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Samstag, 23. Februar 2013

Stellvertretung als Natur

Dieser Hinweis kommt vom Leser J. Denn  auf n-tv wird von einer nächsten Application für social media, die auf der Hand liegt. Denn es liegt nicht nur nahe, daß auf social media berichtet wird. Es liegt noch näher, daß damit gelogen wird. Eine Welt, in der niemand mehr seinen Ort hat, ist zwangsläufig eine Welt des Neids und der Behauptung.

Verquickt mit Facebook, wo sich die Meldungen wiederfinden, gaukelt nun eine Application vor, daß man sich in angesagten Lokalen der Gegend aufhält. Über die Informationsschienen, die im Netz automatisch darüber informiere, was jemand tut und wie er es bewertet (und damit empfiehlt), werden friends verständigt, daß man dort und dort sei. Ohne wirklich dort zu sein.

Damit wird es noch leichter, Aktivität, Identität und Persönlichkeit vorzutäuschen, die nicht der Realität entspricht. Das war immer aber noch mit etwas Mühe verbunden.  "CouchCachet" ist deshalb gewiß nicht die erste, und ganz sicher nicht die letzte App, die darauf abzielt, den "sozialen Status" zu erhöhen. Der Markt für Mühebeseitigung ist unerschöpflich, und ausbaubar, solange ein Mensch noch atmet. Wie wäre ein Internetdienst, der Urlaubsphotos von Strandaufenthalten in Mexico produziert, auf die man eingepfriemelt wird, ohne je einen Fuß dorthin gesetzt zu haben? Der Phantasie sind da keine Grenzen gesetzt.

Für social media, wo Nützer einander Dinge vortäuschen, die sie in Neid versetzen, woraufhin sie gleichfalls Dinge vortäuschen, woraufhin der erste in Neid verfällt. Am Ende eines sogenannten Kommunikationsprozesses, der in Wahrheit Krieg um Land (!) ist, bleibt nur noch Mißgunst und Haß. Und Informationsmedia, eine Technik, deren Inhalte niemand mehr ernst nimmt, weil sie beliebig manipulierbar sind.

Wen stört da noch, daß mehr als 5-7 % der Profile auf Facebook tatsächlich falsch, ein reines Täuschungsmanöver sind? Sind die anderen echter, und worin? In den Absichten unterscheiden sie sich nicht. Lediglich für Facebook selbst, als Werbeanbieter, ist das von Relevanz.

Wobei in diesem Fall etwas auffällt: Denn die Menschen "sind" ohnehin nirgendwo mehr. Also wozu noch überhaupt körperliche Präsenz, wenn diese doch nur dem Zweck dient, sie aus anderen Gründen zu melden, diese Meldung zu verwenden? Das kann doch wirklich eine Application für einen erledigen. Wer also in Zukunft per Facebook meldet, daß er an diesem oder jenem Ort war, ist insofern wahrhaftig, als er (indirekt) meldet, daß er nicht dort war, aber es gut verwenden hätte können, wenn er dort gewesen wäre. Aber weil es ihm nichts wert war, dort zu sein, war er gar nicht dort. Was die Statusmeldung durch die App beweist.

Sodaß der Zeitpunkt naht, wo Status- und Aktualitätsmeldungen auf social media Meldungen über Dinge sind, die nie stattgefunden haben. Insofern ist diese App also ein bemerkenswerter Schritt zur Wahrhaftigkeit.

Es wird allmählich kompliziert ... läuft aber mehr und mehr in die schon vor Jahren vorhergesagte Richtung: Es wird bald ein verzweifeltes Wettrennen einsetzen, den nachhaltigen Imageverlust, der mit dem Nützen von social media verbunden ist, abzuwenden. "Mit dem kann nicht viel los sein - er braucht Facebook!"

Jede Technik ist ursprünglich eine Verlängerung und Verbesserung, Erleichterung menschlicher Geste und Handlung, oder gar ihr Ersatz (wie bei Beinprothesen). Ein bestimmtes Verhalten wird abstrahiert, und verbessert dieses. Vorerst, und vor allem: nur auf einen bestimmten, eben erkannten Zweck hin orientiert.

Wird so ein technisches Hilfsmittel gewohnheitsmäßig gebraucht, beginnt sie diesen Teil im Menschen sogar zu ersetzen. Denn die wesentlichste menschliche Kraft, die der Selbstausfaltung, erschlafft, findet sich ja - besser - in die Technik gelegt. Und ab diesem Moment beginnt sie,

Aus diesem Grund hat Goethe stets das Tragen einer Brille verweigert. Er hatte recht. Jeder Brillenträger weiß, daß die Brille eine Dauerlösung ist, zu der er sich verdammt hat, sobald er sie gewohnheitsmäßig trägt. (Der Ursprung der Sehhilfe war ja überhaupt anlaßbezogene, kurzzeitige Verwendung, wie das Monokel noch zeigt.) Die Technik beginn das eigene Vermögen zu ersetzen, ja dieses erschlafft mangels Wirklichkeitsverklammerung, nur aus der kann ein Vermögen ja lebendig bleiben.

Jeder, der einen Stock trägt, weil ihn eine kurzfristige Geh- oder vielleicht krankheitsbezogene Gleichgewichtsschwäche befallen hat, erfährt, wie rasch er diesen Stock tatsächlich "braucht". Wie wenig er mit der Zeit der Benützung noch sagen kann, was überhaupt Krankheit, und was bereits dauerhafte Integration der technischen Hilfestellung ist, die sein Eigenvermögen verflüchtigt, weil ersetzt hat.* Das läßt sich überhaupt von jedem Werk sagen, das ein Mensch schafft: es ersetzt etwas an ihm, er gibt real etwas von sich weg, und zwar im Maß der Vergegenständlichung.**

Die es aber vor allem eingeschränkt hat, weil nur eingeschränkt vertritt. Aber dafür die Symbolik des technischen Apparates selbst, dessen Wirklichkeit weit über alle Zweckbestimmung hinausgeht, zur Aussage erhebt. Der technische Apparat wird zum Teil des Leibes, und verändert deshalb dessen Sein als Erkenntnisobjekt für den anderen. Die Kommunikation selbst also ändert sich sehr wohl inhaltlich. Das nicht zu meinen wäre purer Rationalismus.

Diese Gewöhnung passiert natürlich automatisch auch dort, wo Kommunikation auf Technik aufzubauen beginnt, und sei es: in bestimmten Teilbereichen. Sie ist zum einen in ihrem Ziel definiert, also der Wirklichkeit von Kommunikation heillos unterlegen, und beginnt diese Kommunikation selbst zu werden, sobald man Mitteilungs-, Auszeugungsbereiche darauf verlegt.

Was also mit jenen passiert, die ihre Identität, ihr Selbst, ihr geistiges Menschsein durch Technik stützen oder mit der Zeit aus der Natur der Sache heraus ersetzen, vermag sich der geneigte Leser selbst fortzudenken. Manche Bereiche des Lebens KÖNNEN also gar nicht technisiert werden. Weil sie sonst wegfallen. Zwischenmenschlichkeit, Kommunikation gehört dazu.







*Es ist ja von Künstlern - Schöpfern von Welten, von Werken - bekannt, daß ihr Schaffen einer Welt, in ihren Werken, sie von der "realen" umgebenden Welt entfremdet. Gleiches ist von Menschen mit ausgeprägt abstrakten Vermögen zu sagen, wie Philosophen. Sie werden oft regelrecht unfähig, mit Dingen des Alltags umzugehen. Das kann auch gar nicht anders sein. Vom Dichter sagt man überhaupt, daß er nie real erleben, verwirklichen kann, was er im Gedicht wirklich macht. Er steht vor der Wahl: Gedicht, oder reales, flüchtiges Leben. Im "privaten" Leben sind Künstler oft die unglücklichsten Menschen.

**Künstler haben nur beschränktes Schaffensvermögen. Sie "brennen aus", werden leer, wenn sie vollkommen ausgeschöpft haben, was in ihnen vorhanden war. Sie leben tatsächlich im Werk, nicht mehr als menschliche Figuren. Das ist nur noch ihre leere Hülle. Für den Menschen des Alltäglichen (bitte, man verstehe das keineswegs abwertend, sondern als lediglich in einem anderen, innerhalb der Zweckverhältnisse des Lebens befindlichen Aufgabenbezug stehend!) gibt es den schönen Begriff des "Lebenssatten". Auch hier gibt es ein Ende des Lebens, das in seinem Wesen begründet ist: weil es für diese Welt ausgeschöpft ist, die Endlichkeit als ihr Wesen hat, und im Werk Ohnendlichkeit zurückgibt - hier eine Analogie zum Schöpfungsswerk Gottes zu sehen ist sehr legitim! Im selben Zusammenhang ist zu verstehen, wenn man sagt, daß jeder Künstler nur an EINEM Werk schafft. Das alles an ihm enthält.





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