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Donnerstag, 18. Dezember 2014

Verwundungsspezifika

Deutsche Ärzte hatten ab 1914 lange gerätselt, warum Kopfschüsse bei den Getroffenen ganze Schädelpartien wegrissen. Ja, ganze (relativ unversehrte) Gehirnteile flogen aus dem zerberstenden Schädel. Lange vermutete man Sprengladungen in den Gewehrkugelspitzen, aber solche gab es nicht. Dann gab es Theorien über Longitudinalwellen, über Überdruck, etc. - aber sie alle scheiterten als Erklärung daran, daß der Kopf kein geschlossenes Gefäß ist, sodaß solche Wirkungen einträten. Sämtliche physikalischen Versuche versagten als Begründung. 

Genau solche Verwundungen hatte man ja durch technische Entwicklungen der Infanteriewaffen nicht vermutet. Denn seit der späten zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts konnte durch entsprechende Industrieentwicklungen das Gewehr der Soldaten mit gezogenem Lauf ausgestattet werden. Hierbei gibt eine entsprechende spiralenförmige Führung im Laufinneren der Kugel einen Drall, und damit weit höhere Treffsicherheit, als bei den bisherigen Gewehren. Dazu kam die Entwicklung des TNT als Zündpulver, womit die Gewehrkugel auf die doppelte Geschwindigkeit beschleunigt, die Reichweite und die Durchschlagskraft vervielfacht wurde. Gleichzeitig hatten sich die Projektile der besseren Aerodynamik wegen zu Spitzgeschoßen entwickelt. Warum also ging die Kugel nicht einfach auch durch den Kopf, wie sie es bei bloßem Muskelgewebe tat? Verletzungen, die sogar bereits nach wenigen Wochen wieder ausgeheilt waren.

Bis man in photographischen Aufnahmen von Durchschüssen durch mit Membranen geschlossene Zylinder die Lösung fand. Und sie erstaunte, war aber eindeutig und gilt auch heute als Tatsache: Die Versuche zeigten nämlich, daß das Wasser des Zylinders bereits in dem Moment auf der Gegenseite austrat, in dem das Projektil die Zylinderwand durchschlagen hatte.

Beim Eintritt in den Kopf (bzw. in den Körper, die Erklärung gilt generell, wenn auch mit anderen Wirkungen, abhängig vom Gewebsaufbau) übernimmt die umschließende Gewebsmasse des Gehirns die Bewegung des beim Eintritt bereits deformierten, die Schubwirkung damit vergrößernden Geschoßes! Das heißt, daß das Gehirn bzw. der sich in seinem Umfang weiter vergrößernde, die Bewegung immer weiter seiner jeweiligen Umgebung mitteilende, die Gewebsmasse also in alle Richtungen (sogar rückwärts) vergrößerende Gewerbsklumpen (urspränglich im Umfang des Projektils) ab dem Zeitpunkt des Treffers quasi als selbständiges Projektil fortfliegt. Der Mensch stirbt bei der Schußverletzung in diesem Fall - durch sich selbst. Denn das Projektil alleine würde tatsächlich glatt durchgehen, dreht sich beim Eintritt in den Körper sogar noch ein- oder zweimal. 

So erklärt sich auch, daß die meisten Schußtreffer bei bleihaltigen Kugeln (anders als bei Stahlmantelgeschoßen) eine größere Austritts- als Eintrittswunde aufweisen: Sie platten ab, sobald sie auf das Gewebe treffen, womit sich der obige Effekt verstärkt. Später machte man sich diese Wirkung durch sogenannte "Dumdum-Geschoße" (vorne abgeplattet oder gar geschlitzt) sogar gezielt zunutze. Besonders tödlich, erklärte dem VdZ einmal ein Fachmann, wirken aber Patronen, deren Sprengladung besonders hoch dosiert ist, wie bei vielen Präzisionsgewehren. Hier wird der Angeschossene selbst bei eigentlich nebensächlichen Treffern, selbst bei Streifschüssen, durch die extreme Geschwindigkeit des Projektils getötet, weil durch einen ähnlichen Vorgang wie oben beschrieben ein Schock im angrenzenden Gewebe eintritt, der dann die eigentliche tödliche Wirkung darstellt.

Dem VdZ waren übrigens tatsächlich Polizeibeamte bekannt, die in ihrem Magazin ab der dritten Patrone solche mit vorne abgeplatteten Spitzen magaziniert hatten: Der erste Schuß war zur vorgeschriebenen Warnung, der zweite als Mannstopper gedacht. Wenn allerdings verfehlt wurde, genügte nun ein beiläufiger Treffer, um dem Flüchtenden oder Widersätzlichen schwerste und mannstoppende Verletzungen zuzufügen. Denn damals (es ist einige Jahrzehnte her) hatte die Polizei nur Handfeuerwaffen des Kalibers 7,65 mm, das einen Mann nur in unmittelbarer Nähe und bei präzisen Treffern aufzuhalten in der Lage war. (Heute wird in Österreich generell 9,00 mm Kaliber verwendet.)




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