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Donnerstag, 21. Februar 2013

Ein lehrreiches Beispiel (2)

 Teil 2) Der Kollektivirrtum der Wirtschaft der 1990er Jahre




Und so konnte passieren, was in den letzten Jahren passiert ist. Neue Produkte, neue Anwendungen, neue Gewohnheiten - geprägt von anderen Anbietern, wie Apple oder Samsung - haben Dell, wie er selbst zugibt, völlig überrascht. Das ist schon deshalb ein seltsamer Widerspruch, weil es in Widerspruch zur offiziellen Firmenphilosophie stand: Auf den Markt hören, und genau das produzieren, was die Kunden wollen.

Aber das ist nur ein scheinbarer Widerspruch. Denn Dell's Philosophie war keine Philosophie, sie war bestenfalls eine Strategie. Kein Markt aber wird von "Kundenwünschen" geprägt. Wer das glaubt läßt sich täuschen. Bedarf ist auch weit mehr als die Suche nach Zweckdienlichkeit. Er entwickelt sich nicht "von unten nach oben", sondern menschliches Handeln und Entscheiden ist auch heute und in allen Menschen ein schöpferischer Prozeß, der etwas Neues vor sich hinstellt. Und identitär diese Ehe des Neuen mit einem Produkt eingeht, das diese Identität darstellt.

Es ist deshalb auch ein Irrtum zu meinen, der IT-Markt wäre von Herstellern schlichtweg "gemacht". Das ist nicht so. Der IT-Markt, die social media, und alle Entwicklungen, die sich da abzeichnen, liegen in einem einzigen Strom des Gegenwartsbewußtseins. Als Zueinander mannigfaltigster Einflüsse, Haltungen und Sichtweisen und Decken von Bedürfnissen als ein Ausstrecken nach Expansion in die Mitwelt. Wer hier nicht schöpferisch mitbestimmt, und zwar egal in welche Richtung, wird sich eines Tages neben dem Flußbett finden. Dell ist in einer Zeit großgeworden, wo fast die gesamte Wirtschaft von diesem Irrtum befallen war, in einer Zeit, wo das Motto überall lautete: Sie wollen kein Produkt X. Und wir haben auch kein Produkt X. Sie wollen doch genau das, was sie wollen, und das stellen wir Ihnen her.  Er entstand in den 1980er Jahren, und beherrschte 10, 15 Jahre das Wirtschaften weltweit.

Und war natürlich nur möglich, weil die schöpferischen Momente erlahmten, Ratlosigkeit und Unsicherheit sich breit machte. Wie konkret und produktbezogen das zu sehen ist zeigt sich darin, daß es jeweils Branchen erfaßte, die sich daraufhin "umstrukturierten". Sich dabei aber in den meisten Fällen von ihrer eigenen Basis entfernten, selbstschwach wurden (sich dabei sehr konkret depersonalisierten, solche Entwicklungen haben also mit Personen zu tun, sind nicht einfach "Mechanismen", auch wenn solche mitmischen, und allmählich sogar, wie hier, das Ruder übernahmen), und damit bloßen Kapitalfunktionen zum Opfer fielen. (Ähnliche Entwicklungen gibt es auch heute, die Film- und Fernsehbranche zeigt es im Moment vor.*)

Und hat enormen Schaden angerichtet, weil sich viele von dieser angeglichen Wahrheit, der nur ein Mythos war, einschüchtern ließen. Ganz gewiß in Zusammenhang mit gewisser Ratlosigkeit und Selbstunsicherheit, an der die Politik in ihrem unermeßlichen Geldhunger maßgeblichen Anteil hatte. Vor allem hat er eine Art von Geschäftsleuten auf den Plan gerufen, die sich keine Wirtschaft wünscht. Geschäftsleute, die keine Substanz haben.

Denn damit fiel das Wesentliche am Kaufakt weg - daß auch er ein (selbst)schöpferischer Akt ist, der sich in der Zustimmung manifestiert. Wird er zu einer profanen Zweckentsprechung, bleibt bestenfalls die Ratio, die diese Entsprechung feststellt. Aber es bleibt ein seltsam schaler Geschmack, der durch viele Unternehmen lediglich durch noch weitere rationale Kaufanreize (oft ist es lediglich der Preis) zu übertölpeln, vergessen zu machen versucht wird. 

Das, was den Menschen überhaupt treibt, über sein Wirtschaften (als Käufer wie Verkäufer) Einung mit der Welt des Seins herzustellen und zu schaffen ist eben: schöpferisch. Aber anders als heute oft vermeint bedeutet das nicht, gezielt "anders" zu sein, und das wäre dann auch Eigenauszeugung. Es bedeutet Vorhandenes zu integrieren, das durch diesen Integrationsakt zu einem Neuen wird. Erst damit, durch die Erweiterung, die Bereicherung DURCH ein Ding selbst, wird das menschliche Selbst weiter ausgefaltet. Es entfaltet sich nicht "aus sich", indem es seine Welt völlig neu entwirft. Nicht auf diese Weise, und nur dort, wo spezifisches Entwerfen tatsächlich in einem bestimmten Menschen in bestimmter Situation ausfließt - dann wird er Computerhersteller, um es einfach zu sagen. 

Ohne Vorhandenes, ohne klare Produktidentität, ist dieser schöpferische Akt, das Wesen des Verkaufsakts, aber gar nicht möglich. Wenn damit in bestimmten Phasen dennoch Erfolge erzielt werden - wie es bei Dell einige Jahre der Fall war - so nur, weil eine bestimmte rationale Täuschung herrschte, man wirklich glaubte, daß das das Wesen menschlichen Selbstseins wäre. Aber die Stimme des Erlebens hat sich mit der Zeit durchgesetzt. Nicht die Käufer entwickelten ein iPad, und Dell hätte es ihnen ja sogar produziert. Sondern Apple. Das zeigt am deutlichsten, was hier darzustellen versucht wird.

Niemand kauft ein Produkt, weil es einen Zweck erfüllt. Niemand kauft ein Produkt, weil er zuvor seinen Bedarf in Funktionen umbricht, und genau diese erfüllt sehen will. Das sind lediglich Zusatzbedingungen. 

Das läßt auch mit Gelassenheit die Datenwut verfolgen, die seit Jahrzehnten ausgebrochen ist und meint, damit "Bedarf" erfassen zu können, um ihn zu befriedigen, es läge nur an der Geschwindigkeit. Nein. Geschwindigkeit ist bestenfalls die Notlösung, um jeweils Selbsttäuschungen der Käufer zu nützen. Aber sie ist keine tragfähige Geschäftsphilosophie. Genausowenig wird diese Form der Bedarfserhebung neue Produkte auf den Plan rufen, diese Vorhersage wagt der Verfasser dieser Zeilen. Vielmehr wird man in zehn oder zwanzig Jahren neuerlich erstaunt feststellen, daß der Markt sich auf eine unvorhersehbare Weise verändert hat. Weil irgendjemand doch tatsächlich dieses oder jenes Produkt anbot, das neu war, und mit dem niemand gerechnet hat.



*Es wird oft argumentiert, daß sich eben die Menschen änderten, ihre Gewohnheiten etc., und daß damit neue Konzepte gesucht werden müßten, um dieser neuen Zeit zu entsprechen. Es würde einfach an Flexibilität mangeln. Das ist zum Teil und im Einzelfall zwar richtig. Aber es kann für ein Unternehmen, eine Branche immer nur eine Entwicklung "aus der Sache selbst heraus", und von dort in die Zeit hinein sein. Etablierte Branchen und Unternehmen gehen vor allem daran zugrunde, weil sie aufhören, aus sich selbst heraus zu gestalten, ihr Fundament in sich selbst zu finden und zu neuem Glanz zu bringen. Selbst wenn sie damit für gewisse Zeit Durststrecken zu durchmessen haben. Das kann freilich auch in manchen Fällen den Grund darin haben, daß sie ihre Formenmöglichkeiten ausgeschöpft haben, ausgebrannt sind. Es gibt Unternehmen, die nur auf gewisse Frist zu gründen sind (was aber dann nicht auf Schulden, auf Zukunft passieren darf, die nicht mehr einzuholen ist und damit einer Volkswirtschaft schwer schadet.) Anpassungen sind nur dann möglich, wenn die ursprünglichen Formen lebendig geblieben sind.

Es gab früher eine interessante Volksweisheit: Ein Unternehmer ist erst dann gesund, wenn es zwei- oder dreimal im Ausgleich gewesen ist. Das hat ein fundamentum in re. Warum? Weil er jedesmal genug betrügen kann? Unsinn. Weil es in so gut wie allen Fällen bei Unternehmensgründungen Unsicherheiten über das Selbstsein. Substanzschwächen gibt. Damit werden so gut wie alle Unternehmen von Anfang an auf gewundene Schienen gestellt. Erst mit der Zeit können sie sich zu sich selbst befreien, und zwar ... durch Niederlagen. In denen sie nämlich sehen, daß es keinen Sinn hat, von sich selbst abzuweichen. Es bringt selbst bei scheinbarem äußerem Erfolg keine Freude, etwas zu tun, das nicht in eines Sinn liegt. Man wird aber Unternehmer aus nicht zu unterdrückendem weltschöpferischem Impuls, nur deshalb, und nur auf solchen Unternehmern kann eine Volkswirtschaft aufbauen. Vor Unternehmern, die Motive wie "Reichtum" oder "Geltung" in erster Linie sehen, kann nur gewarnt werden. Sie höhlen jede Volkswirtschaft aus, und zehren von fremder Substanz.


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