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Donnerstag, 4. Dezember 2014

Alles mußte sehr schnell gehen (3b)

Teil 3b) Zwischenschritt - Fußnoten und Exkurse




*Der VdZ hatte bis vor geraumer Zeit nicht gedacht, daß das Studium von Schlachten derartige Erkenntnismöglichkeiten allgemeiner Art in sich schließt. Es genügt aber nicht, Kriegs- und Schlachtengeschichte nur "zu lesen". Das hatte der VdZ schon mit 16 getan, etwa in Montgomery's Kriegsgeschichte. Man muß auch wissen, wonach man die Daten zu Fakten ordnen muß. Und plötzlich gliedert sich die zuvor bloße Ansammlung von Tatsachen zu einem Bild einer Kultur.

**Wobei sich Deutschland übrigens durch die Folgen genau dieser Strategie selber schlug: Das Scheitern des Schlieffen-Planes war auf seinen Erfolg zurückzuführen. Der rechte Flügel (unter dem Preußen Kluck) war trotz logistischer Probleme tatsächlich weit schneller als geplant vorangekommen. In größter August-Hitze und unter Gefechtsbedingungen waren die deutschen Soldaten täglich 24 km marschiert. Doch war es der obersten Heeresleitung nicht möglich, so schnell zu reagieren, weil ihr die Informationen nicht rasch genug zukamen. 

Also bemerkte man zu spät, daß eine 50 km breite Lücke zur nächsten deutschen Armee - der 2. unter dem Bayern Bülow - entstanden war. Deren Führung auch ihre eigenen Ideen hatte, und langsamer geworden war. Die Abschneidung drohte, das Bild war verworren, Typhus wütete, also blieb man stehen. Der erste Überraschungseffekt - die Franzosen hatten nicht damit gerechnet, daß Deutschland so weit in den Westen Belgiens (mit dem Drehangelpunkt Lüttich) vorstoßen würde, um erst dann nach Süden zu schwenken - verpuffte somit, und Frankreich zog sogar eine Armee aus der Hauptkampflinie auf Paris zurück, um die (in freier Entscheidung) plötzlich östlich und nicht westlich von Paris wieder nach Osten einschwenkende deutsche 1. (preußischen) Armee in der Flanke vom Süden her anzugreifen. 

Denn das französische Schienennetz war ausgezeichnet, Frankreich also sogar rascher in seinen taktischen Bewegungen, während die deutschen Armeen zu Fuß marschieren mußten. Es gelang einfach nicht, den Feind ausreichend unter Druck zu halten. Und unter dem Eindruck der rascher als gedacht in Ostpreußen einfallenden Russen wurden sogar Reserven nach Osten umgruppiert (die aber erst NACH Tannenberg dort eintrafen), was den Westflügel weiter schwächte. Frankreichs Kalkül war aufgegangen, nicht das von Deutschland.

Der deutsche Generalstab konnte einfach nicht aktuell und rasch genug agieren, um die eigenen Ideen der Unterführer neu zu koordinieren. Damit ließ man den Franzosen (und Engländern) Luft. Man war vor allem mit einem derartig großen Heer und der daraus entstehenden Komplexität der Situationen schlichtweg überfordert. Selbst stämmische Animositäten der bayrischen (Bülow, alter Adel, Chef der 2. Armee) und preußischen Generäle (Kluck, preußischer Emporkömmling, 1. Armee) traten zutage, die Moltkes amikaler Führungsstil (der anderseits motivierte!) nicht beilegen konnte. Am Papier funktionierte so ein Plan, aber nur ohne Friktionen. Die Wirklichkeit aber, in einem nervösen Klima höchsten Zeitdrucks, war dann anders.


Sodaß die deutsche Heeresleitung, als ihr das Ausmaß der Veränderungen bekannt wurde, den Rückzug der gesamten Armee am Westflügel befahl.

Natürlich war alles im Detail komplizierter, eine sehr komplexe Reihe von Ursachen und Wirkungen, aber im Grunde war es so: durch die Selbständigkeit und Schnelligkeit von Truppenteilen war dem Schlieffenplan sein entscheidendes Wirkmoment abhanden gekommen, während die selbe Schnelligkeit dem Feind half - die Zange zu stoppen, die Franzosen (und Engländer) im Rücken umfassen, vom Britischen Kanal abschneiden, zu Gegenreaktionen unter Schwächung der Hauptverteidigung zwingen, und so den deutschen Zentralarmeen die Entscheidungsschlacht ermöglichen sollte. In diesem Moment, von den Franzosen später als "Wunder an der Marne" bezeichnet, 50 Kilometer vor Paris, war die Strategie Deutschlands gescheitert, und der Krieg bereits im September 1914 verloren, weil er zum Abnützungskrieg wurde. 

Freilich, Militärhistoriker wie Creveld sind der Meinung, daß der deutsche Feldzug - analog zum Grundproblem der deutschen Strategie - in jedem Fall zum Stehen gekommen wäre, und zwar aus der logistischen Lage, die nicht einmal im Idealfall anders gewesen wäre: Die Versorgung für diese gewaltige Operation in Feindesland war nicht zu bewältigen, dem rechten Flügel fehlte bereits zu diesem Zeitpunkt Nachschub. Anders bei den Alliierten: Das Eisenbahnnetz Frankreichs war damals weit besser ausgebaut als das in Deutschland oder Belgien. 

***In den Augen des VdZ steckt die Militärstrategie der Gegenwart in genau diesem, sogar immer unlösbareren Dilemma. Sie baut auf schöpferischen operativen, raschen Entscheidungen auf, hat aber die sittlichen Menschen nicht, die sie fällen können, Das ist vermutlich sogar der Grund, warum asymmetrische Kriege für den eigentlich "Überlegenen" immer hoffnungsloser werden. Zumal sich die Panikreaktion - die "flächige Vernichtung" - schon rein kampfmitteltechnisch gar nicht durchführen läßt. Nicht einmal mit Atombomben. Die Frage ist also tatsächlich, ob nicht, wie vielfach ohnehin bereits vermutet, bakterielle Waffen (die solche flächige Vernichtungen vielleicht ermöglichen; zumindest hofft das ein Kriegstechniker, der ein mechanistisches Menschenbild hat, und das ist zugleich das, woran selbst eine solche Eskalation scheitern würde und wird) bald eine ganz neue Rolle spielen werden.

****Von dieser Warte aus ist es also verständlich gewesen, daß Hitler 1943, nach den ersten großen Niederlagen, die im Grunde den der Strategie immanenten Systemfehlern zuzuschreiben sind, den Oberbefehl über die Wehrmacht an sich riß in der Meinung, Planungswege effektiver machen zu müssen, in seiner Person zu koordinieren. 


Morgen Teil 4) Und weitere Faktoren, deren diese Strategie bedurfte




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