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Montag, 4. Februar 2013

Kultur stammt nicht aus Sublimation (1)

Gemeiniglich wird davon ausgegangen, daß das seelische Leben und das Handeln des Menschen aus zwei Grundtrieben heraus verständlich wäre: dem Habentrieb, und dem Trieb, Übel abzuwehren. Staut sich eine praktische Zielung im Bereich dieser beiden Triebe, sucht sich die Triebenergie Ersatzwege. So erklärt Siegmund Freud auch die Entstehung der Kulturleistungen - als Sublimation niederer Triebe. Das bedeutet konkret, daß z. B. der Verzicht auf Kleidung, Ansehen, Wohnung usw. zugunsten "höhergewichteter" (oder: feinerer) Tätigkeiten erfolgt. Wie beim Philosophen, der sein Äußeres vernachlässigt, um sich nur dem Denken, wie der Dichter, der auch hungert, um seinen Gedichten zu leben. Oder dem Geistlichen, der auf weltlichen Besitz verzichtet.

Aber das, so schreibt Alexander Pfänder in "Die Seele", kann so nicht stimmen.

Denn es bleibt ein Tatsache zum einen, daß der Mensch immer und überall nicht "irgendeine" Tätigkeit ausführt, um diese Grundtriebe zu befriedigen, sondern daß immer zu beobachten ist, daß er sie auf eine besondere Weise ausführen möchte. Er versucht Ordnungen, Sauberkeit, Schönheite, bestimmte Formansprüche in sein Tun einzubringen, die nicht mit bloßer Zweckbestimmtheit erklärbar sind. Und zwar immer, sodaß die bloß funktionale Tätigkeit aus sich heraus nicht ausreicht, um den Menschen verständlich zu machen. Diese bloßen Leistungsbestrebungen, die immer darüber hinausgehen, wären sinnlos.

Zum anderen aber und vor allem würde das heißen, daß die Befriedigung dieser "niederen" Triebe das Erlöschen der Antriebe zur höheren Leistung bedeuten würde. Das entspricht aber nicht den Tatsachen. Der Antrieb, über die bloß funktionale Triebbefriedigung hinauszugehen, bleibt sonderbarerweise erhalten. Er ist nur bei unterschiedlichen Individuen unterschiedlich stark ausgeprägt. Aber jeder Mensch strebt - mehr oder weniger - danach, Leistungen über diese bloßen Hab- und Abwehrleistungen hinaus zu erbringen, und sei es noch so bescheidenen Umfangs. Dieser Leistungstrieb zielt darauf ab, das angestrebte zu Habende in sich im Wert zu erhöhen, und das bekämpfte Übel kleiner zu halten, als rein funktional notwendig wäre.

Aber nicht nur das. Dieses Leistungsstreben bleibt immer unbefriedigt, es findet keine Ruhe, geht immer weiter. Es meint zwar, in dieser oder jener Leistung seine Befriedigung zu finden, solange es dahin unterwegs ist, im Nachhinein aber reicht es nicht - der Mensch will weiter. Erst wenn er aber begreift, daß diese Unbefriedigkeit immer bleiben wird, wird er aufhören, auch dieses Streben maßlos werden zu lassen. Gleichzeitig zeigt dieses Verhalten, daß es auch nicht um bloßen Lustgewinn geht, denn dann würde dieser Trieb auch von selbst zur Ruhe kommen, und vor allem: er würde beliebig sein.

Dieser "Verbesserungsdrang" hat aber nun die spezifische Eigenschaft, sich immer auf bestimmte Gegenstände zu beziehen, er ist also nicht einfach blind und anonym, er ist immer konkret, bezogen, mit den Objekten verbunden, die den vermeintlich niederen Triebbefriedungen dienen. Jeder Seele bereiten nur bestimmte Leistungen Lust, nicht generell.

Nun könnte man meinen, daß dieser Leistungstrieb dem reflexiven Trieb des Selbstwertstrebens beigeordnet ist, diesem entspringt. Aber auch das, so Pfänder, ist ein Trugschluß, so weit verbreitet er auch sein mag. Kein Produkt hat nämlich in sich Wert, sondern sein Wert ergibt sich aus dem Nutzwert, nicht aus dem Eigenwert. Außerdem sucht die menschliche Seele auch Leistungen zu vollziehen, durch die sie nicht ihren Selbstwert erhöhen, oder bestimmte Güter erlangen, oder von bestimmten Übeln freiwerden will. Dieser Leistungstrieb ist also nicht nur dem Hab- und Wehrtrieb, sondern auch dem Selbstwerttrieb gegenüber selbständig. Man muß ihm eigenes Dasein bescheinigen.

Es ist also anzunehmen, daß es weitere Antriebe im Menschen gibt, aus denen heraus diese Partialtriebe nur als solche erscheinen, in dem sie aber als Gesamtbewegung zusammenzufassen und zu erklären sind.



Teil 2 morgen) Liegt alles im Tätigkeits- und Wirkungstrieb?




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