Teil 3a) Ein Bedrohungsbild wird zur weltweiten Strategie,
das selbst den Ukrainekonflikt beleuchtet
Von diesem Bedrohungsbild her wurde dieses Prinzip deutscher
Militärstrategie zum politisch-strategisch verankerten Dogma. Als im
Zuge des Ringens um Vorherrschaft in Deutschland Preußen auch Österreich
als (möglichen) Feind auffassen mußte, war ja das Bedrohungsbild noch
umfassender. Überhaupt, als Preußen sich 1865 ganz (Klein-)Deutschland
unterwarf. Also wurde Österreich angegriffen, und in Königgrätz 1866
schwer geschlagen. Aber zur Überraschung des Wiener Hofes, der wieder
einmal bereits seine Sachen gepackt hatte um zu fliehen, hielt Preußen
inne. Bismarck gewährte einen äußerst milden Frieden - und legte so den
Grundstein, wenigstens diese Front zu befrieden, ja durch das Bündnis
mit Österreich - das, weil intern bereits äußerst geschwächt, darauf
fast schon angewiesen war - sogar neue strategische Möglichkeiten zu
eröffnen. Österreich wurde für die Überlegungen 1914 sogar zum
wesentlichen Faktor deutscher Strategie.
Diese
konzentrierte sich nämlich immer mehr auf einen möglichen, aber nun
nacheinander zu führenden Zweifrontenkrieg - gegen Frankreich im Westen,
gegen Rußland im Osten. Durch Schwerpunktbildung, die auf eine
sofortige Entscheidungsschlacht abzielte, mußte einer der beiden zuerst
vernichtend und rasch besiegt werden, um sich durch innere
Umgruppierungen dem zweiten, der derweilen nur "beschäftigt" wurde, zu
stellen. Das ermöglichte der forcierte Ausbau des deutschen
Eisenbahnnetzes genauso, wie die Erfindung der Telegraphie, die neue
Formen kurzfristiger Koordination ermöglichte. Nur so hatte das
quantitativ immer unterlegene Deutschland (im Rahmen ganz Europas) eine
Chance. Deutsche Strategie, deutsche Selbstverteidigung wurde damit
immer expliziter zu einer Frage der Zeit.
Den hier
galt als oberster Grundsatz: Schnelligkeit. Auch aus dem Wissen heraus,
daß Deutschland einen längeren Abnützungskrieg niemals würde gewinnen
können. Dazu hatte es nicht die (begrenzten) Menschenmassen, dazu
fehlten ihm vor allem die Rohstoffe, und dazu fehlte ihm die Raumtiefe.*
Was weitreichende diplomatische Implikationen hatte.
Denn es setzte die Diplomatie unter Druck. Wenn diese nicht rasch
Lösungen finden konnte, durfte im Heer nicht gezögert werden. Weil man
einen Angriff des Feindes - auf zwei Fronten - gar nicht erst abwarten
durfte. Dann war es bereits zu spät. Vielmehr mußte auch die Diplomatie antizipieren, um dem Land durch Schnelligkeit die einzige Chance (wie man meinte) offen zu halten, einen Krieg zu entscheiden. Was man durch zwei Faktoren am wahrscheinlichsten zu erreichen hielt: Das Heer eindrucksvoll zu besiegen, und die Hauptstadt (Nervenzentrale) des Feindes zu erobern. Den Militärs war klar, daß Qualität
in Truppe und Taktik nur bedingt und nur kurze Zeit gegen das Gesetz
der größeren Zahl und vor allem des Raumes ankommen konnte.**
Erst sollte Frankreich durch einen überraschenden Stoß vom Norden her in Tagen und Wochen besiegt werden, um dann sofort Truppen nach dem Osten umgruppieren zu können. Einen Frontaldurchbruch aus dem Elsaß heraus, durch das französische Festungssystem, hielt man für unmöglich. Frankreich aber (spätestens seit 1894 dachte man so, wobei man durchaus mit einem französischen Erstschlag aus Rache für 1871 rechnete) deshalb zuerst, weil es aufgrund besserer Infrastruktur rascher mobilmachen konnte als Deutschland (und Rußland sowieso), und außerdem geringere Raumtiefe hatte, was ein Verteidigen schwerer machte. (Als Ort der zentralen Schlacht kristallisierte sich zunehmend Verdun heraus.) Dann, quasi wieder zahlenmäßig ebenbürtig, kam Rußland an die Reihe. Man spekulierte also hoch! Was, wenn Frankreichs Armee anders reagierte? Was, wenn Rußland doch schneller mobilmachte? Immerhin ließen sich die Franzosen den Ausbau der russischen Infrastruktur Milliarden(kredite) kosten.
Das hat sich erstmals so konkret im sogenannten Schlieffen-Plan im späten 19. Jahrhundert bereits ausformuliert. Schlieffen war aber nicht naiv, er wußte, daß bei der mittlerweile erreichten Größe der Heere und Schlachtfelder nicht mehr von einer einzigen "großen Vernichtungsschlacht" geredet werden konnte. Vielmehr mußte die Entscheidung in mehreren, dicht beieinander liegenden Teilschlachten herbeigeführt werden - unter hohem Zeitdruck. Wobei Schlieffen selbst lange Zeit noch an ein stärkeres Zentrum und einen schwächeren rechten Flügel dachte, um flexibler auf französische Reaktionen über Lothringen reagieren zu können. Als man (durch die Schwäche Rußlands, das 1905 gegen Japan verloren hatte) für unwahrscheinlich hielt, daß Frankreich zuerst angreifen würde, ja sogar seinen linken Flügel zur Abwehr stärkte, konzentrierten sich die taktischen Überlegungen auf den Weg eines starken rechten Umfassungsflügels über Niederlande und Belgien.
Einen Plan B - bei Scheitern dieser Umfassung, bei Nichterreichen einer Entscheidungsschlacht - gab es nie. Und es wurde fast ignoriert, daß Deutschland viel zu wenige Motorfahrzeuge für Straßen und Gelände hatte, um solche Bewegungen effektiv durchzuführen. (Man rechnete schließlich mit der Beschlagnahme von Zivilfahrzeugen.) Über Versorgungs- und Nachschubfragen ging Schlieffen überhaupt generös hinweg. Und das war auch der allgemeine Tenor in der deutschen Generalität, die lieber über schlanke Operationen nachdachte als darüber, worauf Operationsfähigkeit überhaupt beruhte. Das hatte sich ja auch in allen bisherigen Kriegen immer "irgendwie aus dem Land" gelöst ... der Hauptgrund, warum es später zu deutschen Greueltaten in Belgien kommen sollte. Man hatte einen Bewegungskrieg ersonnen, aber kein logistisches Konzept dafür. Genau so wenig wie man ein Konzept hatte, diesen Krieg wieder zu beenden.
Frankreich dachte übrigens nur wenig anders. England freilich nicht. Es kannte nur Kriege, in denen die Logistik entscheidend war. Und auch der Schlieffen 1906 nachfolgende Generalstabschef Helmuth v. Moltke (d. Jüngere) hatte schwere Kritik an seinem Vorgänger anzubringen. Er glaubte nicht an eine rasche Gewinnbarkeit, ihm war die deutsche Strategie zu dogmatisch geworden. Schlieffen hatte ja nicht einmal mit einer Defensive gerechnet, die durfte man halt einfach nicht zulassen. Und Moltke glaubte auch nicht an die Möglichkeit einer sofortigen Umorientierung einer Armee nach einer gewonnenen Entscheidungsschlacht von West nach Ost. Zwar hielt er an den meisten von Schlieffens Ideen fest, ja spitzte den Zeitdruck durch Verfeinerungen (über die Rolle des Handstreichs auf Lüttich) noch weiter zu, ließ damit im Konfliktfall also noch weniger diplomatischen Raum.
Er stärkte aber den linken Flügel im Elsaß, wo er eine französische Gegenoffensive erwartete, und verzichtete auf den Durchmarsch durch die Niederlande. Man sollte ihm das später noch bitter vorwerfen: der rechte Flügel sei damit nämlich zu schwach gewesen, um energisch genug den Feind zu werfen. Also wurde er nach dem Mißerfolg im Spätherbst 1914 durch Falkenhayn abgelöst. Das Dogma blieb: Der Krieg konnte nur im Westen gewonnen werden.
Die Grundstrategie blieb letztlich also dieselbe, wie sie sich seit hundert Jahren herausgebildet hatte, wenn auch undogmatischer. Aber Moltke zweifelte sogar an einem möglichen Sieg in einem Zweifrontenkrieg. Den er - wenn - nur durch überlegene Moral und eben die Gefechtstaktik für gewinnbar hielt. Über einen Weg, einen solchen Krieg über erste siegreiche Schlachten hinaus zu führen, ihn einmal zu beenden, die regelrechte Negierung des Primats der Politik, der Ressortegoismus, der Heer und Marine nicht einmal miteinander reden ließ, die Ignoranz der Logistik gegenüber, über alle diese fundamentalen Mängel der deutschen Gesamtstrategie also, dachte auch er nicht nach.
Niemand aus dem deutschen Generalstab sprach offen über die Risken dieser Strategie auch für die Stabilität des Staates. Niemand verlangte von der Politik andere Lösungen, um die militärische Fragwürdigkeiten und Risken auszutrocknen. Dem Kaiser gegenüber führte Moltke höchstens einmal aus:
"Es wird ein Volkskrieg werden, der nicht mit einer entscheidenden Schlacht abzumachen sein wird, sondern der ein langes, mühevolles Ringen mit einem Lande sein wird, das sich nicht eher überwunden geben wird, als seine ganze Volkskraft gebrochen ist, und der auch unser Volk, selbst wenn wir Sieger sein sollten, bis aufs Äußerste erschöpfen wird."
Das hat sich erstmals so konkret im sogenannten Schlieffen-Plan im späten 19. Jahrhundert bereits ausformuliert. Schlieffen war aber nicht naiv, er wußte, daß bei der mittlerweile erreichten Größe der Heere und Schlachtfelder nicht mehr von einer einzigen "großen Vernichtungsschlacht" geredet werden konnte. Vielmehr mußte die Entscheidung in mehreren, dicht beieinander liegenden Teilschlachten herbeigeführt werden - unter hohem Zeitdruck. Wobei Schlieffen selbst lange Zeit noch an ein stärkeres Zentrum und einen schwächeren rechten Flügel dachte, um flexibler auf französische Reaktionen über Lothringen reagieren zu können. Als man (durch die Schwäche Rußlands, das 1905 gegen Japan verloren hatte) für unwahrscheinlich hielt, daß Frankreich zuerst angreifen würde, ja sogar seinen linken Flügel zur Abwehr stärkte, konzentrierten sich die taktischen Überlegungen auf den Weg eines starken rechten Umfassungsflügels über Niederlande und Belgien.
Einen Plan B - bei Scheitern dieser Umfassung, bei Nichterreichen einer Entscheidungsschlacht - gab es nie. Und es wurde fast ignoriert, daß Deutschland viel zu wenige Motorfahrzeuge für Straßen und Gelände hatte, um solche Bewegungen effektiv durchzuführen. (Man rechnete schließlich mit der Beschlagnahme von Zivilfahrzeugen.) Über Versorgungs- und Nachschubfragen ging Schlieffen überhaupt generös hinweg. Und das war auch der allgemeine Tenor in der deutschen Generalität, die lieber über schlanke Operationen nachdachte als darüber, worauf Operationsfähigkeit überhaupt beruhte. Das hatte sich ja auch in allen bisherigen Kriegen immer "irgendwie aus dem Land" gelöst ... der Hauptgrund, warum es später zu deutschen Greueltaten in Belgien kommen sollte. Man hatte einen Bewegungskrieg ersonnen, aber kein logistisches Konzept dafür. Genau so wenig wie man ein Konzept hatte, diesen Krieg wieder zu beenden.
Frankreich dachte übrigens nur wenig anders. England freilich nicht. Es kannte nur Kriege, in denen die Logistik entscheidend war. Und auch der Schlieffen 1906 nachfolgende Generalstabschef Helmuth v. Moltke (d. Jüngere) hatte schwere Kritik an seinem Vorgänger anzubringen. Er glaubte nicht an eine rasche Gewinnbarkeit, ihm war die deutsche Strategie zu dogmatisch geworden. Schlieffen hatte ja nicht einmal mit einer Defensive gerechnet, die durfte man halt einfach nicht zulassen. Und Moltke glaubte auch nicht an die Möglichkeit einer sofortigen Umorientierung einer Armee nach einer gewonnenen Entscheidungsschlacht von West nach Ost. Zwar hielt er an den meisten von Schlieffens Ideen fest, ja spitzte den Zeitdruck durch Verfeinerungen (über die Rolle des Handstreichs auf Lüttich) noch weiter zu, ließ damit im Konfliktfall also noch weniger diplomatischen Raum.
Er stärkte aber den linken Flügel im Elsaß, wo er eine französische Gegenoffensive erwartete, und verzichtete auf den Durchmarsch durch die Niederlande. Man sollte ihm das später noch bitter vorwerfen: der rechte Flügel sei damit nämlich zu schwach gewesen, um energisch genug den Feind zu werfen. Also wurde er nach dem Mißerfolg im Spätherbst 1914 durch Falkenhayn abgelöst. Das Dogma blieb: Der Krieg konnte nur im Westen gewonnen werden.
Die Grundstrategie blieb letztlich also dieselbe, wie sie sich seit hundert Jahren herausgebildet hatte, wenn auch undogmatischer. Aber Moltke zweifelte sogar an einem möglichen Sieg in einem Zweifrontenkrieg. Den er - wenn - nur durch überlegene Moral und eben die Gefechtstaktik für gewinnbar hielt. Über einen Weg, einen solchen Krieg über erste siegreiche Schlachten hinaus zu führen, ihn einmal zu beenden, die regelrechte Negierung des Primats der Politik, der Ressortegoismus, der Heer und Marine nicht einmal miteinander reden ließ, die Ignoranz der Logistik gegenüber, über alle diese fundamentalen Mängel der deutschen Gesamtstrategie also, dachte auch er nicht nach.
Niemand aus dem deutschen Generalstab sprach offen über die Risken dieser Strategie auch für die Stabilität des Staates. Niemand verlangte von der Politik andere Lösungen, um die militärische Fragwürdigkeiten und Risken auszutrocknen. Dem Kaiser gegenüber führte Moltke höchstens einmal aus:
"Es wird ein Volkskrieg werden, der nicht mit einer entscheidenden Schlacht abzumachen sein wird, sondern der ein langes, mühevolles Ringen mit einem Lande sein wird, das sich nicht eher überwunden geben wird, als seine ganze Volkskraft gebrochen ist, und der auch unser Volk, selbst wenn wir Sieger sein sollten, bis aufs Äußerste erschöpfen wird."
Morgen Teil 4) Und weitere Faktoren, deren diese Strategie bedurfte
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