Dieses Blog durchsuchen

Mittwoch, 3. Dezember 2014

Alles mußte sehr schnell gehen (2)

Teil 2) Warum diese Strategie aber an sich selbst scheitert



In gewisser Weise entwickelte man damit Napoleons eigene Strategie nur weiter. Die vorsah, den Feind durch einen Zentralangriff zu binden, um ihn aus der Hinterhand heraus an einem Flügel zu umgehen, und ihn dann von der Seite oder gar von hinten anzugreifen. Darauf basierte auch der Schlieffenplan, der also keine Sonderlösung gegen Frankreich, sondern allgemeine Auffassung der Militärstrategen, Prinzip der Truppentaktik war. Die Schlacht von Waterloo, übrigens, ist in diesen Hinsichten äußerst aufschlußreich, weil sich in ihr eine ungeheure Fülle operativer Konstellationen finden - und auch zeigt, woran diese Taktik zerbrechen kann.*

Dazu kam durch das Bevölkerungswachstum des 19. Jhds. eine weitere Notwendigkeit: Plötzlich hatte man es mit enormen Massen, auch an Soldaten (Napoleon!), zu tun. Denn potentiell war mit dem (durch Napoleon erzwungenen) Aufgeben des begrenzten Kabinettskrieges (durch stehende Berufsheere) jeder männliche Bürger Soldat. Plötzlich wurden hunderttausende, ja Millionen von Soldaten in Schlachten denkbar (und das fand ja auch statt). Aber niemand konnte logistisch ein Millionenheer rasch bewegen, und es war auch schwer zu versorgen. Also mußte man den Aufmarsch in kleine Einheiten teilen, zur Schlacht allerdings wieder zu vereinen. Wobei sich auch in der Definition von Schlachtfeld eine fast unlösbare Aufgabe stellte: Denn Millionen von Soldaten waren insgesamt gar nicht mehr auf einen Punkt zu konzentrieren. Die Schlachfelder des 1. Weltkriegs erstreckten sich bereits über dutzende Kilometer.**

Mit noch einem weiteren, strategisch höchst bedeutsamen militärischen Faktor, der in der kulturell-zivilisatorischen Entwicklung begründet liegt: Die technizistische Veränderung der Lebensweise, die Transformierung der Menschen zum "autonomen Wesen", machte auch den Soldaten, seine Moral, seine Motive, immer schwerer berechenbar, einerseits, und verlegte aber die Notwendigkeit der Heere auf Massen. Fazit? Neue Propagandatechniken, neue Bedeutung von Manipulation und Motivations"methoden". Und hier liegt zugleich ihr entscheidender Schwachpunkt.

Was sich im amerikanischen Heer der Gegenwart vielleicht am deutlichsten zeigt, denn hier darf die Verbindung des Einzelnen zur Zentrale gar nicht mehr abreißen, ja sie baut auch kampftechnisch darauf auf. Die zivilisatorische Entwicklung konterkarrierte also mehr und mehr die genuinen Voraussetzungen genau dieser Militärstrategie. Es kam im deutschen Heer deshalb zu Anfang des 20. Jhds. zu schweren Auseinandersetzungen, weil sich das wesentlichste Element dieser Taktik - der schöpferische Gedanke, selbst bei Unterführern - verflüchtigte. Denn auch bei Schlieffen verwuchs sich dieses operative Denken mehr und mehr zur "Methode". 

Genau das aber, dieses Festlegen auf Methoden, diese Erstarrung des operativen Denkens, widersprach dem Faktor, der nach Auffassung der Gegenparteien einen Krieg überhaupt erst gewinnbar machten: Wenn er als Kunst betrachtet wurde, wenn seine wesentlichen Entscheidungsmomente, die überhaupt erst Überraschung möglich machten, dem schöpferischen Einfall zu verdanken waren.

Nur schöpferische Menschen aber geben schöpferische Soldaten, die dann in den unzähligen kleinen und kleinsten Momenten (!), die eine Schlacht entscheiden, und das geschieht immer konkret und an kleinstem Platz, aber auch in den großen, rasch zu fällenden Entscheidungen der Generäle, den Sieg bringen.***

Dem deutschen Generalstab des 19./20 Jhds. war klar, daß dieses operative Denken nur dann aufging, wenn gleichzeitig sämtliche Bedingungen beherrscht wurden. Das verlangte Spezialistentum. Die Truppenführer mußten außerdem einheitlich und gut ausgebildet sein, um ihre Ziele quasi methodisch und damit berechenbar zu verfolgen, denn Zeit war der entscheidende Faktor.

Nur wenn man dem Feind das eigene Gesetz des Handelns aufzwang, nur wenn er nur Zeit hatte zu reagieren, nicht selbständig andere operative Ziele zu verfolgen, konnte sie aufgehen. Denn damit stieg die Fehleranfälligkeit exorbitant. Das System funktionierte nur, wenn möglichst alle Bedingungen beherrscht wurden, und dazu brauchte es Geschwindigkeit. Ein solches operatives Verständnis war in dem Moment, wo es eingeleitet wurde, nicht mehr rückgängig zu machen, und nur ganz schwer umzusteuern.  Auch die Logistik, die Achillesferse jedes Heeres, je größer desto mehr, war ja nur auf solche kurze Fristen ausgerichtet.

Das Bild der Kriegsführung wandelte sich entsprechend im 19. Jhd. entscheidend: Offiziere, Truppenführer, Soldaten wurden zu spezialisierten Profis des Krieges. Personen wurden immer weniger entscheidend, es ging um ihre Funktionalität. Eine Aporie zur Notwendigkeit des Schöpferischen.

Gleichzeitig wiegt der Aspekt schwer, daß die Auftragstaktik enorm viel Verantwortung von oben nach unten verlagerte. Die Teiltruppenführer waren plötzlich in hohem Maß für das Gelingen der Gesamtstrategie verantwortlich, die sie aber gar nicht geplant und im fortlaufenden Überblick hatten. Ja, es war überhaupt noch schwer jemanden zu finden, der im Schlachtenverlauf den Überblick bewahren und rasch entscheiden konnte. Militärisches Operieren war eine Maschinerie mit lauter Teilmaschinerien geworden, die alles vertrug - nur keine Abweichung.****


Morgen Teil 3a) Ein Bedrohungsbild wird zur weltweiten Strategie,
das selbst den Ukrainekonflikt beleuchtet

Morgen Teil 3b) Zwischenschritt - Fußnoten und Exkurse




***