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Montag, 15. Dezember 2014

Anhaltende Verblendung

Tatsache war, daß die deutsche Wehrmacht für einen Kriegsbeginn 1939 nicht gerüstet genug war. Die Aufrüstungspäne, die keineswegs eine Erfindung von Hitler waren, sondern als Notwendigkeit der Militärs angesehen wurden. Um Deutschland zum einen überhaupt verteidigen zu können (was wie erwähnt nur durch die bewegliche, schnell Schwerpunkte bilden könnende Angriffstaktik möglich gesehen wurde), zum anderen natürlich, um die der Selbstsicht der meisten Deutschen (und natürlich auch der Militärs) entsprechende Stellung in der Welt behaupten zu können. Nicht DURCH militärische Operation, sondern die Möglichkeit dazu wurde dafür als notwendig gesehen. Getragen von dem Wissen, daß man sowohl an Menschen wie auch an Ressourcen den Gegnern unterlegen war. 

Daß Hitler von "Lebensraum im Osten" samt rassischen Gesichtspunkten träumte hatte einen Einschlag, der keineswegs den rein militärischen Überlegungen und strategischen Notwendigkeiten entsprach. Freilich kamen sie darin zur Deckung, daß eine Position als Weltmacht nur möglich war, wenn man das Ressourcenproblem lösen konnte. Und diese Lösung sah man in den Rohstoffen im Ural, in der Ukraine als Getreidekammer, und im Öl des Kaukasus. Genauso wie es fast Zufall war, daß der deutsche Angriff in einen sowjetischen Aufmarsch - als eigene Angriffsvorbereitung - hineinstieß, auf einen Gegner traf, der gar nicht mit Verteidigung, sondern mit Angriff gerechnet hatte. Denn längst hatte auch Rußland die Militärstrategie Deutschlands übernommen (und es im erfolgreichen Grenzkrieg gegen Japan 1939 am Chassansee sogar bereits bewiesen, und es sollte es später erst recht noch beweisen.)

Um zu illustrieren, wie groß - die eigentliche militärische Strategie unterlaufend - die Rohstoffknappheit wirklich war, reicht ein Blick auf den Angriff auf Frankreich im Mai 1940. Während Deutschland sich spätestens seit Friedrich dem Großen, spätestens aber im 19. Jhd. militärisch aus dieser Unterlegenheit in einem Mehrfrontenkrieg heraus auf diese bewegliche Strategie eingeschworen hatte, stand man 1940 vor demselben Problem wie 1914 bei Kriegsbeginn. Nur 10 % aller Truppen waren als mobil einzustufen. Wie 1914 waren 90 % der Soldaten auf ihre Füße und Pferde angewiesen. Deutschland hatte im Mai 1940 kaum 120.000 Militär-Lastkraftwagen, und mehr war auch gar nicht möglich, weil es nicht mehr Gummi für Reifen gab.

Dennoch wurde das Logistikproblem im deutschen Generalstab nach wie vor (und auch das also eine Tradition) ignoriert. Man erwartete buchstäblich, daß die Soldaten und Logistiker improvisieren, "zaubern" sollten. Als man den Rußlandfeldzug plante, rechnete man allen Ernstes damit, daß die angreifenden 3 Millionen deutschen Soldaten sich wie unter dem Preußenkönig Friedrich im 18. Jhd. aus dem Land versorgen sollten. Denn Lastwagen waren nur für die technische Logistik der kämpfenden Truppe ausreichend vorhanden, nicht für Lebensmittel. (Ein schienenunabhängiges, funktionierendes Logistiksystem ist erstmals den USA im 2. Weltkrieg gelungen.)

Und weil man sich nach dem 1. Weltkrieg durch Personalisierung der Schuld, durch Dolchstoßlegenden und Weigerung, die Wirklichkeiten zu sehen, erfolgreich in den Mythos der überlegenen Kampftaktik hineingesteigert hatte, dazu unter haarsträubenden Risiken speziell in Frankreich zwei Teilkriege (1939 und 1940) im Blitztempo gewonnen hatte, überschätzte man sich selbst, und unterschätzte schwer den nächsten Feind, Rußland. 

Hitler und der Generalstab rechneten tatsächlich damit, die Sowjetunion in 4, höchstens 6 Monaten niederzuwerfen. Zu Weihnachten wollte man wieder zu Hause sein. Wie im 1. Weltkrieg. Nach den ersten Angriffen, Anfang Juli 1941, meinte der deutsche Generalstabschef Halder tatsächlich, in 14 Tagen den Krieg gewonnen zu haben. 

Wozu also, so die deutsche oberste Heeresleitung, sich mit störenden Logistikfragen beschäftigen? Die für die bewegliche Kriegsführung notwendige Logistik existierte also gar nicht. Da brauchte es noch gar kein durch Witterung bald unbefahrbares russisches Straßennetz. Man verließ sich oft allen Ernstes auf "Glück".

Und war dann völlig überrascht, es nicht nur mit zunehmend tapfer kämpfenden Soldaten, sondern mit einer gigantischen Materialübermacht zu tun zu haben. Die durch Fabriken in Sibirien, von denen man gar nichts gewußt hatte, sowie durch die später über den Iran eintreffenden Hilfslieferungen durch die USA, auch nachhaltig aufrechterhalten werden konnte. Auch hier war der Krieg bereits am Anfang verloren worden, nur hatte Hitler es nicht gemerkt. Trotz beeindruckender Anfangserfolge und manchen gelungenen Einkesselungen (Bialystok/Minsk oder Smolensk, Schlachten, in denen jeweils mehr sowjetische Panzer vernichtet wurden, als Deutschland zum Beginn des Feldzugs zur Verfügung gestanden waren; oder Kiew, mit 650.000, Vjasma/Briansk mit 670.000 Gefangenen) war es nämlich nicht gelungen, die Rote Armee zu einer Entscheidungsschlacht zu stellen. Geschickt entzog sie sich immer wieder deutschen Umgehungsversuchen, und erhielt so im Wesentlichen ihre Kampfkraft. Die Wehrmacht hatte die Russen zurückgedrängt, aber nicht besiegt.

Während Rußland eine Division nach der anderen neu aufstellte, gingen nun Deutschland Soldaten und Material aus. Schon beim Angriff auf Moskau hatten die deutschen Divisionen nur noch 50 % ihrer ursprünglichen Kampfkraft, und in den Vorstädten von Moskau war die Angriffskraft erstmals wirklich erschöpft. Den sowjetischen Gegenangriff durchlitten die Soldaten bei minus 20 Grad in Sommeruniformen und unterernährt. Bis Jänner 1942 hatte das deutsche Ostheer 90 % seiner Panzer und ein Drittel seines Personalbestandes verloren. Mit einem Heer, das in seiner Substanz getroffen die taktischen Vorgaben der Großstrategie schon gar nicht mehr erfüllen konnte, ging es - Hitler hatte mittlerweile das Oberkommando an sich gezogen - in die nächsten Großoffensiven, an deren Ende Stalingrad steht. Ehe General Paulus nach Stalingrad abreiste, arbeitete er noch allen Ernstes an Operationsplänen mit, denen gemäß über die Türkei und Libyen nach Ägypten, und über Afghanistan nach Indien einmarschiert werden sollte.

Deutschland hatte auch im 2. Weltkrieg seine Ressourcen völlig überschätzt. Und sich einer Militärstrategie verschworen, deren Voraussetzungen es schon rein materiell gar nicht leisten, deren Menschenverluste es nicht ersetzen konnte. Nie konnte sein Heer so motorisiert werden, wie es für diese Strategie nötig gewesen wäre. Den schnell vorstoßenden Panzerverbänden folgten zu Fuß und langsam nachmarschierende Infanterieverbände, die jene Lücken schließen mußten, die zu einer Einkreisung notwendig war, was das Tempo des Vormarsches insgesamt hemmte, während der Nachschub durch die Lücke Panzer - Infanterie durch noch unbeherrschte, unsichere Zonen, unter hohen Verlusten, geführt werden mußte. Noch mehr sogar als im 1. Weltkrieg, war die Deutsche Wehrmacht eine Pferde- und Marsch-Armee. Und wie im 1. Weltkrieg ging die Gesamtstrategie deshalb neuerlich nicht auf.



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