Man muß sich klarmachen, schreibt Gaston Bachelard in "Die Bildung des wissenschaftlichen Geistes", daß die empirische Forschung den sensiblen Menschen in allen Schichten seiner Sensibilität bindet. Wird aber Erkenntnis von Bedürfnis motiviert, mutiert Wissen zur bloßen Meinung - die nicht falsch denkt, sondern gar nicht denkt. In dem Moment, wo Erkenntnisse zu umgesetzten Bedürfnissen werden, nimmt man den zu erkennenden Gegenständen ihre Möglichkeit, erkannt zu werden*. Jede wissenschaftliche Bildung muß deshalb mit einer intellektuellen und affektiven Katharsis beginnen, um die psychogenen Voraussetzungen, die von den Studierenden mitgebracht werden, zu klären. Wissenschaftliche Bildung bedeutet, an die Stelle des statischen und abgeschlossenen Wissens eine ungeheure Mobilität und Dynamik der Erkenntnisoffenheit zu setzen.
Wenn die wissenschaftliche Erkenntnis rationalisiert wird, ist man niemals sicher, daß nicht primitive Empfindungswerte die Begründungen mitbestimmen. Es ist zu augenfällig, daß die zu geläufige wissenschaftliche Idee sich mit einem allzu schweren psychologischen Konkreten belastet, daß sie zuweilen Analogien, Metaphern, Bilder aufhäuft und nach und nach ihren Abstraktionsvektor, den spitzen Stachel der Abstraktion verliert. (Schon durch die natürlichen Reifungsvorgänge des Forschers als Mensch, wo dem Lebensstadium gemäß das Forschen mehr und mehr einem Absichern weicht, das Wissen ein Erinnern wird; Anm.)
Grundloser Optimismus ist insbesondere die Ansicht, Wissen diene automatisch dem Wissen, die Bildung werde umso leichter, je umfassender sie sei, der Verstand schließlich, durch frühzeitige Erfolge, durch bloße Universitätswettbewerbe bestätigt, lasse sich wie materieller Reichtum kapitalisieren. Selbst wenn ein kluger Kopf dem Narzißmus entgeht, der in der literarischen Kultur, in der leidenschaftlichen Bindung an Geschmacksurteile so verbreitet ist, läßt sich mit Sicherheit sagen, daß ein kluger Kopf leider ein bornierter Kopf ist, ein Produkt der Schule.
*Die Frage der Wissenschaftlichkeit reduziert sich entsprechend auf die Frage, welche Ideen hinter den Ideen und Tatsachen der Wissenschaft stecken.
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