Das Werden des Menschen, vom Säugling zum Erwachsenen, ist nicht einfach das Ausfalten in einer kontinuierlichen Linie, wobei es darauf ankommt, möglichst rasch die unreiferen Züge abzulegen, und erwachsen zu werden. Immer häufiger begegnen einem Menschen, die sich Eltern nennen, und ihre "Erziehung" danach bemessen, einzelne Fähigkeiten und Charakterzüge möglichst rasch zu einer Fülle zu führen, die am Ende "Erwachsenheit" heißt. Das Kind findet so niemals zu einer in sich gefestigten Identität "auf dem Weg".
Vielmehr aber hat jede Reifungsstufe auch ihr Eigendasein, ihr relatives Wesen. Wenn das nicht oder zu wenig berücksichtigt wird, bleibt ein Mensch in diesen Stadien hängen. Sie sind unabgeschlossen. Ja, sie wirken in spätere Phasen hinein, und nehmen diesen gleichfalls ihre Reife.
Nicht zufällig wird die menschliche Reifung heute einfach mit bestimmten Funktionalitäten gleichgesetzt. So kann die gesamte Kindheit und Jugend zu einer unerwünschten Übergangszeit, ja zu einer Nicht-Zeit erklärt werden, die jede Mühe um "Stufengerechtheit" vermeiden läßt.
Diese Phasen hätte aber unsere Kultur einst sehr deutlich herausgearbeitet. Sie haben einen Beginn, und einen Abschluß, und einen Namen. Kind. Taferlklassler. Backfisch. Sogar Teen wollen wir gelten lassen. Und auch den Twen. Junior. Senior. Und so weiter. Der Eintritt in sie ist von einem Initiationsritual gekennzeichnet, das die menschliche Persönlichkeit der Stufe entsprechend autorisiert, einer Gruppe zugehörig macht. Die ihre Eigenarten hat, in denen wesentlich das Zueinander der ihnen angehörigen individuellen Identitäten zu ihrer Mitwelt bereits ausgeformt ist. Angenommen, und abgelegt werden kann und muß.
Aus dem Gesagten heraus ergeben sich aber schwere Fehlurteile, was die Reife heutiger Kinder und Jugendlicher - und Erwachsener! - anbelangt. Zwar stimmt, daß Jugendliche, ja Kinder heute körperlich-sexuell früher reif werden, doch hat das nur mit der ungefilterten, "stufenlosen" Konfrontation damit zu tun. In Wahrheit stiehlt man den Kindern heute ihre Kindheit, ja jedem Reifealter seine Reifezeit und Übergangsidentität.
Sodaß auf uns Generationen von erwachsen scheinenden Kindern zukommen. Überrationalisiert, gewiß, aber mit nie abgelegten, in sich ausgeformten und abgestreiften Persönlichkeitszügen von Fünfjährigen, und damit erkenntnis-, lern- und wachstumsunfähig. Wie Fünfjährige aber sind sie hörig, und bestens trainierbar.
Dem Verfasser dieser (fragmentarischen) Zeilen ist übrigens kein Fall (bei so vielen, die er kennt) bekannt, wo solche Verschwommenheit in der Erziehung und Reifung nicht überzufällig von ausgesprochener Bequemlichkeit und Lieblosigkeit seitens der Erzieher begleitet wäre. Die in den meisten Fällen mit Rationalität verdeckt werden soll.
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