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Mittwoch, 6. Februar 2013

Anspruch und Wirklichkeit

Da schreit die OECD seit Jahren, daß die Akademikerquote in Österreich viel zu niedrig sei. Woraufhin man in diesem Land, das ohnehin darunter leidet, daß jeder gerne mehr wäre, sich unterbewertet (weil im narzißtischen Gleichheitswahn überhaupt nicht mehr bewertet) fühlt, sofort pflichtbeflissen jedem Knödelformer einen Magister oder Diplomingenieur umhängt. Woraufhin zwar die Quote tatsächlich steigt, aber immer noch nicht genug. Und das längst bei einem Viertel der Bevölkerung. Mit dem magischen Spruch der Gegenwart - "Bildung, Bildung, Bildung". DAS Mittel der Zukunftsbewältigung. Zumindest seit der Aufklärung. Worunter Informationstransfer verstanden wird.

Nun aber kommt etwas ganz anderes zutage: Niemand wird diese Akademiker brauchen! Nicht nur das aber, der Arbeitsmarkt Zeit seit etlichen Jahren die deutliche Entwicklung, daß Personen mit tatkräftigen Ausbildungsmerkmalen (und seien es berufsbildende höhere Schulen) zunehmend gefragt seien. Nur jeder Fünfte, schreibt die Presse gar, wird zukünftig seinen Universitätsabschluß überhaupt brauchen. Er ist überqualifiziert. Und das am gleichen Tag, an dem der Bundeskanzler in Strassburg seine vielbeachtete Rede vor dem Europaparlament gehalten hatte. In der er sinngemäß forderte, man solle das Geld statt für EU-Rabatte in mehr Bildung stecken.

Gut, ein paar Milliarden mehr verzockt sind heute auch schon egal. Zumindest Bundeskanzlern, die ihre Karriere gerade NICHT dem Bildungsweg verdanken, sondern als Selfmademan die Parteileitern hochgehuscht sind. Also in keinem Fall aus eigener Erfahrung sprechen.

Das entspricht auch der Beobachtung des Verfassers dieser Zeilen, zu dessen Bekanntenkreis ja immer noch eine Riege von Unternehmern gehört, und es sind nicht die schlechtesten. Plötzlich aber sitzt in einem Büro, wo früher eine Handelsakademie schon fast überqualifiziert war, ein Magister der Betriebswirtschaft, und bucht Belege ein. WENN er es tut. Bereits ein Drittel der Akademiker waren 2011 in "Jobs" beschäftigt (gegen 27 % in 2008), schreibt die Zeitung, die keinerlei akademische Ausbildung benötigen würden.

Das Problem der zertifizierten Ausbildung, die ja einer Standeszuordnung gleichkommt, also persönlichkeitsbezogene (und identitäre) Auswirkungen hat, ist, daß sie den Anspruch auf ein bestimmtes Maß festlegt. Im erwähnten Fall: höher legt, als des der tatsächlichen Tätigkeit entspricht. Das betrifft, eine Etage tiefer, auch den Unsinn zu meinen, man müßte Lehrlingen auch eine Matura (Reifeprüfung, zu deutsch) anheften. Derselbe Unsinn der Überqualifzierung, derselbe Unsinn des Identitätspositivismus, der alles andere als bessere Handwerker hervorbringt, sondern Handwerker die sich nie an ihre Tätigkeit hingeben, weil sie sich zu Höherem qualifiziert fühlen.

Weit mehr aber, als das Problem der Überforderung, also der Unterqualifizierung, schädigt das der Unterforderung, der Überqualifizierung, die Persönlichkeit eines Menschen, weil es sein In-der-Welt-sein irrelevant macht.* Der Unterforderte entwertet das Begegnende, und das ist sein größtes Problem: wie auf ihn reagiert wird, ist ihm nicht aussagekräftig.

Mischt man hier noch die Veränderungen dazu, die "Bildung" in den letzten Jahrzehnten durchlaufen hat, sodaß nur noch der Begriff von dem blieb, was eigentlich Bildung war, mischt man hier also die zur Normalität geadelte Diebsmentalität samt den Folgen der Rechtfertigung dazu, die sich hastenix-bistenix bei vielen Trägern akademischer Weihen dazugesellt, die umso vehementer das zu achten einfordern was sie selbst nicht erfüllen können, wird die Sache freilich endgültig kompliziert. Komplizierter jedenfalls, als sich hier darstellen läßt. In Zeiten, wo jede Verhaltensstörung zur Folge einer Extrembegabung erhoben wird.

Aber gut. Das Problem der Überqualifizierung ist ja nicht gerade das, das Politiker (und wieviele überhaupt aus den heutigen Führungsschichten) aus eigener Anschauung kennen. Weshalb auch diese Schere weiter und weiter auseinanderklaffen wird - zwischen dem Anspruch auf Lebenserfüllung, und der Fähigkeit und Bereitschaft, sich dem Begegnenden einfach hinzugeben. Was in jedem Fall, in ökonomischen Termini, ein "Vorbeiproduzieren am Bedarf" bedeutet.

Aber vielleicht ist die Sorge, Europa würde sich überhaupt an die Wand fahren - in jeder Hinsicht, und zwar zu allererst: über die Verbiegung und Verbildung seiner Menschen -  überzogen. Vieleicht aber stellt es sich ganz anders dar, als die Elitegremien der OECD sich überhaupt vorstellen können, nämlich genau umgekehrt. Immerhin, man hat aber ohnehin längst reagiert. Weil das Niveau der Bildung so weit abgesenkt und verschult, daß diese Gefühle der Überqualifzierung eher zum Randproblem von Studienabbrechern werden. Während Leute mit Standestiteln, deren Schuhnummern ihnen um Dimensionen zu groß sind, großherzig und vorbildhaft für minderqualifizierte Tätigkeiten werben. Also zumindest für die anderen. Und zumindest in Österreich, wo das Bildungsministerium seit Jahrzehnten in den Händen von Volkssschullehrerinnen liegt. Denn Doktortitel gibt es ja ohnehin auch per "h.c.".






*Noch einmal sei es erwähnt: Diese Kritik bezieht sich auf das, was dem Bildungsbegriff HEUTE unterlegt wird. Denn für wirkliche Bildung, wie der Verfasser dieser Zeilen sie versteht, für Bildung der Persönlichkeit, des Charakters, die also auf Selbstbesitz und Weisheit abzielt, ist weder Universität noch "Schule" prinzipiell notwendig.




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