haushalt, und zieht die Kinder groß. Sieht das Leben der Frauen denn wirklich anders aus? 

Und spätestens jetzt wird einem also klar, daß der Film als feminstische Anklage gemeint ist. Die Zeit, in der er entstand, hat genau diese Anfragen an die bisherige, selbstverständliche Lebensweise gestellt, und sie hat die Antwort gegeben: Nein! Das kann es nicht sein!?

Aber das alles wird ganz unspektakulär und extrem ruhig, in langen langen Einstellungen und stehendne Bildern gezeigt. Denn die Frau, die hier davon lebt, daß sie ihren Körper verkauft, ist im Grunde das, was zugleich als eine Art idealer Ehefrau bezeichnet werden könnte. Und spielt sich enen ind en allermeisten Ehen viel meh rab? Der Mann ist tagsüber weg, die Frau macht morgends das Frühstück, der Sohn geht aus dem Haus (zur Schule), und sie wickelt den gesamten Tag in einer täglich völlig gleichen Abfolge ab. 

Sie räumt auf, geht einkauefen, holt die Post, macht Erledigungen, und bereitet das Kochen vor, das einsetzt sobald der Sohn nach Hause kommt. Ab und zu paßt sie auf das Baby ihrer Nachbarin auf, ohne dem Kind viel Aufmerksamkeit zu widmen, und ist ihr sogar die gute Nachbarin die sich deren banalen Sorgen anhört. Wo Frauen einander ihr Leben erzählen, udn dieses Leben steckt gewissemaßen "die Welt der Frauen" ab. Keine Frau lebt anders, keine erlebt eigentlich etwas anderes.

Während sie dann die Kartoffeln (oder den Reis oder das Gemüse) aufsetzt, kommt der Freier, jeder pünktlich wie die Eisenbahn. So definiert sich auch das Zeithorizont des Films, der sich täglich absolut berechenbar abspult. 

Ein Mann reiferen Alters, die dieselbe Routine suchen. Und auf den sie sich sauber und verläßlich vorbereitet, und der sie dann genauso zuuverlässig - wobei sie (an den Händen, den Augen, dem bittenden Gesicht, kleinsten Gesten erkennbar) stets eine devote Haltung einnimmt - bezahlt, ohne daß viel geredet wird. "Bis zum nächten Mittwoch." "Bis zum nächsten Donnerstag." 

Das alles spielt sich in einer Regelmäßigkeit ab, die durch die saubere Art, in der sie abgespult wird, Was sie macht, macht sie durchaus mit Geschick und vor allem mit Sorgfalt. Sie ist zum Frausein also durchaus "talentiert", wie man sagen könnte, erfüllt alles: Ist attraktiv, und ht den Charakter dafür. Sogar die Portion, die sie beim Essen für sich herrichtet, ist kleiner als die für ihren (körperlich fast erwachsen wirkenden) Sohn.

Ist der Mann gegangen, entfernt sie das Tuch von der Bettmatratze, das sie bei jedem Freier unterlegt. Er soll mit ihrem Leben nciht in Berührung kommen. Dann duscht sie, reinigt peinlich ordentlich sich und dann das Bad, wie um auch die letzte Spur des Mannes zu tilgen, kleidet sich wieder an, und ... kocht fertig. 

Denn bald kommt ihr Sohn. Der sogar eine französische Schule besucht, obwohl er gebürtiger Flame ist, und also viel Mühe hat, den völlig andern Zungenschlag zu lernen. Aber er strengt sich an, und sie unterstützt ihn dabei nach Kräften, hilft ihm bei der akzentlosen Aussprache anhand von Sonetten von Baudelaire, dami ter unauffällig, eigentlich: ohne eigene, nur mit vom Allgemeinen, Üblichen bestimmter Identität bleiben kann. So, wie sie es ja auch ist. Sie hört (täglich) im Radio klassische Musik (Beethoven), liest mit dem Sohn Baudelaire, als gäbe es da kein Ich, mit dem das etwas zu tun hätte. Es ist alle snur Teil eines abgespulten Lebensprogramms.

Der Feind (L 'ennemy; C. Baudelaire)

Meine Jugend war nichts als ein dunkel leuchtendes Gewitter,
hier und da gestreift von einem Sonnenstrahl.
Verwüstet von Donner und Regen, sind zu roter Reife
nur wenige Früchte in meinem Garten gelangt.

So hat der Herbst meinen Geist gefärbt,
und ich musste zu Schaufel und Rechen greifen,
damit die Erde, ausgehöhlt von grabesgroßen Löchern
durch die Flut, sich neu in meinem Garten sammle.

Allein wer weiß es, ob die neuen Blumen, die ich mir erträume,
je aus dem strandgleich ausgeschwemmten Boden
geheime Kraft zum Wachsen saugen werden?

O Schmerz! O Schmerz! Die Zeit frisst alles Leben auf,
und der finstere Feind, der an unserem Herzen nagt,
wächst und gedeiht von dem Blut, das wir verlieren.

Morgen Teil 2, sowie der Film) Doch eines Tages geschieht etwas Ungeplantes. Der Kampf gegen die Strafe aus der Erbsünde beginnt, und er kennt nur einen Ausgang.


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Erstellung 05. Dezember 2022 - Ein Beitrag zur