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Freitag, 1. Februar 2013

Legitimationszwang

Man übersieht es vielleicht in aller Medienkritik - den Aspekt des Autobiographischen, den social media und Facebook darstellen. Denn in einer Welt, in der persönliche Begegnung sich auflöst, reduziert wird auf technische Funktionalität, ausgedrückt in der Steigerung der Bedeutung formaler Zeugnisse und "Ausbildungszertifikate", wird der Einzelne nahezu gezwungen, sieht sich nur darin noch eine Möglichkeit als Person respektiert zu werden im Maß, das ihm zukommt, und schreibt seine Autobiographie. In der er sich unter gewissen Gesichtspunkten darstellt, um seinen Wert "für" zu beweisen.

Das steht in einer Linie mit dem Aufkommen der Autobiographie als literarische Gattung. Denn sie hat genau diese Funktion. Der Rechtfertigung, des Erweises der Tauglichkeit. Und sie tritt dort und da in dem Maß auf, wo die Gesellschaft ihr stummes, selbstverständliches Gefüge verliert. Wo die Menschen keinen Ort mehr finden, an dem sie sich automatisch erfahren, wo gesellschaftliche Hierarchien zweifelhaft und disponibel werden, eine Kultur ihre traditionellen Institutionen verliert, auf denen sie doch gegründet ist. Und sich notwendig neu gründet.

Praktisch immer geht diese Entwicklung einher mit der Entwicklung städtischen Bürgertums. Hier lassen sich direkte Bezüge zur Natur solchen Lebens herstellen. Wo der Verlust des natürlichen Selbstvollzuges in der Erfahrung des Können-könnens die daraus erstehenden Mängel - erschöpfend als Verlust von Mächtigkeit im eigenen Leben umschreibbar - zu ersetzen sucht. Städte beginnen, sich größeren Ordnungsräumen zu widersetzen, Bürger ersetzen den alten Adel, Massen und Vereinigungen den Ordnungsmächten. 

Die Mutter wird ermordet, denn sie ist Realität und Sinnbild solcher immanenter Ordnung. Der Lebensboden, auf dem diese Ordnung im natürlichen Vertrauen sich formt und großzieht. Sodaß daraus der Geist einer Gesellschaft lebendig bleibt.

Nun muß der Einzelne seinen Platz selber suchen. Aber es ist ein Irrtum zu meinen, das wäre ein Zugewinn an Freiheit. Einen Ort, eine Identität zu haben, sie nicht erst erfinden zu müssen, ist erst die Vorbedingung zur Freiheit, von der aus sie sich entfalten kann. Der Kraftverlust solcher Gesellschaften ist also enorm. Damit beginnt die Zeit drängender Faktor zu werden, sie wird zwangsläufig zum Hindernis, weil das Leben eben begrenzt ist. Und das Werkzeug, sie, ja alle fehlenden natürlichen Mächtigkeiten zu überwinden, ist (vermeintlich) die Technik. Genau das aber bewirkt das Voranschreiten der Auflösung, indem die Technik Lebenszeit und -umwelt zur Nicht-Lebenszeit, zum Nicht-Ort (des Wartens, der bloßen Funktion) entwertet und banalisiert. Identität wird noch weniger immanent gebildet, ja mangels Vertrauen auf das Begegnende (das ein Zwischen-Ding ist) verweigert, und notwendig künstlich errichtet. Die Gesellschaft erhält die Charakteristik einer Ansammlung von Emporkömmlingen, die mit gefälschten, erschlichenen Adelsbriefen ihre Stellung beanspruchen.

Wenn heute ein Boom der "Ahnenforschung" festgestellt wird, so hat das keineswegs mit einem Bewußtsein für Wurzeln zu tun. Sondern es ist die posthoc-Füllung von leeren Strukturen mit legitimieren sollenden Inhalten - der Vortäuschung von Sein und Berechtigung durch vorgebliche Natürlichkeit des Ortes, an den man sich gesetzt hat. So, wie die Herrscher des spät- und nachrömischen Zeitalters nachzuweisen suchten, daß sie von den Göttern abstammen, und deshalb diese und jene Mächtigkeit zu Recht haben. Und wie immer man es auslegen will - nur das steckt auch hinter Facebook.




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